Dilemma ist ein griechisches Wort. In einem solchen befindet sich die Eurozone nach dem unerwartet deutlichen Nein der Griechen zu den Spar- und Reformvorschlägen der internationalen Geldgeber. Wie es nun weitergeht, ist vollkommen unklar. Oder um es mit Sokrates zu sagen, dem grossen Philosophen der Antike: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.»
Diverse Szenarien sind möglich, von einem Happy End mit dem Gläubigern bis zum Chaos – auch ein griechisches Wort. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) wird sich am Montagnachmittag in einer Telefonkonferenz mit der Lage in Griechenland befassen. Erwartet wird, dass die EZB die faktisch bankrotten griechischen Banken über Ela-Notkredite (Emergency Liquidity Assistance) weiter mit Geld versorgen wird. Kritiker fordern einen Stopp dieser Hilfen, doch die EZB will nicht die Verantwortung für eine Staatspleite übernehmen, solange politisch weiter verhandelt wird.
Tuesday's #Eurogroup to start at 13:00; ministers expect new proposals from the Greek authorities. http://t.co/ahUb5LEmJI #Greece
— EU Council Press (@EUCouncilPress) July 6, 2015
Erste Gespräche finden am Montagabend in Paris zwischen Angela Merkel und François Hollande statt. Der Präsident dürfte die Kanzlerin zu Zugeständnissen an Griechenland drängen. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hat die Euro-Finanzminister für Dienstag 13 Uhr zu einer Sitzung aufgeboten. Um 18 Uhr folgt ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Länder. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras dürfte dann die von der EU geforderten neuen Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise vorlegen.
Am Sonntag triumphierte er. Tags darauf ist der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis überraschend zurückgetreten. Er begründete dies mit der «Abscheu der Geldgeber», doch auch Regierungschef Tsipras habe eine Demission als «möglicherweise hilfreich auf dem Weg zu einer Einigung» bewertet. «Tsipras opfert Varoufakis für eine letzte Chance», schrieb «Die Welt». Der Rücktritt sei «ein kluger Schachzug». Die «Süddeutsche Zeitung» bezeichnete ihn als «sehr gute Nachricht».
Tatsächlich hat es Varoufakis mit seinem konfrontativen Stil und seiner besserwisserischen Art geschafft, die Kollegen in der Eurozone gegen sich aufzubringen. Sein Abgang ist ein Indiz, dass Alexis Tsipras tatsächlich an einer «letzten Chance» zu einer Einigung mit den Gläubigern interessiert ist.
Die griechische Schuldenlast beträgt mehr als 300 Milliarden Euro. Das entspricht fast 180 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sie als kaum tragbar bezeichnet. Die Syriza-Regierung fordert deshalb einen Schuldenerlass von 30 Prozent.
Weil die Verbindlichkeiten weitgehend von den Banken auf die Staaten umgelagert wurden, müssten die Steuerzahler das Geld abschreiben. Ein Sprecher des deutschen Finanzministeriums erklärte am Montag, ein Schuldenschnitt sei «kein Thema». Er sagte aber auch, dass «wir uns mit der Schuldentragfähigkeit beschäftigen müssen».
Auffällig ist, dass Alexis Tsipras in seiner Fernsehansprache am Sonntag nicht von einem Schnitt sprach, sondern von einer Umstrukturierung der Schulden. Eine Erstreckung der Zahlungsfristen und eine Senkung oder Stundung der Zinsen könnte Griechenland spürbar entlasten. Diese Massnahme ist nicht unumstritten, der französische Notenbankchef Christan Noyer bezeichnete sie als «unerlaubte Staatsfinanzierung». Allerdings wären die griechischen Schulden bei einem Staatsbankrott ohnehin verloren.
Wenn es zu keiner Einigung zwischen Griechenland und den Geldgebern kommt, dürfte spätestens am 20. Juli die Stunde der Wahrheit schlagen. An diesem Tag muss die griechische Regierung 3,5 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen. Ist sie dazu nicht in der Lage, hat die Zentralbank nach Ansicht von Experten kaum eine andere Wahl, als die Ela-Kredite zu stoppen und den griechischen Banken den Geldhahn zuzudrehen. Der Staatsbankrott wäre Tatsache. Folglich bleiben noch maximal zwei Wochen, um Griechenland mit frischem Geld zu versorgen.
Selbst wenn Griechenland am 20. Juli pleite sein sollte, dürfte es nicht sofort zum Austritt aus der Eurozone, dem Grexit, kommen. Anders als in den blumigen Szenarien von Ökonomen wie Hans-Werner Sinn werden die Griechen nicht einfach den Schalter umdrehen und vom Euro zur Drachme wechseln. Vielmehr dürfte die Regierung Schuldscheine ausgeben oder eine Parallelwährung drucken und gleichzeitig versuchen, in der Eurozone zu verbleiben. Denn ein Rauswurf ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen.
Dieser «Schwebezustand» (auch Grimbo genannt) dürfte laut «Financial Times» monatelang anhalten. Anwälte der EU würden Überstunden einlegen, um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, schreibt die Zeitung. Die politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen dürften massiv sein. Die EU müsste vermutlich ein humanitäres Hilfsprogramm starten, um die Versorgung Griechenlands mit Lebensmitteln und Medikamenten sicherzustellen.