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Rosa von Praunheim über «Härte», Katy Karrenbauer, Schweiger

Die wahre Geschichte einer sadomasochistischen Liebe: Andreas Marquardt (Hanno Koffler) und Marion Erdmann (Luise Heyer).Bild: Filmcoopi

Harem-Fantasien und das falsche Schamhaar der Katy Karrenbauer: Rosa von Praunheim im Interview

Da trifft man an einem unschuldigen Sommerabend in einem Zürcher Café auf den deutschen Regisseur Rosa von Praunheim. Und der redet über – alles. Und über seinen neuen Dokfilm «Härte».
01.09.2015, 11:0203.09.2015, 16:31
Simone Meier
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Wo sollen wir reden? Drinnen oder draussen?
Ach, entscheide du, ich gehorche. Du bist die Domina.

Das hab ich ja schon lang nicht mehr gehört!
Siehst du, da hab ich doch was getroffen. Welches Sternzeichen bist du? Lebst du in einer Beziehung? Gehst du fremd?

Fische. Ja. Nein. Und du? Gehst du fremd?
Fremdgehen bringt doch erst das Salz in die Beziehung! Aktuell leb ich mit zwei Männern zusammen.

Und die haben auch was miteinander oder nur mit dir?
Nein, die haben nichts miteinander. Die akzeptieren sich, es ist wie eine kleine Familie. Mit Mike bin ich seit 38 Jahren zusammen, das war fünf Jahre lang eine Liebesgeschichte, seither ist er wie mein Bruder, ich würde für ihn sterben. Olli ist jetzt seit siebeneinhalb Jahren bei uns. Aber ich bin sehr promisk, ich würde auch nicht heiraten.

Würdest du heiraten mögen, wenn es die Vielmännerei gäbe?
Nein, grundsätzlich nicht. Aber ich würde gerne in einem Matriarchat leben, wo eine Frau mehrere Männer haben kann. Ich würde gern einer von diesen Männern sein. Ich fände es erotisch, mit anderen Männern in einem Harem zu leben.

Aber dann müsstest du doch auch mit der Frau Sex haben!
Ich hatte mit Frauen Sex in meiner Jugend, ich fand das wunderbar. Das Problem war psychisch: Das Verliebtsein kam immer von den Frauen, und ich konnte das nicht erwidern, nur sexuell. Das fand ich ungerecht. 

Diese Mutter (Katy Karrenbauer) ist der Dämon. 
Diese Mutter (Katy Karrenbauer) ist der Dämon. Bild: Filmcoopi
Rosa von Praunheims «Härte»
Als der kleine Andreas Marquardt ein paar Monate alt ist, stellt ihn sein Vater im Winter auf den Balkon, übergiesst ihn mit Wasser und hofft, dass er stirbt. Der Vater wollte eine Tochter. Dafür liebt ihn die Mutter (Katy Karrenbauer) umso mehr: Er ist sechs, als er anfangen muss, sie zu befriedigen, zwölf, als er mit ihr schläft. 

Dann beginnt sein «Hassprogramm Frau». Und aus Andreas, dem missbrauchten Karate-Kid, wird Andreas (Hanno Koffler), der gewalttätige Zuhälter. Die schöne Marion (Luise Heyer) wird seine beste Prostituierte und grosse Liebe. Andreas kommt ins Gefängnis. Sie bleibt ihm treu. Heute sind die beiden um die 60, machen Kinderarbeit und wollen heiraten. Hardcore-Doku über eine Berliner Milieu-Legende mit Happy End und enorm beeindruckenden Spiel-Szenen. Ab 3. September im Kino.

Frauen haben also durchaus eine Anziehungskraft für dich.
Was mich reizt sind Frau-zu-Mann-Transsexuelle. Die find ich wahnsinnig erotisch. Die Sache mit dem künstlichen Penis ist ja sehr schwer. Meistens ist es so, dass die Brust abgeschnitten wird, aber die Vagina bleibt. Ich finde diese männliche Ausstrahlung kombiniert mit einer Vagina toll.

Bist du deshalb so von Katy Karrenbauer fasziniert? Weil sie eine so maskuline Ausstrahlung hat?
Nein, Katy Karrenbauer hat einfach eine unheimliche Freiheit. Sie ist überhaupt nicht spiessig. Beim Dreh lief sie nackt rum und hatte sich extra noch von der Maskenbildnerin Schamhaare machen lassen, weil man sich ja in den 70er-Jahren nicht rasiert hat. Sie ist frei, sie ist locker und sie hat enorm viel Humor. Sie hat in Berlin einen enormen Kult-Charakter, ich würde sehr gern mit ihr weiterarbeiten. 

Das war mir gar nicht bewusst. Hier kennen wir Katy Karrenbauer ja bloss aus der Frauenknast-Serie «Hinter Gittern» und aus dem Dschungelcamp.
Ja, furchtbar. Man meint, sie sei nur Trash, dabei ist sie so eine grosse Charakterdarstellerin. Wir hatten ja bloss vier Tage Zeit, weil sie auch noch am Theater engagiert war, und die Arbeit mit ihr war für uns alle eine grosse Überraschung. Es ist ja normalerweise so: Wenn du einen Schauspieler fragst, ob er nackt spielen kann, müssen zuerst ganz viele Verträge unterzeichnet werden. Dieses Unangenehme überträgt sich dann auch auf mich als Regisseur und so weiter.

