Ein Co-Pilot einer Lufthansa-Maschine hat auf einem Flug von Frankfurt nach Sevilla einen schweren medizinischen Vorfall erlitten. Da der Kapitän das Cockpit für eine Toilettenpause verlassen hatte, flog das Flugzeug rund zehn Minuten ohne aktive Pilotenkontrolle über den Autopiloten weiter. Das geht aus dem nun veröffentlichten Abschlussbericht der spanischen Flugunfalluntersuchungsbehörde CIAIAC hervor. Der Vorfall hatte sich bereits im Februar 2024 ereignet.
Mit 199 Passagieren und sechs Crewmitgliedern an Bord befand sich der Airbus A321-200 im Reiseflug über Spanien, als es zum Zwischenfall kam. Auf etwa 10'700 Meter Höhe verliess der Kapitän für eine Toilettenpause das Cockpit. Währenddessen verblieb der Erste Offizier dort. Gerade einmal 36 Sekunden nachdem der Kapitän das Cockpit verlassen hatte, zeichnete der Voice Recorder des Flugzeugs «verdächtige Geräusche» auf. Kurz darauf erlitt der Erste Offizier einen Krampfanfall und verlor das Bewusstsein.
Laut Bericht löste der Erste Offizier während des Anfalls unabsichtlich mehrere Schalter aus. Unter anderem wurde ein Flugsteuerungsrechner deaktiviert, was einen Warnalarm auslöste. Der Autopilot blieb jedoch aktiv und hielt das Flugzeug stabil.
Etwa acht Minuten nach dem Verlassen des Cockpits kehrte der Kapitän zurück. Er versuchte insgesamt fünfmal, die Cockpit-Tür mit dem Standard-Türcode zu öffnen – jedoch ohne Erfolg. Eine Flugbegleiterin versuchte vergeblich über das Interphone Kontakt zum Cockpit aufzunehmen.
Daraufhin gab der Kapitän den Notfallcode in das Zugangssystem der Tür ein, was im Cockpit einen lauten Alarm auslöste. Kurz vor der automatischen Türöffnung entriegelte der Co-Pilot, der mittlerweile wieder teilweise zu sich gekommen war, die Tür manuell.
Als der Kapitän feststellte, dass der Co-Pilot stark schwitzte, bleich war und sich unkontrolliert bewegte, zogen die Flugbegleiter einen mitreisenden Arzt zur notärztlichen Unterstützung hinzu. Gemeinsam leisteten sie dem Bericht zufolge anschliessend in der Bordküche Erste Hilfe.
Der Kapitän meldete einen medizinischen Notfall und steuerte den nächstgelegenen Flughafen an. Nur etwa 18 Minuten nach Wiederübernahme der Kontrolle landete der Airbus sicher auf der Landebahn 32L des Flughafens Madrid-Barajas. Dort übernahmen Rettungskräfte die Versorgung des Co-Piloten, der direkt ins Krankenhaus kam.
Lufthansa gab im Rahmen der Ermittlungen an, dass der betroffene Erste Offizier nach kurzer Genesung das Krankenhaus wieder verlassen konnte; über seinen fliegerischen Dienststatus wurde aus Datenschutzgründen nichts öffentlich mitgeteilt.
Die Reaktion der Crew wird im offiziellen Untersuchungsbericht als professionell und «wirkungsvoll» beschrieben. Auch die ärztliche Notfallversorgung des Co-Pilots durch die Kabinencrew und den Passagier stellt der Bericht positiv heraus.
Nach dem verheerenden Absturz einer Germanwings-Maschine in den französischen Alpen vor mittlerweile zehn Jahren empfahl die europäische Luftsicherheitsagentur EASA den Airlines in Europa, während Toilettenpausen eines Piloten immer ein weiteres Crew-Mitglied ins Cockpit kommen zu lassen. Zum Zeitpunkt des Vorfalls über Spanien im Februar 2024 galt diese Regel jedoch schon nicht mehr.
Denn die EASA passte ihre Empfehlungen an: Die ursprünglich im März 2015 herausgegebene Stellungnahme zur Mindestbesetzung im Cockpit wurde 2016 bereits wieder überarbeitet. Statt einer ständigen Zwei-Personen-Besetzung empfahl die EASA fortan, dass Fluggesellschaften individuelle Risikobewertungen durchführen und auf dieser Grundlage selbst entscheiden sollen, ob sie die Massnahme beibehalten.
Nun wendet sich der aktuelle Untersuchungsbericht wieder an die europäische Flugsicherheitsbehörde und damit indirekt auch an alle Fluggesellschaften: Die Cockpit-Besetzungsregeln seien erneut zu überdenken, um sicherzustellen, dass jederzeit mindestens zwei Personen im Cockpit anwesend sind. In den USA ist eine solche Regelung bereits gesetzlich vorgeschrieben.
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