International
Spanien

Wie Spanien die Corona-Explosion weggeimpft hat

Ohne Zwang, ohne Anreize: Wie Spanien die Corona-Explosion weggeimpft hat

Die Infektionszahlen in Spanien sinken wieder. Das ist vor allem ein Erfolg der ungebremst erfolgreichen Impfkampagne. Was macht das Land anders?
28.08.2021, 15:57
Patrick Diekmann / t-online
Mehr «International»
epa09333576 Tourists enjoy the sunny warm weather at Peguera beach in Calvia, Mallorca, Spain, 08 July 2021 (issued 09 July 2021). Germany has classified Spain as a COVID-19 risk area 09 July 2021, am ...
Spaniens Strände waren diesen Sommer gut besucht.Bild: keystone
Ein Artikel von
t-online

Es herrscht wieder Partystimmung in Katalonien. Im Urlaubsort Sitges sitzen am vergangenen Wochenende zahlreiche Menschen am Strand, beobachten das Feuerwerk des traditionellen Kirchenfestes der Stadt. Auch im nahegelegenen Barcelona zieht das traditionelle Fest des Viertels Gracia vor allem viele Jüngere auf die Strassen. Die Bilder zeugen von ausgelassener Freude, kurz zuvor hatte ein Gericht die nächtliche Ausgangssperre in weiten Teilen der Region gekippt. Kontaktbeschränkungen gelten weiterhin, Clubs sind geschlossen – doch zumindest draussen ist Feiern wieder möglich.

Als die vierte Corona-Welle Spanien im Frühjahr traf, wurde vor allem Katalonien zum Hotspot. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag Ende Juli noch bei weit über 500 Infektionen pro 100'000 Einwohner. Die Massnahmen wurden verschärft, ein neuer Lockdown drohte. Deutschland stufte Katalonien und weitere Teile des Landes als Hochrisikogebiet ein.

Drei Wochen später ist klar: Die Inzidenz in Barcelona liegt zwar noch immer bei 168, doch die Krankenhäuser schlagen nicht Alarm.

Spaniens Weg in die Normalität

Die Entspannung in Katalonien steht beispielhaft für ganz Spanien. Das Land hat weiterhin eine vergleichsweise hohe Sieben-Tage-Inzidenz von 149, das Gesundheitssystem ist dennoch nicht überlastet. Die Intensivbettenauslastung in den Kliniken lag laut dem spanischen Gesundheitsministerium am Mittwoch bei 19.2 Prozent.

Das Erfolgsgeheimnis in diesem Sommer: Spanien ist aktuell Europameister im Impfen, ganz ohne Zwang, Anreize oder politischen Druck.

epa09409456 A teenager waits after he received a dose of a vaccine against COVID-19 at a hospital in Madrid, Spain, 11 August 2021. Madrid begins to vaccinate children over 12 years old, a measure tha ...
Blick in ein Spital in Madri, wo 12-Jährige geimpft werden.Bild: keystone

Inzwischen haben knapp 77 Prozent der Bevölkerung eine Erstimpfung erhalten, 68 Prozent sind doppelt geimpft. Zum Vergleich: Die Impfkampagne in Deutschland stagniert momentan bei einer Quote von 65 Prozent bei den Erstimpfungen, 60 Prozent haben zwei Spritzen erhalten.

«Danke an alle, die diesen grossartigen Erfolg täglich möglich machen», schrieb Ministerpräsident Pedro Sánchez bereits im Juli auf Twitter. Inzwischen sind 100 Prozent aller 80- bis 89-Jährigen geimpft, bei den 70- bis 79-Jährigen sind es 98.3 Prozent, bei den 60- bis 69-Jährigen 97.5 Prozent.

Die Daten des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten zeigen: In Spanien sind die älteren Generationen grösstenteils doppelt geimpft, was die Krankenhäuser entlastet. Aber auch bei den Jüngeren macht das Land schnelle Fortschritte. So hat schon knapp jeder Fünfte im Alter von unter 18 Jahren mindestens eine Dosis erhalten.

Für den Erfolg der Impfkampagne gibt es mindestens drei unterschiedliche Gründe:

1. Vertrauen in das Gesundheitssystem

Im ganzen Land wurden riesige Impfzentren errichtet, auch in Fussballstadien wird geimpft – Tag und Nacht. Dort bildeten sich lange Schlangen.

epa09431989 An undated handout photo made available by the Hospital Clinic Barcelona on 27 August 2021 shows a health worker inoculating the Spanish vaccine 'Hipra' to a volunteer in Barcelo ...
Bild: keystone

Viele Spanier haben allgemein ein hohes Vertrauen in das staatliche Gesundheitssystem, zitiert die «Süddeutsche Zeitung» Amós García, Chef der spanischen Gesellschaft für Immunologie. Es funktioniert weniger über Hausärzte, wie in Deutschland, sondern über Gesundheitszentren. 

Dieses Vertrauen führte zu einem Phänomen: Während zu Beginn der Kampagne die Impfbereitschaft nur bei 64 Prozent lag, geben nun nur noch 2.5 Prozent der Bevölkerung an, sich nicht impfen lassen zu wollen. Es gibt in Spanien also kaum noch Impfverweigerer. 

Kein Druck auf die Bevölkerung

Experten gehen davon aus, dass die hohe Impfbereitschaft in der Bevölkerung auch dadurch entstand, dass die spanische Regierung keinen Druck auf die Bevölkerung ausübte. 

