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Wer hat Peter de Vries getötet? Eine Codenummer gibt Rätsel auf

Wer hat Kriminaljournalist Peter de Vries getötet? Eine Codenummer gibt Rätsel auf

Der Mord erschütterte die Niederlande: Kriminaljournalist Peter R. de Vries wurde im vergangenen Jahr auf offener Strasse erschossen. Nun wird den Tatverdächtigen der Prozess gemacht.
07.06.2022, 11:2707.06.2022, 11:28
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FILE - Dutch crime reporter Peter R. de Vries arrives for a live TV show in Amsterdam, Netherlands, Thursday Jan. 31, 2008. The trial with the suspects accused of killing Dutch investigative journalis ...
Peter de Vries.Bild: keystone
Ein Artikel von
t-online

Schüsse fallen mitten in Amsterdam. Es ist der 6. Juli 2021, etwa 19.30 Uhr. Auf der Lange Leidsedwarsstraat bricht ein Mann zusammen, zwei Kugeln trafen ihn in den Kopf. Es ist der prominente Crime-Reporter Peter R. de Vries. Neun Tage später erliegt er im Alter von 64 Jahren seinen schweren Verletzungen.

Der Mord trifft die Niederlande wie eine Schockwelle und macht vielen auf brutale Weise klar, wie stark der Würgegriff des organisierten Verbrechens ist. Premier Mark Rutte spricht von «einem Anschlag auf den freien Journalismus ... auf den Rechtsstaat.»

Knapp ein Jahr nach der Bluttat wird den beiden mutmasslichen Tätern der Prozess gemacht. Doch es stehen an diesem Dienstag vermutlich nur die Handlanger vor Gericht. An die Stelle des Schocks trat eine bittere Einsicht: Die wirklichen Drahtzieher kriegt man nicht.

Dokumente der Kaltblütigkeit

Es gibt kaum einen Zweifel: Der Reporter wurde Opfer einer brutalen Drogenbande. Und die beiden Angeklagten führten wohl nur einen Auftrag aus. Sie waren kaum eine Stunde nach der Tat auf der Autobahn gefasst worden. Der Pole Kamil E. (36) mit Wohnsitz in Maurik im Südosten des Landes soll das Fluchtauto gefahren, der Rotterdamer Delano G. (22) geschossen haben.

FILE - A photo and floral tributes mark the spot where journalist Peter R. de Vries was shot in Amsterdam, Netherlands, Thursday, July 8, 2021. The trial with the suspects accused of killing Dutch inv ...
Bild: keystone

«Wir haben starke Beweise gegen die beiden Verdächtigen», sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Mara van den Berg. Im Fluchtauto, einem Renault Kadjar, waren zwei Waffen gefunden worden. Eine Maschinenpistole und eine umgebaute Signalpistole, die Tatwaffe. Dazu gibt es DNA-Beweise, Kamerabilder, Fingerabdrücke, Zeugenaussagen. «Und es gibt sogar einen Augenzeugen der Tat.»

Im Auto wurden auch Handys mit verschlüsselten Botschaften gefunden, Dokumente der Kaltblütigkeit, der Gewissenlosigkeit. Angehörige des Reporters und Freunde waren zutiefst entsetzt, als die Staatsanwaltschaft ihnen die Texte vorlegte.

Der Unbekannte hinter dem Code NN-*4229

Die beiden Männer kommunizierten der Anklage zufolge auf polnisch und niederländisch mit einem Unbekannten. Er hatte am Tag des Anschlags Fotos von Peter R. de Vries geschickt: «Diesen Hund müsst ihr haben.» – «Ich mach' das solo», soll Delano G. geantwortet haben. «Ich finish das.» (zu deutsch: Ich beende das.) Nach dem Mord schickte er Berichte an den Unbekannten.

epa09356756 People leave the Royal Theater Carre during the public farewell of Peter R. de Vries in Amsterdam, The Netherlands, 21 July 2021. The crime reporter died at the age of 64 after being shot  ...
Bild: keystone

Schon Tage vorher sollen beide Männer am Tatort gesehen worden sein, vermutlich um die Lage auszukundschaften. Es war bekannt, dass der Reporter nach den Aufnahmen der TV-Show im Studio ganz in der Nähe zu Fuss zu seinem Auto in einer Garage ging – ohne Personenschutz.

Doch wer war dieser Unbekannte, der in den Prozessakten nur mit dem Code NN-*4229 angedeutet wird? Und ist er der Drahtzieher?

Tat einer «geölten Mordmaschine»?

Die beiden Angeklagten schweigen dazu. Delano G. sagt gar nichts, und Kamil E. beteuert, dass er nichts mit der Sache zu tun habe. «Ich hab keinen tot gemacht, und ich hab keine Waffe gesehen», sagte er bei einer vorbereitenden Sitzung aus. Er sollte nur jemanden von Rotterdam nach Amsterdam bringen und wieder abholen. Doch die Ermittler sind davon überzeugt, dass der breitschultrige Pole schon über seine auffälligen Tätowierungen auf den Kamerabildern zu identifizieren ist.

Vieles deutet darauf hin, dass der Mord auf das Konto der international berüchtigten Drogenbande des marokkanischen Niederländers Ridouan Taghi (44) geht. Ihm wird zurzeit mit 16 anderen in Amsterdam der Prozess gemacht wegen mehrerer Morde und Mordversuche. Die Anklage spricht von einer «geölten Mordmaschine».

«Jeder, der auspackt, muss schlafen», ist ein bekannter Spruch von Taghi. Schlafen heisst Töten im Jargon. Doch einer hat ausgepackt. Nabil B. wurde Kronzeuge gegen Taghi. Dafür wurde schon 2018 sein Bruder ermordet, ein Jahr später sein Anwalt, und dann Peter R. de Vries, er war Vertrauensperson von Nabil B.

Prozess ohne Namen

Der Reporter war sehr geschätzt als kompromissloser Kämpfer gegen das Verbrechen. Aber damit stand er auch im Fadenkreuz. Und doch lehnte er Personenschutz ab. «Einer Kugel mit deinem Namen darauf kannst du nicht ausweichen», hatte er gesagt.

Doch warum nicht andere Sicherheitsmassnahmen getroffen worden waren, ist eine der grossen offenen Fragen. Zu lange haben die Niederlande nicht wahrhaben wollen, dass sie einer der grössten Umschlagplätze harter Drogen sind, und damit Einsatzgebiet des organisierten Verbrechens.

Bei dem Prozess geht man kein Risiko ein: Alle 88 Zeugen bleiben anonym. Auch die Namen der Staatsanwälte dürfen nicht genannt werden. Die Angst vor weiteren Anschlägen ist gross. Denn jetzt weiss man, diese Banden schrecken vor nichts zurück.

(Von Annette Birschel/dpa)

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