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Philippe Gaydoul im Interview: «Das Leben auf einer schönen Jacht zu verbringen, wäre schrecklich langweilig»

Philippe Gaydoul im Interview: «Das Leben auf einer schönen Jacht zu verbringen, wäre schrecklich langweilig»

Er ist der Enkel von Denner-Gründer Karl Schweri und hat viel von dessen Kampfgeist geerbt. Mit 26 wurde er Chef des Discounters, heute gehören ihm Luxusmarken. Ein persönliches Gespräch mit Philippe Gaydoul.
29.06.2015, 11:5829.06.2015, 12:44
Christian Dorer / Aargauer Zeitung
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Was pointierte Äusserungen betrifft, steht Philippe Gaydoul seinem verstorbenen Grossvater Karl Schweri in nichts nach. Vor den Mitgliedern des Business Club Mittelland fordert er von den Schweizer Politikern mehr Selbstbewusstsein. Von der Lage im Detailhandel zeichnet er ein düsteres Bild – und prophezeit Lohnreduktionen. Im Interview mit der «Nordwestschweiz» doppelt er nach.

Herr Gaydoul, Denner-Gründer Karl Schweri war Ihr Grossvater. Welche Eigenschaften haben Sie von ihm geerbt?

Philippe Gaydoul: Fleiss, Fleiss und nochmals Fleiss. Dazu eine realistische Selbsteinschätzung darüber, was ich kann und was ich nicht kann. Mein Grossvater war legendär und berüchtigt. Dadurch wurde mir auch bewusst, was ich anders machen wollte.

Ist Fleiss die wichtigste Eigenschaft, um Karriere zu machen?

Ohne Fleiss kein Preis – das hat mir mein Grossvater eingeimpft. Natürlich braucht es noch andere Komponenten, um Erfolg zu haben, vor allem engagierte, motivierte Mitarbeiter, Glück und eine Vision. Es ist zwar schön, wenn mir gesagt wird, ich habe bei Denner den Umsatz verdreifacht. Ich war jedoch nur ein kleines Puzzle-Teil des Erfolgs.

Wo sind Sie anders als Ihr Grossvater?

Ich habe Menschen lieber, als er sie hatte. Er schottete sich stark ab, war ein Einzelkämpfer. Und er stand neuen Technologien kritisch gegenüber. 1998 haben wir ernsthaft darüber diskutiert, ob wir in den Denner-Läden EC-Geräte einführen sollen oder nicht. Da wusste er nicht einmal, was das ist. Und was er nicht kannte, das brauchte es nicht.

Zur Person: Philippe Gaydoul
Der 43-Jährige ist Chef der Gaydoul Group, zu der u. a. die bekannten Schweizer Marken Navyboot, Fogal und Jet Set gehören. Philippe Gaydoul ist Enkel des legendären Denner-Gründers Karl Schweri (1917–2001). Beim Discounter des Grossvaters begann Gaydouls Karriere: Er absolvierte eine KV-Lehre und stieg steil auf – mit 26 war er der oberste Chef. In seiner Amtszeit verdreifachte er den Umsatz von einer auf drei Milliarden Franken. 2007 verkaufte die Familie Schweri-Gaydoul Denner an die Migros, bis 2012 blieb Gaydoul Verwaltungsratspräsident. Er war bis im Frühling dieses Jahres Mehrheitsaktionär und Präsident beim Eishockeyklub Kloten Flyers. Als Verwaltungsrat ist er dem Verein auch heute eng verbunden. Gaydoul ist liiert mit «SonntagsBlick»-Chefredaktorin Christine Maier. Aus seiner früheren Ehe hat er einen 11-jährigen Sohn. (ChD)

Ihr Grossvater machte Sie mit 26 zum Chef von Denner und Chef von Tausenden von Mitarbeitern. Haben diese den jungen Enkel akzeptiert?

