Okay Leute, hört nicht auf mich. Lasst euch nicht davon abhalten, ins Kino zu gehen, falls ihr dies eh tun wolltet. Gehet hin, kommet zurück und berichtet, wie ihr diesen Film gesehen habt. Ich kann hier – und das ist die Krux des kritischen Geschäfts – nur für mich selbst sprechen. Also gegen Tarantino. Und dies, obwohl ich die meisten seiner Filme verehre, und selbst den schwächsten («Death Proof» ...) noch etwas Winziges abgewinnen kann.
Aber jetzt gerade frage ich mich: Habe ich – zusammen mit zwei ebenfalls bitter enttäuschten Tarantino-Die-Hard-Fans – wirklich gesehen, was ich glaube, gesehen zu haben? Nämlich einen Film mit riesengrossen Stars, der an seiner eigenen Nostalgieseligkeit erstickt? Eine familienfreundliche Bromance-Komödie mit schlechten Drehbucheinfällen, schlappen Dialogen, miserablem Schnitt und dümmlich unterentwickelten Frauenfiguren? Also alles, was ich von Tarantino nicht erwarte?
Fest steht, dass ich in einem Film mit dem Titel «Once Upon a Time ... in Hollywood» sass, den viele angelsächsische Kritikerinnen und Kritiker für den besten Tarantino halten. Unter anderem, weil er so entspannt, souverän und warmherzig sei. Echt jetzt, seit wann ist warmherzig ein Kriterium für Tarantino?
Aber gut, der Titel sagt es ja schon: Es war einmal in Hollywood. Ein bisschen Märchen, ein bisschen Niedergang und Abgesang. Und natürlich eine Referenz an Sergio Leones «Once Upon a Time ...»-Reihe. Angesiedelt ist Tarantinos Hollywood im Jahr 1969. Der schon recht abgehalfterte Western-Star Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) entdeckt, dass seine neuen Nachbarn keine andern als der hippe «Rosemary's Baby»-Regisseur Roman Polanski und die schöne Schauspielerin Sharon Tate (Margot Robbie) sind.
Polanski, von dem sich Dalton einen sicheren Karriere-Boost verspricht, ist allerdings fast nie da. Und Tate setzt sich am liebsten im Kino stundenlang in ihre eigenen Filme und betrachtet selig ihr noch nicht sonderlich bedeutendes kleines Werk. Das es in der Realität tragischerweise auch nicht über das Jahr 1969 hinaus schaffte, weil die hochschwangere Tate von der Manson-Family niedergemetzelt wurde.
Daltons wichtigste Bezugsperson ist sein Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), ein Mann, der seine Frau ermordete, davonkam und im Zweikampf selbst Bruce Lee besiegte. Früher war er der Wildeste, jetzt ist er nur noch Daltons Chaffeur. Dalton selbst begnügt sich mit immer kleineren Rollen in immer schäbigeren Projekten und vergnügt sich einzig mit Alkohol. Seine Rettung ist eine naseweise Achtjährige, ein leuchtender Lichtblick. Allerdings auch nicht mehr ganz neu. Kindermund tut Wahrheit kund und so.
Während Dalton Western dreht, gerät Cliff in einen richtigen: Auf einer alten Filmranch hausen die Hippies der Manson-Family, und Cliff gerät unter sie, wie ein Cowboy in eine ultrafeindselige Westernstadt. Eine geniale Besetzungsidee, ausgerechnet Lena Dunham zu einer Manson-Matrone zu machen. Und weil das Ganze ein Märchen ist, nimmt es Tarantino mit der historischen Wahrheit auch nicht ganz so ernst.
Natürlich schaut man den Hollywood-Schlachtrössern Pitt (55), und DiCaprio (44) gerne zu, keine Frage. Und natürlich sind Männer, die einst als die schönsten der Welt galten und jetzt abgetakelte Midlife-Krise-Loser spielen, lustig. Und natürlich sieht das Jahr 1969 bei Retro-Fetischist Tarantino mal wieder bis ins Detail echt gut aus und klingt auch so. Und natürlich gibt es wieder tüchtig Tarantino-Spielereien mit Filmen im Film und Filmen über die Filme im Film und so weiter, er ist ja quasi eine Hollywood-Matrjoschka.
Aber dann ist da eben die Sache mit entspannt, souverän und warmherzig. Tarantinos (56) Ankunft im freundlichen Mainstream. Oder nennt man das jetzt die Gelassenheit reifer Jahre? Der amerikanische Boxoffice gibt ihm jedenfalls recht. Bester Tarantino-Start bisher. Nummer zwei, direkt hinter «The Lion King», auch so eine familienfreundliche Kiste.
Wo ist das Fieber, die Originalität, die Brillanz, das Vibrieren von Tarantinos älteren Filmen? Von «Pulp Fiction», «Kill Bill», «Inglourious Basterds», «Django Unchained»? Oder geht es etwa mir mit Tarantino gerade so wie ihm selbst mit dem alten Hollywood? Wie Rick Dalton mit seinen alten Western und Cliff mit seinen längst vergangenen Stunts? Sind wir alle auf unterschiedliche Art gefangen im Mahlwerk der Nostalgie? Die bedingt, dass man die Vergangenheit, zumal die naheliegende, eigene, verklärt? Eine schlaue Taktik der Selbstbefrie(dig)ung!
Es war einmal in Hollywood. Es war einmal ein Hollywood. Nämlich das von Tarantino geliebte alte, in dem ein damals noch unschuldiger Stern namens Polanski so strahlend aufstieg wie später einer namens Tarantino. Es war einmal einer in Hollywood. Nämlich der geliebte frühere Tarantino. Aber ich bitte euch: Gehet hin, sehet und berichtet. Damit es – ganz im Gegensatz zu einem Märchen – heisst: Fortsetzung folgt.
«Once Upon a Time ... in Hollywood» wird am 10. August am Filmfestival Locarno auf der Piazza Grande gezeigt. Vielleicht in Anwesenheit von Quentin Tarantino. Ab 15. August im Kino. Der Film dauert 161 Minuten.
Habe ihn noch nicht gesehen, aber seit dem ersten Teaser bin ich das erste mal NICHT angefixt. Ich habe irgendwie nie Lust auf den Film bekommen und mein Riecher war bis jetzt nicht der schlechteste.
Aus Tradition werde ich mich Ende August ins Kino schleppen. Vielleicht werde ich positiv überrascht. "Hateful Eight" war mir schon etwas zu zäh. Reservoir, Pulp und Jackie bleiben wohl meine Klassiker und True Romance, der beste Tarantino der nicht von Tarantino ist.