Nach tagelangen Kämpfen haben Kämpfer der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) offenbar die gesamte syrische Stadt Palmyra unter ihre Kontrolle gebracht. Die Regierungstruppen haben sich von allen Positionen in der Stadt und ihrer Umgebung zurückgezogen.
Dies erklärten die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und andere Aktivisten am Donnerstag. Stützpunkte des Militärgeheimdiensts in der Wüste sowie der Militärflughafen und das Gefängnis von Palmyra seien aufgegeben worden. Die Dschihadisten seien in der Nacht in die Haftanstalt eingedrungen. Der IS kontrolliere nun die Hälfte Syriens, hiess es.
Die Erkenntnisse der Beobachtungsstelle stammen aus einem Informantennetzwerk in Syrien, sie können von unabhängiger Seite kaum überprüft werden. Ein Vertreter der syrischen Sicherheitskräfte hatte zuvor den Vormarsch der Dschihadisten bestätigt.
Das staatliche Fernsehen hatte zudem berichtet, regierungstreue syrische Milizen hätten nach dem Einrücken von IS-Kämpfern in Palmyra mit der Evakuierung der antiken Stadt begonnen. Mit der Eroberung Palmyras wäre für die IS-Kämpfer auch der Weg in die grösstenteils vom Regime gehaltene Stadt Homs frei.
Der IS-Vormarsch gefährdet die gut erhaltenen Ruinen aus den ersten Jahrhunderten nach Christus. Die ehemalige Handelsmetropole gilt als einer der bedeutendsten Komplexe antiker Bauten im Nahen Osten. Die UNESCO hatte Palmyra zur Weltkulturerbstätte ernannt.
Kunst und Architektur von Palmyra entstanden an der Kreuzung mehrerer Zivilisationen: Sie verbanden griechisch-römische Techniken mit lokalen Traditionen und persischen Einflüssen. Eine Kolonnadenstrasse von 1100 Metern Länge bildete die monumentale Achse der Stadt.
«Die Lage ist sehr schlimm», sagte der Leiter der syrischen Altertümerverwaltung, Mamun Abdelkarim. «Wenn nur fünf IS-Kämpfer die antiken Stätten betreten, werden sie alles zerstören.» Hunderte Statuen des örtlichen Museums wurden bereits aus der Stadt geschafft. Andere Exponate – zum Beispiel antike Gräber – können hingegen nicht abtransportiert werden.
Die UNESCO forderte einen sofortigen Stopp der Kämpfe. Die internationale Gemeinschaft müsse alles tun, um die Einwohner und das einzigartige kulturelle Erbe Palmyras zu schützen, erklärte die Kulturorganisation der Vereinten Nationen.
IS-Anhänger hatten im Nordirak schon im Frühjahr einmalige Kulturstätten zerstört, darunter die Ruinen der Jahrtausende alten Stadt Nimrud und die Grabungsstätte Ninive.
Nach Berichten der Beobachtungsstelle starben bei den anhaltenden und erbitterten Gefechten zahlreiche Kämpfer auf beiden Seiten. Die syrische Luftwaffe fliege Angriffe auf IS-Stellungen. Bereits vor einer Woche hatte der IS östlich von Palmyra den Ort al-Suchna eingenommen.
Auch in Nordsyrien verlor das Regime in Kämpfen gegen Islamisten an Boden. In der Provinz Idlib rückte das Rebellen-Bündnis Dschaisch al-Fatah nach Berichten von Oppositionsmedien auf die Stadt Aricha vor.
Die radikale al-Nusra-Front, der syrische Ableger des Terrornetzwerks al-Kaida, und ihre Verbündeten hatten am Dienstag den letzten grossen Militärstützpunkt des Regimes in der Region eingenommen. Bei Luftangriffen der Regierung starben in Idlib mehr als 70 Menschen, darunter 22 Zivilisten. (sda/reu/dpa/afp/apa)