Ich wollte keinesfalls meinen Grossvater imitieren, ich wollte meinen eigenen Weg gehen. Die Mitarbeiter sollten ihr Vertrauen zu mir aufbauen, die Kompetenz wollte ich mir selber erarbeiten. Ich stand auch immer zu meinen Fehlern. Einer meiner Grundsätze, der bis heute gilt: Man darf sich nicht zu wichtig nehmen.

Mussten Sie sich mehr beweisen, weil Sie der Enkel des Gründers waren?

Ich habe mir das eingebildet, ja. Aber diesen Druck habe ich mir selber gemacht, der kam nicht von aussen. Bei den Mitarbeitern war das schnell kein Thema mehr, dass ich der Enkel war.

Ihr Grossvater war in der Öffentlichkeit präsent und gefürchtet, er lancierte Volksinitiativen und wollte mitgestalten. Warum hört man von Ihnen nie etwas?

Ich finde, man hört eher zu viel von mir ... Es gibt viele intellektuelle Köpfe in diesem Land, ich weiss nicht, ob es mich da auch noch braucht. Ich kümmere mich um meine Unternehmen. Und natürlich habe ich eine Meinung: Wenn ich die wirtschaftliche Situation betrachte, dann stelle ich fest, dass zu wenig passiert. Was tun die grossen Wirtschaftsverbände? Wann hört man endlich etwas vom Wirtschaftsminister?

Was möchten Sie denn von ihm hören?

Dass die Probleme angepackt werden! Im Moment jedoch vertrauen alle, leider auch die Politiker, blind auf die Stärken der Schweiz und sagen: Es ging immer gut, also bleibt auch alles gut. Das ist brandgefährlich. Ich bin überzeugt, wir unterschätzen die derzeitige Situation. Wir meinen, das sind nur ein paar dunkle Wolken, die wieder vorbeiziehen. Dabei haben wir mit Frankenstärke und Zuwanderung tiefgreifende Probleme.

Es ist einfach, die Politik zu kritisieren. Warum aber engagieren Sie sich nicht selber?

Ich bin ein politisch stark interessierter Mensch, aber ich kann mich mit keiner Partei identifizieren. Die aktive Politik wäre nichts für mich. Hingegen finde ich, dass Politiker zu wenig geachtet werden. Sie haben einen undankbaren Job, arbeiten viel, verdienen mittelmässig, ihr Einfluss ist beschränkt und am Ende werden sie immer gerügt. Der Respekt gegenüber Politikern sollte wieder steigen.

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Bild: KEYSTONE

Warum gibt es im Parlament fast keine Unternehmer mehr?

Der zeitliche Aufwand in der Politik ist mittlerweile enorm. Ich wüsste nicht, wo ich diese Zeit hernehmen sollte. Ich fände es schwierig, ein Leben als Unternehmer und als Politiker unter einen Hut zu bringen. Aber klar: Man merkt an vielen unsinnigen und wirtschaftsfeindlichen Vorstössen und Beschlüssen, dass nicht mehr viele Unternehmer in Bundesbern sind.

Wo sehen Sie das grösste Problem?

In der Schweizer Grundhaltung! Wir haben Hunger und Biss verloren. Wir sind satt geworden, wir gehen keine Risiken mehr ein, wir verharren im Erreichten und meinen, dass alles so goldig bleibt, wie es bisher war. Verzeihen Sie den Vergleich – aber eine fette, vollgefressene Sau im Stall hat auch keinen Antrieb mehr. Dazu kommt das verloren gegangene Selbstvertrauen. Kaum gibt es Ärger, ducken wir uns statt hinzustehen und zu kämpfen. Es ist ja nicht auszuhalten, wenn man sieht, wie ein Bundesrat nach dem anderen nach Brüssel pilgert und einknickt. Ich ärgere mich zwar täglich über das Verhalten der Griechen. Doch an deren Kampfeswille und Sturheit sollte sich die Schweiz ein Beispiel nehmen: Genauso selbstbewusst waren die Schweizer früher auch mal. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Griechen! Uns geht es nicht per Zufall so gut, sondern weil wir für unsere Interessen gekämpft haben.

