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Das weisse Ballett, der alte Mann und Patrick Fischers Versuchung

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Zu stürmisch für die Tschechen: Die Schweiz hat den Gruppensieg auf sicher.Bild: keystone
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Das weisse Ballett, der alte Mann und Patrick Fischers Versuchung

Die Schweizer werden von Spiel zu Spiel besser. Nach der bisher besten Partie gegen Tschechien hat Patrick Fischer bei den Torhütern für den Viertelfinal die Qual der Wahl zwischen Leonardo Genoni (35) und Robert Mayer (33).
22.05.2023, 02:5907.05.2024, 12:44
klaus zaugg, riga
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Was für ein Spektakel! Was für ein Sieg! 4:2 gegen Tschechien. Die Schweizer elegant, schnell, leichtfüssig und präzis wie ein «weisses Ballett». Und bei Bedarf bissig. Es ist der erstaunlichste Sieg bei diesem Turnier und eines der interessantesten WM-Spiele der «Ära Fischer», die 2016 in Moskau begonnen hat.

Patrick Fischer stellt nach fünf Siegen in Serie alle Linien um. Auch die Powerplay-Formationen, die in der neuen Zusammensetzung nicht einmal trainieren. Und siehe da: Alles funktioniert. Die Schweizer sind unberechenbar. Auch das ist ein Vorteil. Inzwischen hat jeder Feldspieler mindestens einen Skorerpunkt erzielt.

Die Schweizer spielen schnell, direkt, präzis und sind im Umschalten von Defensive auf Offensive – eigentlich die Spezialität der Tschechen – besser. «Umstellungen führen dazu, dass alle miteinander reden», begründet Patrick Fischer diesen Schritt. Oder noch einfacher: Frischer Wind. Routinierte Abläufe aufbrechen. Alle sind wieder hellwach. Der Coach als kluger Psychologe.

Einer der Väter des Sieges ist Robert Mayer. Der stilistische Nonkonformist hält den Sieg mit mindestens sieben «Big Saves» fest. Nun weiss Patrick Fischer: Auch mit Robert Mayer ist es möglich, einen Grossen zu besiegen.

Mit Leonardo Genoni (36) haben die Schweizer die letzten vier Viertelfinals bei Titelkämpfen (WM 2019, 2021, 2022; Olympia 2022) verloren. Voraussichtlich heisst der Gegner im Viertelfinal Deutschland. Kommt Patrick Fischer in Versuchung, im Viertelfinal Robert Mayer ins Tor zu stellen? Er spielt aggressiver, aktiver als Leonardo Genoni. Das könnte gegen die robusten Deutschen helfen.

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Robert Mayer zeigt eine formidable Leistung gegen Tschechien. Hier stoppt er einen Abschluss von NHL-Star Dominik Kubalik akrobatisch.Bild: keystone

Patrick Fischer sagt, diese Entscheidung erforderte einige Gespräche im Coaching-Team. Und gibt zu bedenken: «Mit Leonardo Genoni haben wir auch sehr viele entscheidende Spiele gewonnen.» Zugs Goalie hat die Schweiz 2018 in den Final gehext. Seither ist er für entscheidende Spiele in der Nationalmannschaft unbestritten die Nummer 1.

Ein hockeytechnisch alter Mann ist der Held des Spiels. Vor dem Turnier fragten mehrere ausländische Chronisten, ob Andres Ambühls WM-Aufgebot der Legendenbildung oder der Leistung geschuldet sei. Es gibt ja so Fälle, wo hin und wieder eine WM-Nomination mehr dem Namen und dem Kultstatus als der aktuellen Form geschuldet ist.

Gestern hat Andres Ambühl diese Frage beantwortet. Er erzielte das 2:1 und das 3:1. Nachdem er bereits gegen Kanada das 3:1 gebucht hatte. Drei Tore, seine Treffer Nummer 25, 26 und 27 bei seiner 18. WM-Teilnahme.

Andres Ambühl wird im September 40. Patrick Fischer sagt, er habe auch gespielt und könne sich nicht erklären, wie jemand in diesem Alter diese Leistung abrufen könne.

epa10644547 Switzerland's forward Andres Ambuehl (R) celebrates with team mates after scoring the 1-3 during the group B match between Czech Republic and Switzerland at the IIHF 2023 Ice Hockey W ...
Alle feiern den Oldie: «Büehli» trifft gegen Tschechien doppelt.Bild: keystone

Gegen Tschechien spielt Andres Ambühl mit Enzo Corvi (30). Das ist weiter nicht ungewöhnlich. Die beiden stürmen auch in Davos meistens in der gleichen Linie. Aber jetzt bilden Enzo Corvi und Andres Ambühl die Flügelzange um Nico Hischier. Gefühlt zum ersten Mal spielt Enzo Corvi als Flügel. Und es funktioniert.