«Die Covid-Impfung geschieht auf freiwilliger Basis», erklärt das spanische Gesundheitsministerium stets, «so wie es auch mit allen anderen Schutzimpfungen in Spanien der Fall ist.»

epaselect epa09409459 Two teenagers receive doses of a vaccine against COVID-19 at a hospital in Madrid, Spain, 11 August 2021. Madrid begins to vaccinate children over 12 years old, a measure that is ...
Zwei Teenager erhalten eine Impfdosis.Bild: keystone

Einen Versuch gab es allerdings doch: In der Region Galicien wurde eine Impfpflicht eingeführt, mit Strafen von bis zu 60'000 Euro. Das spanische Verfassungsgericht hat das Gesetz jedoch schnell gestoppt, weil die Entscheidung über eine Impfpflicht in die Kompetenz der Zentralregierung fällt. 

Schrecken der ersten Wellen

Sicherlich spielt jedoch auch eine Rolle, dass Spanien von den vergangenen Wellen mit am härtesten in Europa getroffen wurde. Die Folge waren überlastete Krankenhäuser, ganze Bezirke in der Hauptstadt Madrid waren abgeriegelt. Auch wirtschaftlich hat die Pandemie dem vom Tourismus abhängigen Land massiv geschadet.

Impfen ist damit stärker als anderswo eine Frage der gesellschaftlichen Solidarität. Denn ein grosser Teil der Bevölkerung, der seinen Lebensunterhalt durch Urlauber verdient, ist auf eine hohe Impfquote angewiesen.

Ausserdem gab es in Spanien 4.8 Millionen Infektionen bei über 46 Millionen Einwohnern. Es hatten demnach viele Menschen schon eine Covid-19-Erkrankung. Ähnlich wie eine doppelte Impfung schützt das zwar nicht komplett vor der Delta-Variante, aber beide Faktoren führen dazu, dass weniger Menschen ins Krankenhaus müssen.

Corona-Kurs mit Risiken

Trotz der Impferfolge ist Spaniens aktueller Corona-Kurs nicht ohne Risiko. Das Land bleibt wirtschaftlich abhängig von Touristen. Im vergangenen Sommer waren es oft jüngere Partytouristen, die Masseninfektionen auslösten. Ähnlich wie in Deutschland ist es in Spanien aktuell eine Pandemie der Jüngeren und Ungeimpften.

Vor allem zu Gunsten der kriselnden Tourismusbranche durften Clubs öffnen und wurden Partys sowie Festivals erlaubt. Das führte insbesondere im Juli zu der Explosion der Infektionszahlen in Barcelona, auch die Balearen mussten reagieren. So führte Mallorca erneut nächtliche Corona-Beschränkungen ein.

Besonders auffällig ist in Spanien die Rolle der Justiz. Sie hat die Politik in den vergangenen Monaten bei der Einführung neuer Corona-Massnahmen häufig ausgebremst. So verhinderten Gerichte zuletzt eine Impfpflicht für Krankenpfleger oder die Nutzung des europäischen Covid-Zertifikats für den Zugang zu Freizeitaktivitäten. Oft verlangten die Richter Studien, die die Notwendigkeit dieser Massnahmen zweifelsfrei nachweisen. Kritiker monieren, dass dies eine schnelle Reaktion auf eine veränderte Pandemie-Lage unmöglich mache.

Auch die nächtliche Ausgangssperre in Barcelona fiel einem Gerichtsurteil zum Opfer. Das ist vor allem für viele jüngere Menschen in der Stadt momentan ein Grund zur Freude. Ob sich der positive Verlauf der Pandemie in Spanien fortsetzt, müssen nun die kommenden Wochen zeigen.

Quellen

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
BAG verteilt Torte zur Feier des Impffortschritts
1 / 11
BAG verteilt Torte zur Feier des Impffortschritts
Sicht auf ein Plakat des BAG, am Montag, 19. Juli 2021, auf dem Bundesplatz in Bern. Das BAG informiert, dass die Impfkampagne voranschreite, zudem können sich Personen spontan gegen Covid-19 impfen lassen.
quelle: keystone / peter schneider
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das ultimative watson-Sommerhit-Album 2021 mit Maddy & Dave
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
46 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Super8
28.08.2021 16:39registriert November 2019
Irland hat auch eine Impfquote von 90%. Ich habe immer gedacht, es gibt überall etwa gleich viele Egoisten. Anscheinend gibt es in der Schweiz aber besonders viele.
36723
Melden
Zum Kommentar
avatar
RealAnd1
28.08.2021 16:38registriert März 2021
Keinen Druck durch die Behörden? Das würde ich so nicht stehen lassen, Spanien hatte in der ersten Welle einen massiven Lockdown mit Ausgangssperre gehabt. Die Leute haben einfach gemerkt, wenn sie sich nicht impfen lassen, passiert das Gleiche wieder. Also haben sie die Peitsche bereits gehabt und nicht wie unsere verwöhnten Schwurbler, welche immer nur Zuckerbrot bekamen.
26916
Melden
Zum Kommentar
avatar
RAZORBACK
28.08.2021 16:20registriert Februar 2017
Nehmt euch ein Beispiel an Spanien – ihr Impfunwilligen.
18029
Melden
Zum Kommentar
46
29 Verletzte bei Unglück auf Capri-Fähre

Auf einer Fähre von der italienischen Mittelmeerinsel Capri sind bei der Ankunft in Neapel mindestens 29 Menschen verletzt worden, davon eine Frau schwer. Das Schiff namens «Isola di Procida» mit etwa 100 Passagieren prallte nach Berichten von Augenzeugen am Freitagmorgen beim Anlegen auf den Kai.

Zur Story