Das tönt ja schön und gut – aber was konkret soll der Bundesrat denn tun in den Verhandlungen mit der EU?

Sagen wir es mal so: Wenn ich als Verhandlungspartner von Anfang an weiss, dass ich nur mit den Fingern schnippen muss und der andere knickt ein, sind die Verhandlungen schnell und einfach. Es gibt viele Themen, bei denen wir wussten, dass sie eines Tages zum Problem würden – Beispiel Bankgeheimnis. Beim ersten Schuss ist die Schweiz paralysiert: Wir sind nicht vorbereitet, haben keine Strategie.

Herr Gaydoul, Sie und Ihre Familie haben Denner 2007 an die Migros verkauft. Wie oft haben Sie diesen Entscheid schon bereut?

Noch nie. Es war damals der richtige Moment und gut für das Unternehmen, wie man an der positiven Entwicklung von Denner sieht. Der Entscheid wurde natürlich nicht über Nacht gefällt. Wir sind nach intensiven Abklärungen zum Schluss gekommen: Langfristig ist der Verkauf das einzig Richtige.

Das tönt sehr abgeklärt. Bei vielen Familienunternehmen jedoch besteht das oberste Ziel darin, es an die nächste Generation weiterzugeben.

Ich kann nicht für meinen Sohn bestimmen, was er machen soll. Wenn er zum Beispiel Dirigent werden will und das Unternehmertum ihn nicht interessiert, dann habe ich als Vater das zu akzeptieren. Ich denke, junge Unternehmer gehen damit sowieso pragmatischer um.

Sie haben aus dem Verkauf so viel Geld erhalten, dass Sie nie mehr arbeiten müssten. Warum tun Sie es trotzdem?

Weil es schrecklich langweilig wäre, das Leben auf einer schönen Jacht zu verbringen. Ich will etwas bewegen. Ich finde es schade, wenn man die finanziellen Mittel hat und sie nicht nützt. Und: Zum Glück gibt es Leute, die arbeiten, ohne dass sie es müssten. Geld ist schön und gut, es gibt Sicherheit, aber keine Befriedigung. Wenn ich nichts riskiere, gewinne ich auch nichts.

Als Denner-Chef wurden Sie 2005 noch zum «Unternehmer des Jahres» gewählt. In Ihrem neuen Geschäft hagelt es Kritik. Wie gehen Sie damit um?

Indem ich solche Kritiken nicht lese. Und indem ich Lob auch nicht überbewerte. Dass ich zum Unternehmer des Jahres gewählt wurde, war zwar nett, aber diese Auszeichnung galt dem ganzen Team und nicht mir allein. Die Medien neigen dazu, einen in den Himmel zu heben, wenn es gut läuft, und niederzuschreiben, wenn es mal anders ist. Beides ist übertrieben. Wenn Sie in Amerika keinen Knick in der Karriere haben, gelten Sie als suspekt. In der Schweiz ist es umgekehrt.

Besprechen Sie solche Dinge mit Ihrer Partnerin, «SonntagsBlick»-Chefredaktorin Christine Maier?

Natürlich.

Sie haben im April die Kloten Flyers verkauft. Die NZZ schrieb darauf: «Er riss vieles an, führte aber nur wenig zu Ende.»

Mein Ziel war es nie, langfristig einen Hockeyklub zu besitzen. Als Kloten damals in finanzielle Probleme geriet, entschieden wir spontan, den Klub zu retten. Uns war klar, dass es nur eine Übergangslösung sein kann.

Sie haben dabei viel Geld verloren.

Ja und?

Und mit Ihrer Premium-Schuhmarke Navyboot schrieben Sie bis anhin nur Verluste, für 2015 stellten Sie einen Gewinn in Aussicht. Wie sieht es aus?

Wir kämpfen. Nichts ist sicher – und daran müssen wir uns gewöhnen. Wir waren gut unterwegs, doch der erstarkte Franken hat auch uns hart getroffen, wie den gesamten Detailhandel.

