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Asiatische-Touristen werden wegen Angst vor Corona-Virus diskriminiert

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Kommentar

Asiatische Touristen: Wenn Angst vor dem Corona-Virus diskriminierend wird

Angst berechtigt zu Misstrauen, findet unser Autor. Verunglimpfen darf man asiatisch aussehende Menschen wegen des Virus aber nicht.
04.02.2020, 20:2304.02.2020, 20:28
Christoph Bopp / ch media
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Der Kollege hielt sich am Wochenende am Bodensee auf, sah eine Gruppe (vermutlich) chinesischer Touristen aus dem Car steigen und ertappte sich beim Gedanken, wie sich wohl der Car-Chauffeur nun fühle. Die Nachbarin hatte schon lange ihre Freundinnen ins Chinesische Restaurant eingeladen für nächsten Mittwoch – eine sagte ab, aus Bedenken wegen des Virus.

Mittlerweile hat wohl schon jeder eine solche Geschichte gehört. Die Logik dahinter geht so: Chinesen oder Menschen, die asiatisch aussehen, könnten Träger des Corona-Virus sein. Deshalb sind sie gefährlich. Und es ist deshalb berechtigt, dass man sich ihnen gegenüber anders verhält, als man es sonst wohl tun würde.

Ist das Rassismus?

Der Begriff der «Rasse» hatte (auf Menschen angewandt) zwei Funktionen. Er dient zum Unterscheiden. Früher war es das Aussehen; dann verfeinerte man ihn zum «biologischen (oder ethnischen) Rassismus»: Abstammung sei von Bedeutung. Mittlerweile ist klar, dass «Rasse» keine wissenschaftliche Grundlage hat. Der genetische Unterschied zwischen zwei «Schweizern» kann grösser sein als der zwischen einem Europäer und einem Afrikaner.

Die zweite Funktion ist die Diskriminierung. Das auffälligste Beispiel für Rassendiskriminierung ist die sogenannte «White supremacy», der Glaube, dass Menschen weisser Hautfarbe anderen Menschen a priori überlegen sind – nicht unbedingt in allen, aber doch in den für relevant erklärten Belangen. Der von den Nationalsozia­listen praktizierte Arier-Antisemitismus folgte der gleichen Logik.

So gesehen ist der Corona-verdächtige Chinese nicht ein rassistisches Phänomen. Vielleicht Träger des Virus zu sein, ist ein zufälliges, akzidentielles, aber kein wesentliches Merkmal.

Was ist es dann?

Das Virus ist gefährlich. Gefahr erzeugt Angst. Angst vor Ansteckung berechtigt zum Misstrauen gegenüber allem, was chinesisch anmutet, weil das Virus aus den Gegenden kommt, woher auch diese Menschen kommen.

Angst haben ist ok, aber es ­berechtigt deswegen zu nichts.

Angst ist eine Grund-Emotion des Menschen. Sie ist kein Gefühl. Der Unterschied liegt darin, dass der Angst ein körperliches Unbehagen zugrundeliegt. Irgendetwas regt sich in uns und unser Körper will uns zu einer Reaktion bewegen. Meistens Flucht oder Aggression. Angst ist die Wahrnehmung dieses Unbehagens. Angst ist ein Bewusstseinsphänomen.

Angst an sich ist deshalb weder rational noch irrational. Aber man kann sie rationalisieren. Das «Wovor» der Angst lässt sich benennen und bewerten. Daraus erst kann man dann eine allfällige Berechtigung ableiten, so oder so zu handeln. Es gibt kein Menschenrecht auf Angst und deshalb ist der argumentatorische Rückgriff einfach auf die Tatsache, dass ich Angst habe, nicht gültig.

Was heisst das konkret?

Dass ich ein Unbehagen verspüre, wenn ich an das Virus denke, ist biologisch bedingt und deshalb normal. Ich soll das Virus meiden. Ich kann daraus ableiten, dass man nicht nach China reisen sollte. (Die Flugunternehmen reagieren in der Regel sehr schnell auf solche Dinge.) Wie ich im Alltag auf Menschen reagiere, die asiatisch aussehen, sollte aber von Überlegungen abhängen, die ich gemacht habe.

Wie wahrscheinlich ist es, dass diese oder jene Person wirklich mit dem Virus herumläuft? (Das hat auch mit dem Vertrauen in die Abschottungspolitik des chinesischen Staates zu tun.) Wie «gefährlich» ist das Virus wirklich in dieser aktuellen Situation für mich? (Die Situation kann sich allerdings schnell ändern.)

Oft, wenn es um Gefahren und Risiken geht, kommen statistische Grössen ins Spiel. Bei Epidemien ist oft von Begriffen wie Ansteckungsrate, Ausbreitungsgeschwindigkeit oder Letalität die Rede. Statistik ist zugegebenermassen nicht ganz einfach zu verstehen, aber hier muss es sein.

Ins gleiche Fach fallen auch andere «Gefährlichkeiten» (Ausländerkriminalität zum Beispiel). Gültig bleibt, dass man sich von «Angst» allein nicht zu irgendwelchen Handlungen berechtigt fühlen darf. Angst ist argumentativ nichts anderes als ein Vorurteil.

Diese Sichtweise wird es schwer haben, auf Akzeptanz zu stossen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es sich eingebürgert hat, Emotionen nicht nur zuzulassen, sondern auch als Standpunkte und Argumente in Diskussionen zu akzeptieren. «Ich habe einfach Angst.» Ende der Diskussion.

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58 Kommentare
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Nonald Rump
04.02.2020 21:18registriert Juli 2015
Kann die Angst auch vor einer Überreaktion der Medien stammen? Wenn zum Beispiel Onlineportale sofort einen Liveticker zum Thema aufschalten, kann das halt schon verwirrend rüberkommen...
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neutrino
04.02.2020 21:28registriert Mai 2017
Generell tut etwas Gelassenheit gut - ich bin Halbasiate und ja, man merkt die Angst anderer teilweise im Alltag (Tram, etc.). Aber ja, ich verstehe das auch irgendwie, finde es deshalb auch nicht so tragisch.

Schade finde ich, dass die Haltung gegenüber Asiaten in der Schweiz irgendwie feindseliger geworden ist (im Vergleich zu früher - bin in den 80er geboren). Hat meiner Meinung mit der Masse der chinesischen Touristen begonnen. Ich verstehe, dass das zB. in Luzern too much ist, aber ich habe mit China rein gar nichts am Hut und werd dann halt zT. übel beleidigt.
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AsIfIWouldKnow
04.02.2020 20:59registriert November 2019
Das traurige: Die normale, jährliche Influenza hat schon jetzt viel viel mehr Opfer gefordert als der Coronavirus... Diese Panikmache der Medien führt genau zu solchen stupiden Gedanken... es gibt ca 4 Mia Asiaten und ca 20 000 davon sind infiziert...
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