Andres Ambühl ist kein Mann der grossen Worte. Er ist sichtlich gerührt. «Dass so viele Fans nach Riga gekommen sind, um uns zu unterstützen, ist schön. Wenn sie dann auch noch deinen Namen skandieren, erst recht.» Zu seinen zwei Treffern sagt er bescheiden: «Es waren schöne Pässe und die nimmt man gerne an.» Er wird gefragt, ob zwei Treffer gegen einen Grossen nicht speziell seien. Er sagt, das sei speziell. «Ich bin ja einer, der nicht viele Tore erzielt …»

Enzo Corvi und Andres Ambühl teilen sich bei dieser WM das Zimmer. Sie sind auch in der Freizeit meist zusammen unterwegs. Enzo Corvi sagt, man rede eigentlich nicht viel und wenn, dann nicht über Hockey. Auch im Zimmer nicht. «Ich schlafe so gegen elf Uhr ein und er schaut dann noch bis um eins oder halb zwei seine Serien. Ich weiss nicht einmal, was er schaut …» Enzo Corvi und Andres Ambühl verstehen sich eben ohne viele Worte. Das ist die Magie ihres Spiels.

Die taktisch schlauen, flinken Tschechen zu «knacken» ist schwierig. Zumal sie auch noch vom grossen Defensiv-Strategen Kari Jalonen dirigiert werden. Aber das Powerplay erweist sich als «Büchsenöffner»: Mit zwei Treffern in Überzahl machen die Schweizer aus einem 0:1 ein 2:1 und frei ist der Weg zum sechsten Sieg in Serie. Um korrekt zu sein: Das 2:1 fiel exakt eine Sekunde nach Ablauf des Überzahlspiels. Theoretisch also kein Powerplaytreffer. Aber praktisch schon. Das gute Überzahlspiel kann sich noch als goldener «Büchsenöffner» erweisen.

Die Schweizer stehen nach dem sechsten Sieg in Serie vorzeitig als Gruppensieger fest. Die letzte Partie am Dienstag gegen Lettland ist – zumindest für die Schweiz – ein reines Testspiel. Zum zweiten Mal hintereinander beenden wir die WM-Vorrunde auf Platz 1. Das WM-Team von Riga ist spielerisch das beste unserer Hockeygeschichte. Die Schweizer rocken Riga ohne Unterlass.

Die Frage nun: Können wir gar zum ersten Mal Weltmeister werden?

Oder wenigstens zum dritten Mal nach 2013 und 2018 den WM-Final erreichen? Oder haben wir erneut das Pulver zu früh verschossen? So wie vor einem Jahr, als wir als Gruppensieger und offensiv bestes Team des Turniers im Viertelfinal gegen die USA «zu null» (0:3) scheiterten?

Wir sind im Viertelfinal. Na und? Was noch vor 15 Jahren das Ziel aller Anstrengungen war, ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Aber den letzten Schritt ganz nach oben haben wir trotzdem immer noch nicht geschafft: die regelmässige Qualifikation für den WM-Halbfinal.

Patrick Fischer arbeitet an seiner grössten Herausforderung: Nichts ist so schwierig, wie eine «Kultur der entscheidenden Spiele» aufzubauen. Also die Fähigkeit, punktgenau die beste Leistung abzurufen und der immensen Belastung standzuhalten.

Der Nationaltrainer hat diese Saison – wie die Grossen – den Formaufbau auf die Viertelfinals gerichtet – und seine Mannschaft spielt trotzdem bereits vorher so gut wie vielleicht noch nie bei einer WM-Vorrunde. Sind die Schweizer erneut zu früh zu gut? Oder ist es ganz einfach die Spielstärke einer Mannschaft, die zu allem fähig ist?

Das ist die grosse Frage, die uns nun bis zum Viertelfinal am Donnerstag umtreiben wird. Vieles deutet darauf hin, dass der Gegner Deutschland heissen wird. Ausgerechnet Deutschland. Die letzten zwei Viertelfinals haben wir 2010 und 2021 gegen die Deutschen verloren.

Ob der Gegner Deutschland heisst oder nicht: So gut waren die Voraussetzungen für ein Vorrücken in den Halbfinal noch nie. Nicht einmal bei den Silber-Turnieren von 2013 und 2018.

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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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magnet1c
22.05.2023 06:08registriert Mai 2018
Viertelfinale voraussichtlich gegen Deutschland. Es ist angerichtet. Mamma Mia - dieses mal müssen wir Sie niederringen.
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Nummy33
22.05.2023 07:25registriert April 2022
ich würde gegen Lettland JVP spielen lassen
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Bruno Wüthrich
22.05.2023 08:41registriert August 2014
Ob nun Deutschland oder nicht, spielt keine Rolle. Die Schweiz hat keinen Angstgegner. Muss sie auch nicht haben. Wer den Viertelfinal erreicht, hat eine Mannschaft, die jeden besiegen kann. Die Ergebnisse aus den Vorrundenspielen zählen bei den Finalspielen nicht mehr. Die Tagesform ist fast noch entscheidenden als das Potential der Mannschaften. Denn da liegt alles so nah beieinander.

Die Schweiz ist in der Lage Weltmeister zu werden. Aber da sind sie nicht die Einzigen. Für mich gehören sie aber nun zu den Favoriten. Es sind diesmal die anderen, die Angst haben müssen. Auch die Deutschen!
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