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Die unfassbar lange Geschichte der Schweizer Cannabis-Legalisierung

ARCHIVBILD ZUR MK DES BUNDESRATES UEBER PILOTVERSUCHE MIT CANNABIS, AM DONNERSTAG, 28. FEBRUAR 2019 -Frederic Couderc, Cofondateur de SwissGrinder Sarl, controle sa production de cannabis legal (CBD)  ...
Der Anbau von berauschendem Hanf ist derzeit in der Schweiz nur in Ausnahmefällen erlaubt.Bild: KEYSTONE

Die unfassbar lange Geschichte der Schweizer Cannabis-Legalisierung

Die Schweiz nimmt einen neuen Anlauf, die Droge Cannabis zu legalisieren. Bereits mehrfach ist das Ansinnen gescheitert. Und trotzdem ist in den vergangenen 20 Jahren sehr viel passiert.
22.02.2025, 20:1122.02.2025, 20:11
Michael Graber / ch media
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An Kreativität fehlte es den Kiffern nicht: Als Badezusatz oder als Duftsäckchen wurde rund um die Jahrtausendwende in zahlreichen Geschäften in der ganzen Schweiz Cannabis verkauft. Der rechtliche Graubereich trieb bunte Blüten.

Für 30, 50 oder 100 Franken gab es ein paar eingetütete Cannabis-Blüten. Diverse Sorten. «Nicht zum Rauchen», mahnte der Verkäufer. «Natürlich», lächelten die Käufer zurück. Nur wenn der Hanf zu «Betäubungsmittelzwecken» eingesetzt werde, sei der Verkauf verboten, so die Argumentation der Hanflädenbesitzer. Duftbeutel und Badezusätze seien also nicht strafbar – auch wenn komplett offensichtlich war, zu was die Inhalte wirklich gebraucht wurden.

Das Bundesgericht brachte diese auch so schon wacklige Rechtsinterpretation 2000 endgültig zum Einstürzen.

Keine Sorge, auch dein Tag wird jetzt besser: Der Picdump ist da!
Wenn du Cannabis meinst, kann ich nur folgendes dazu sagen:

Viele Städte schienen aber nur wenig Interesse an Ladenschliessungen zu haben. Zumal es zu dieser Zeit auch fein nach Legalisierung zu duften schien. Der Bundesrat schrieb 2001: «So soll die generelle Aufhebung der Strafbarkeit des Cannabiskonsums und seiner Vorbereitungshandlungen sowohl der gesellschaftlichen Realität Rechnung tragen als auch Polizei und Justiz entlasten.» Und weiter: «Eine gewisse Zahl von Verkaufsstellen könnten ebenso toleriert werden wie der Anbau von Drogenhanf und die Herstellung von Cannabisprodukten.»

Das Parlament trat nicht einmal auf die Vorlage ein.

Spektakuläre Razzien in mehreren Städten

Statt Legalisierung gab es Repression. Spätestens 2004 wurden auch in den letzten Schweizer Städten die Hanfläden, die unter anderem «Mindblower» oder «Evolution» hiessen, geschlossen. Oft in spektakulären, öffentlichkeitswirksamen Razzien. »Aktion Greenfire» nannte die Luzerner Polizei ihr rigoroses Durchgreifen. Ende Feuer. Lange Gerichtsprozesse, hohe Geldstrafen und teils auch Gefängnisaufenthalte waren die Folge.

Dabei zeigten die Akten Eindrückliches: In Luzern verkaufte etwa ein Laden innert vier Jahren 750 Kilogramm Hanf. Umsatz: 7,5 Millionen Franken. Buchführung einwandfrei, Mehrwertsteuer stets brav bezahlt. Es waren mehr emsige Geschäftsleute als Drogendealer. Von einer Art «Goldgräberstimmung» berichtet einer, der damals dabei war. Die scheinbar greifbare Legalisierung und die vermeintliche Duldung durch die Behörden weckten Hoffnungen und Erwartungen.

Am Ende blieb nur der Kater. Und die Rückkehr in den Untergrund. Von der Halb-Legalität zurück in die Voll-Illegalität.

Über 400'000 Menschen in der Schweiz rauchen Cannabis

So richtig in die Köpfe zurück wollte das Unrechtsbewusstsein aber nicht. Die laxe Rechtsauslegung rund um die Jahrtausendwende hatte zur Folge, dass Cannabiskonsum nun als Kavaliersdelikt galt. Gekifft wird kaum versteckt. Der süss-erdige Geruch von verbranntem Cannabis liegt an lauen Sommerabenden vielerorts ähnlich hartnäckig in der Luft wie der Hochnebel im Herbst.