Wie gut oder schlecht geht es dem Detailhandel?

Zurzeit leiden alle Detailhändler – egal ob teuer oder günstig, ob Food oder Elektronik. Wer etwas anderes behauptet, der beschönigt die Situation. Jede Unternehmung muss über die Bücher. Der Handel wird schrumpfen, Läden werden schliessen, Firmen zum Verkauf angeboten.

Muss der starke Franken nicht für etwas gar viel hinhalten? Sie produzieren in Italien. Da können Sie ja nun auch günstiger einkaufen.

Das stimmt, doch gleichzeitig mussten wir auch die Verkaufspreise senken, selbst auf Ware, die wir noch teurer eingekauft haben. Selbst jetzt sind wir noch teurer als unsere Filialen im Ausland. Wir versuchen, zwischen Deutschland und der Schweiz eine Preisdifferenz von 20 Prozent zu halten. Das ist vertretbar, mehr jedoch nicht. Doch jammern bringt nichts. Der Schweizer Detailhandel hat noch nie eine so harte Phase erlebt. Der Einkaufstourismus ist verheerend.

Sie haben ihn auch mal als «unpatriotisch» bezeichnet. Doch ist es nicht einfach der freie Markt, dass die Leute dort einkaufen, wo es am günstigsten ist?

Klar, man kann auch sagen: Der Schweizer Lebensmittelhandel hat jahrelang kassiert. Er ist bis zu einem gewissen Grad selber schuld. Und ich behaupte auch: Da gibt es noch viel Luft für Preiskorrekturen nach unten. Ich kenne das Geschäft ...

Die Detailhändler geben den schwarzen Peter den internationalen Konzernen weiter, die in der Schweiz bewusst mehr verlangen.

Ja, und die Schweiz lässt das zu, was ich unglaublich finde. Endlich wurde das Cassis-de-Dijon-Prinzip eingeführt, was Importe günstiger macht. Nach zwei Jahren wollte es die Politik auf Druck der Bauern bereits wieder abschaffen. Sie haben, so hat man das Gefühl, mehr zu sagen als die restliche Wirtschaft. Und der Konsument zahlt am Ende zu viel.

Werden auch Lohnsenkungen zum Thema?

Ja – und gut schweizerisch wird es einschlagen wie ein Blitz, weil wir bis zuletzt hoffen, dass es nicht passieren wird. Aber wir werden gar nicht darum herumkommen. In Deutschland kostet ein Ladenmitarbeiter rund acht Euro pro Stunde, bei uns ein Vielfaches. Es wird der Tag kommen, an dem wir über Löhne diskutieren müssen. Nur ausgeben und nicht einnehmen, geht nicht – auch als sozialster Chef nicht. Wir haben Lohnsenkungen auch innerhalb der Gaydoul Group diskutiert und werden einen konkreten Vorschlag ausarbeiten. 80 Prozent unserer Mitarbeiter arbeiten in den Läden, sie werden nicht tangiert. Wir packen uns die Löhne von oben her an.

Damit riskieren Sie, die besten Köpfe zu verlieren.

Das darf eben nicht passieren. Vielleicht gibt es kreative Ansätze, zum Beispiel eine temporäre Lösung, gekoppelt mit dem Ergebnis der Unternehmung, oder ein Beteiligungsmodell.

Wo liegt eigentlich der Unterschied, ob Sie einen Discounter wie Denner oder eine Edelmarke wie Navyboot führen?

Es gibt keinen. Sie haben Umsatz, Margen und Kosten, Sie haben mit Kunden und Mitarbeitern zu tun. Die Kostenstruktur bei Navyboot ist natürlich höher, daran musste ich mich gewöhnen. Die Prozesse und Abläufe sind aber die gleichen.

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Beim Discounter ist der Preis sehr entscheidend.

Der Preis ist überall entscheidend, aber nicht alles entscheidend. Es braucht auch eine gehörige Portion Kreativität. (aargauerzeitung.ch)

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