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Grossbritannien

Boris Johnson beurlaubt Parlament und beweist höchstes Machtstreben

epa07798883 (FILE) - Britain's Prime Minister Boris Johnson speaks at a press conference at the G7 summit in Biarritz, France, 26 August 2019 (reissued 28 August 2019). According to reports, Brit ...
Boris Johnson hat kein Problem mit einem No-Deal-Brexit.Bild: EPA

Boris Johnson beurlaubt Parlament – er beweist damit höchstes Machtstreben

28.08.2019, 19:5929.08.2019, 01:27
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Konfrontiert mit parlamentarischen Manövern gegen einen Brexit ohne Abkommen hat der britische Premierminister Boris Johnson dem Unterhaus eine Zwangspause auferlegt. Die britische Königin Elizabeth II. hat die beantragte vorübergehende Parlamentsschliessung genehmigt.

Johnsons Vorstoss löste grosse Empörung aus. Viele Abgeordnete sprachen von einem Angriff auf die Demokratie. Eine Petition an das Unterhaus gegen die vorübergehende Aussetzung des Parlamentes hatte innerhalb weniger Stunden mehr als 360'000 Unterschriften.

Johnsons Problem: Er will den Austritt Grossbritanniens aus der EU am 31. Oktober notfalls ohne Austrittsabkommen durchziehen; das aber will eine Mehrheit der Parlamentarier verhindern. Mit der Zwangspause sinken die Chancen für die Opposition, ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit durchzubringen.

Es gibt bereits ein Austrittsabkommen, das eine Übergangsphase vorsieht, in der vieles beim alten bleibt. In dieser Phase sollen die künftigen Beziehungen zur EU geregelt werden. Dieser Deal, ausgehandelt von Johnsons Vorgängerin Theresa May, ist im Unterhaus aber mehrfach gescheitert.

Knackpunkt Backstop

Knackpunkt ist vor allem der sogenannte Backstop. Diese Klausel würde Grossbritannien so lange an bestimmte EU-Regeln binden, bis eine andere Lösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland gefunden ist. London sieht darin inakzeptable Fesseln.

Das Parlament kommt nach der Sommerpause nächste Woche erstmals zusammen. Schon in der Woche danach beginnt die viereinhalb Wochen dauernde Zwangspause. Am 14. Oktober soll die Queen das neue Regierungsprogramm verlesen.

Es bleibe genügend Zeit für alle nötigen Debatten, schrieb Johnson an alle Abgeordneten. «Wenn es mir gelingt, einen Deal mit der EU auszuhandeln, hat das Parlament die Gelegenheit, das zur Ratifizierung eines solchen Deals nötige Gesetz vor dem 31. Oktober zu verabschieden.»

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Der zweite Teil von Johnsons Brief an die Abgeordneten.Bild: EPA

«Frevel gegen die Verfassung»

Parlamentspräsident John Bercow sprach von einem «Frevel gegen die Verfassung». Der frühere Schatzkanzler Philip Hammond twitterte: «Zutiefst undemokratisch.» Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen.

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Hammond am G7-Gipfel.Bild: EPA

Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte trotzdem einen Versuch an, einen EU-Austritt ohne Abkommen zu verhindern. Er wiederholte die Drohung eines Misstrauensantrags gegen Johnson, «zu gegebener Zeit». Er braucht dafür die Unterstützung der anderen Oppositionsparteien und von Rebellen der Konservativen Partei.

Zuspruch erhielt Johnson von der anderen Seite des Atlantiks. US-Präsident Donald Trump twitterte, es werde für Corbyn «sehr schwer» werden, ein Misstrauensvotum gegen Johnson durchzuführen. «Besonders im Lichte der Tatsache, dass Boris genau das ist, wonach Grossbritannien gesucht hat, und dass er sich als ein Grosser herausstellen wird», schrieb Trump.

Ohne die innenpolitischen Entwicklungen in Grossbritannien zu kommentieren sagte eine Sprecherin der EU-Kommission, man wolle mit der britischen Regierung weiter an einem vertraglich geregelten Brexit arbeiten und erwarte dafür neue Ideen aus London. «Je schneller wir umsetzbare Vorschläge sehen, desto besser», sagte sie. Johnsons Brexit-Berater David Frost war am Mittwoch in Brüssel.

Empörung aus EU-Parlament

Auch aus dem EU-Parlament kam Kritik. Dessen Brexit-Beauftragter Guy Verhofstadt drückte den Abgeordneten in London Solidarität aus. «Die Unterdrückung einer Debatte über tiefgreifende Entscheidungen wird wahrscheinlich nicht zu einer stabilen künftigen Beziehung zwischen der EU und Grossbritannien beitragen», schrieb er auf Twitter.

«Der heutige Tag wird als schwarzer Tag für die Demokratie in Grossbritannien in die Geschichte eingehen», schrieb die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon auf Twitter - wenn es den Abgeordneten nicht gelinge, Johnsons Pläne zu stoppen. (mim/sda/dpa)

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Señorita equidad
28.08.2019 21:13registriert Januar 2016
Es wundert mich ja nicht, dass der Boris dies beauftragt. Aber warum macht die Queen da mit? Sie hätte doch politisch neutral zu sein?
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olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario
28.08.2019 20:13registriert Juni 2017
Ich kann mich auch irren, aber für mich wirkt das so, als wolle Boris ein Misstrauensvotum provozieren. Um die Neuwahlen zu bekommen, die er in Wirklichkeit will oder bei einem Scheitern des Misstrauensvotums dadurch Legitimation abzuleiten.
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DrFreeze
28.08.2019 22:36registriert November 2018
Für unser Schweizer Demokratie Verständnis ist dieses Vorgehen kaum begreiflich. Wenn der Premier das Parlament so einfach ausschalten kann, befinden wir uns im tiefsten Mittelalter. Ein Grund mehr froh zu sein ein Schweizer zu sein.
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