FILE - Women with glasses of beer pose for a photo on day one of the 188th 'Oktoberfest' beer festival in Munich, Germany, Saturday, Sept. 16, 2023. The southern German state of Bavaria will ...
Die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Schäden durch Alkoholkonsum sind um ein Vielfaches höher als bei Cannabis.Bild: keystone

Eine Studie schätzt, dass rund 4 Prozent der Schweizer Bevölkerung mindestens einmal pro Monat kifft. Das sind rund 220'000 Personen. Dazu kommen noch einmal weitere 200'000 Personen, die seltener im Jahr einen Joint anzünden. Cannabis ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

In der Schweiz wird seit Jahren für eine Legalisierung gekämpft.
In der Schweiz wird seit Jahren für eine Legalisierung gekämpft.Bild: Keystone

Einer, der seit über 20 Jahren kifft, ist Stefan G. Angefangen in der Zeit der offenen Hanfläden und durchgezogen bis heute. Mittlerweile etwas gesetzter. In den 40igern angekommen, Familienvater, Gymnasiallehrer. Am Wochenende raucht er Joints. Nicht immer. Aber doch meistens.

Er ist Teilnehmer in einem der zahlreichen Pilotprojekte, die derzeit laufen, um legale Wege in die Cannabiszukunft zu erforschen. G. kauft sein Gras mittlerweile in der Apotheke. Der Preis sei fast höher als auf dem Schwarzmarkt, dafür habe er hier die Gewissheit, «dass kein Dreck drin ist». Auch habe er dank der Beratung am Verkaufsort einen Überblick, wie stark das Gras ist. «Wie früher in den Hanfläden», sagt G.

Die Angst vor dem gepanschten Material

Mit der Schliessung der Läden wurde das Feld wieder den Strassendealern überlassen. Da zugleich noch die Regeln für den Anbau verschärft wurden, wuchsen die Hanfpflanzen wieder vermehrt im Ausland und in Indooranlagen. Das lässt den THC-Werte, den Wirkstoff der Droge, ansteigen. Die gerauchte Ware ist stärker. «Das merke ich schon», sagt G. Es braucht weniger «Material» für den Rausch.

Zuweilen brachten G. und seine Kifferfreunde das illegal gekaufte Gras auch zum Drogenchecking. Dort werden von Suchthilfeorganisationen Proben auf Verunreinigungen und Fremdstoffe kontrolliert. Denn es häuften sich Meldungen über Cannabis, das noch zusätzlich mit synthetischen Cannabinoiden versetzt waren. So entsteht eine hochpotente Droge, die höchstgefährliche Wirkungen haben kann. G. blieb bisher von solchen Erfahrungen verschont.

Die Zahl der Kiffer, Männer konsumieren häufiger als Frauen, und Kifferinnen sank direkt nach dem Wegfallen der Verkaufsstellen nur marginal – in den letzten Jahren hat sie dagegen sogar leicht zugenommen. Deutlich abgenommen hat dagegen der Anteil an Jugendlichen, die Hanf konsumieren. Waren es auf dem Peak 2002 45 Prozent aller 15-jährigen Knaben und 36,9 Prozent aller Mädchen in dieser Altersgruppe, die bereits einmal gekifft haben, haben sich diese Werte mittlerweile halbiert.

Das passt zum allgemeinen Eindruck einer neuen Nüchternheit bei den jungen Menschen, die seltener – und vor allem: später – Alkohol konsumieren.

Das mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass der Droge Cannabis das rebellische abhandengekommen ist. Ob es heute noch jemand provozieren würde, wenn ein Politiker auf der Bühne publikumswirksam einen Joint anzünden würde? 2008 löste der damalige Juso-Präsident Cédric Wermuth genau damit einen kleinen Sturm der Entrüstung aus. Er machte so Werbung für die Hanfinitiative, die im selben Jahr zur Abstimmung kam und eine Legalisierung forderte.

Le jeune socialiste Cedric Wermuth, fume un joint de canabis, pour argumenter l'initiative pour une politique raisonnable en matiere de chanvre, lors de l'assemblee des delegues du PS Suisse ...
Cédric Wermuth mit Joint auf der Bühne.Bild: KEYSTONE

Die Abstimmung scheiterte deutlich. Doch das Gesicht von Wermuth war national bekannt. Mittlerweile ist er Co-Präsident der SP. Geschadet hat ihm die Hanf-Zigarette zumindest in der Beliebtheitsskala nicht.

Verlorene Abstimmung – gesteigerte Bemühungen

Ebenso wenig hat die Ablehnung der Initiative mit über 60 Prozent den Bestrebungen geschadet, den Konsum von Hanf straffrei zu machen.

Seit 2013 – mit dem Segen des Parlaments – werden in der Schweiz Konsumentinnen und Konsumenten, die beim Kiffen erwischt werden, nur noch mit einer Ordnungsbusse bestraft: 100 Franken. Das entspricht einer teureren Parkbusse – und nimmt dem Haschischrauchen den Ruch der Illegalität endgültig.