«Der Macker kriegt immer Applaus. Auch für seine Gewalttätigkeit.»

Aber zu «Härte»: Wie kommt ein schwuler Regisseur dazu, das Leben eines so brutalen Hetero-Mackers wie Andreas Marquardt zu verfilmen?
Das liegt an Marquardts Autobiografie. Das Buch ist ja im Gefängnis entstanden, zusammen mit Marquardts Psychologen. Und der wiederum hatte zwei Jahre vor der Wende das erste Schwulenbuch der DDR publiziert. Seit der Wende kennen wir uns, so bin ich zu Marquardt gekommen.

Endlich alles gut: Marion Erdmann und Andreas Marquardt heute.
Endlich alles gut: Marion Erdmann und Andreas Marquardt heute.Bild: Filmcoopi

Trailer zu «Härte»

Im letzten Dezember wurde Marquardt vom Papst gesegnet – für sein Engagement für Kinder. Zwischen seiner eigenen Kindheit und seiner Läuterung liegen aber ein paar Jahrzehnte als Zuhälter und Schläger.
Ach, geläutert ... das Furchtbare ist ja, dass der Macker immer Applaus kriegt, auch für seine Gewalttätigkeit, die Frau wird meistens verachtet. Marion Erdmann hat alle ihre Freunde verloren, als das Buch erschien und drin stand, dass sie für Andreas Marquardt anschaffen gegangen war. Aber für ihn gibt's noch immer eine gewisse Bewunderung. In jedem Krimi wird ja der Mörder zum Heroen.

Marions Freunde wussten das nicht?
Sie führte eine teilweise bürgerliche Existenz. Während ihrer Zeit als Prostituierte arbeitete sie tagsüber als Sekretärin. Als Andreas im Gefängnis sass, leitete sie sein Fitnessstudio. Sie ist eine scheue Persönlichkeit, die sich von diesem dominanten Mann angezogen fühlte.

Eine masochistische Frau?
Ich glaube, alle Frauen sind durch die kulturelle Entwicklung masochistisch erzogen worden. Die Regel, die du als Frau von klein auf erlebst, heisst ja, dass du es schwerer hast, dass du dich anpassen und unterwerfen musst.

«Til Schweiger will als Person kein Sympathieträger sein. Deshalb fällt es auch so schwer, ihn zu mögen.»

Manchmal geht es schwulen Männern aber auch wie Frauen. Zum Beispiel bei deinem Hassthema Religion.
Ich hasse die Religion nicht, die Religion hasst mich. Und sie diskriminiert Frauen genauso wie Homosexuelle. In keiner Religion kommen emanzipierte Frauen vor, Schwule genauso wenig.

Du als politisch engagierter Kulturschaffender, was hältst du eigentlich von der ganzen Til-Schweiger-Debatte?
Ach, das ist doch prima, was der macht! Grossartig! Er hat sich ja nie als sympathischer Mensch in der Öffentlichkeit präsentiert, das ist ja sein Image. Der Proll, der Spröde. Als Person will der kein Sympathieträger sein. Das macht der einfach nicht. Deshalb fällt es auch schwer, ihn zu mögen. Aber dass er sich derart engagiert und so viel Hass auf sich nimmt, das ist mutig. Sehr mutig. Aber seine Filme ...

Extase und Erniedrigung: Andreas Marquardt richtet Marion ab.
Extase und Erniedrigung: Andreas Marquardt richtet Marion ab.Bild: Filmcoopi

... werden dadurch weder schlechter noch besser.
Ja, aber Unterhaltung zu machen, ist eine grosse Kunst. Was wir andern alle nicht schaffen, nämlich ein grosses Publikum zu finden, das schafft er mit Leichtigkeit. Er macht ja nicht etwas Reaktionäres, das sind ja grosse Themen. Til Schweiger ist für mich eine grosse Begabung.

Was kuckst du selbst gern?
Amerikanische Serien. «Homeland», «Breaking Bad» natürlich, «Orange Is the New Black» ist fantastisch, jetzt schau ich grad «Bates Motel». Vom Schauspielerischen, von der Dramaturgie her ist das einfach die ganz grosse Kunst.

Hast du nicht selbst mal ein Serienprojekt entwickelt?
Jaja, aber das ist bis jetzt leider von keinem Sender akzeptiert worden, vielleicht wird es ja noch was. Es wäre eine Stadt-Land-Geschichte von einem schwulen Saunabesitzer aus der Stadt, der eine schwierige Kindheit auf dem Dorf hatte. Sein Vater liegt im Sterben, er geht aufs Land zurück und trifft dort einen 15-Jährigen, dem es so ähnlich geht wie ihm früher. Er beschliesst, dort zu bleiben und ein Kulturzentrum zu eröffnen. Aber ich lass mich nicht entmutigen. Es ist der Kampf, der einem gut altern lässt.

Das klingt melancholisch.
Na ja, in sieben Jahren bin ich 80. Die Kräfte schwinden, ich muss schnell arbeiten. Das Wichtigste ist, kreativ zu sein. Es ist doch toll, wenn man im Alter noch Arbeit hat. Ich kann seit fast 50 Jahren davon leben.

Und du hast zwei Männer!
Ja. Ein grosses Glück. Zwei wunderbare Männer.

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