Zumal der Besitz von bis 10 Gramm Marihuana für den Eigengebrauch komplett straffrei wird. Mehrere Urteile des Bundesgerichts lockern in diesem Bereich die Regeln weiter. So gilt seit knapp zwei Jahren, dass die Polizei bei einer Kontrolle das sichergestellte Gras gar nicht mehr einziehen darf – sofern es die 10 Gramm nicht übersteigt.

Das führt zur einigermassen absurden Situation, dass das Mitführen von rauchfähigem Hanf zwar erlaubt ist, das Rauchen desselben aber weiterhin einer (milden) Strafe unterliegt. Es ist eigentlich wie damals bei den Duftsäckchen. Mit dem Unterschied, dass gesetzlich mittlerweile alles sauber geregelt ist. Besitz: Ja. Konsum: Nein.

Verboten bleiben weiterhin der Anbau und der Handel.

Aber auch hier gibt es Ausnahmen: Wird Cannabis für medizinische Zwecke angebaut, kann das mit einer Ausnahmebewilligung gemacht werden. Gleiches gilt für jenes Gras, das in den zahlreichen Pilotprojekten diverser Städte abgegeben wird. Den (grossen) Rest des Cannabisanbaus und Cannabisverkaufs ist in den Händen des Schwarzmarkts und damit oft der Drogenmafia. Auch wenn rechtlich (fast) alles sauber abgesteckt ist, bleiben doch noch einige Graubereiche.

Neuer Anlauf für die Legalisierung

Nun nimmt die Schweiz einen neuen Anlauf, Cannabis umfassend zu legalisieren. Die Gesundheitskommission des Nationalrats hat eine Vorlage auf Kurs gebracht, die auch den Anbau und Handel in der Schweiz – unter gewissen Umständen – straffrei machen will.

Der Bund soll dabei eine limitierte Anzahl an Händler-Konzessionen vergeben können. Auch ist eine Lenkungsabgabe angedacht, die auf die Cannabisprodukte draufgeschlagen wird. Die Erträge aus dieser sollen dann via Krankenversicherungen – also etwa in Form tieferer Prämien – an die Bevölkerung zurückfliessen. Nicht die Dealer und die Mafia, sondern der Staat und die Allgemeinheit solle vom Hanfverkauf profitieren.

Bis zum endgültig legalen Joint dürfte es aber noch ein Weilchen dauern. Zuerst beugt sich nun das Parlament über die Vorlage, und die SVP hat ihren grundsätzlichen Widerstand bereits angekündigt. Man werde das Referendum sicher ergreifen, liessen mehrere Parteimitglieder verlauten.

Anders als bei der Abstimmung 2008 müssen sich die Hanffreunde aber nicht mehr grundsätzlich vor einer Volksabstimmung fürchten: Mehrere repräsentative Umfragen bescheinigen dem Anliegen gute Chancen. Und da die Kommission auf die Einführung einer eigenen Cannabis-Steuer verzichtet, dürfte bei einem Referendum das Ständemehr nicht relevant sein. Das schwächt das Gewicht der konservativen Kleinkantone und steigert die Erfolgschancen der Vorlage.

Profitieren kann das Stimmvolk bei einer Abstimmung davon, dass in mehreren anderen Ländern der Konsum mittlerweile legal ist und so auch Forschung über Risiken und Nebenwirkung eines gesteigerten Hanf-Konsums erforscht werden können. All diese Studien helfen, dass selbst bei einem aufgeheizten Thema wie Cannabis am Ende ganz nüchterne Entscheide gefällt werden können.

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(aargauerzeitung.ch)

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93 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Firoxar
22.02.2025 20:58registriert August 2022
Ich werde für dieses Gesetz stimmen. Hab zwar aufgehört zu kiffen und würde jedem raten seinen Konsum gut im Auge zu behalten. Aber ich finde jede Form der Entkriminalisierung besser als der Status quo.
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Fight4urRight2beHighasaKite
22.02.2025 20:57registriert Februar 2025
Und bis heute weiss kaum ein Parlamentarier, weshalb Cannabis einst verboten wurde, respektive warum man die Exekutive auf Kiffer ansetzt.

Erstmals auf den Tisch gebracht haben das Verbot die Ägypter an der zweiten Opiumkonferenz 1925, weil sie dick im Baumwollgeschäft (Konkurrenz des Hanf) waren. In den 30ern formierte sich dann in den USA ein Zusammenschluss aus Textilfaser- und Papierindustrie um William R. Hearst und DuPont, die zusammen mit den Behörden (Anslinger) das Verbot befeuerten. Danach ging es um die Welt. Es ging nie um Logik oder Gesundheit, sondern um reine Lobbyinteressen.
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dodo, dodo?
22.02.2025 20:58registriert Mai 2020
Das Illegale hat jetzt diese ganzen hochpozentierten Sorten begünstigt.
Wenn Alkohol und Nikotin legal sind, sollte es Gras schon längstens sein. Alles andere ist heuchlerisch. Es muss Staatlich kontrolliert werden.
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