Konfrontiert mit parlamentarischen Manövern gegen einen Brexit ohne Abkommen hat der britische Premierminister Boris Johnson dem Unterhaus eine Zwangspause auferlegt. Die britische Königin Elizabeth II. hat die beantragte vorübergehende Parlamentsschliessung genehmigt.
Johnsons Vorstoss löste grosse Empörung aus. Viele Abgeordnete sprachen von einem Angriff auf die Demokratie. Eine Petition an das Unterhaus gegen die vorübergehende Aussetzung des Parlamentes hatte innerhalb weniger Stunden mehr als 360'000 Unterschriften.
Johnsons Problem: Er will den Austritt Grossbritanniens aus der EU am 31. Oktober notfalls ohne Austrittsabkommen durchziehen; das aber will eine Mehrheit der Parlamentarier verhindern. Mit der Zwangspause sinken die Chancen für die Opposition, ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit durchzubringen.
Es gibt bereits ein Austrittsabkommen, das eine Übergangsphase vorsieht, in der vieles beim alten bleibt. In dieser Phase sollen die künftigen Beziehungen zur EU geregelt werden. Dieser Deal, ausgehandelt von Johnsons Vorgängerin Theresa May, ist im Unterhaus aber mehrfach gescheitert.
Knackpunkt ist vor allem der sogenannte Backstop. Diese Klausel würde Grossbritannien so lange an bestimmte EU-Regeln binden, bis eine andere Lösung zur Vermeidung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland gefunden ist. London sieht darin inakzeptable Fesseln.
Das Parlament kommt nach der Sommerpause nächste Woche erstmals zusammen. Schon in der Woche danach beginnt die viereinhalb Wochen dauernde Zwangspause. Am 14. Oktober soll die Queen das neue Regierungsprogramm verlesen.
Es bleibe genügend Zeit für alle nötigen Debatten, schrieb Johnson an alle Abgeordneten. «Wenn es mir gelingt, einen Deal mit der EU auszuhandeln, hat das Parlament die Gelegenheit, das zur Ratifizierung eines solchen Deals nötige Gesetz vor dem 31. Oktober zu verabschieden.»
Parlamentspräsident John Bercow sprach von einem «Frevel gegen die Verfassung». Der frühere Schatzkanzler Philip Hammond twitterte: «Zutiefst undemokratisch.» Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen.
Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte trotzdem einen Versuch an, einen EU-Austritt ohne Abkommen zu verhindern. Er wiederholte die Drohung eines Misstrauensantrags gegen Johnson, «zu gegebener Zeit». Er braucht dafür die Unterstützung der anderen Oppositionsparteien und von Rebellen der Konservativen Partei.
Zuspruch erhielt Johnson von der anderen Seite des Atlantiks. US-Präsident Donald Trump twitterte, es werde für Corbyn «sehr schwer» werden, ein Misstrauensvotum gegen Johnson durchzuführen. «Besonders im Lichte der Tatsache, dass Boris genau das ist, wonach Grossbritannien gesucht hat, und dass er sich als ein Grosser herausstellen wird», schrieb Trump.
Ohne die innenpolitischen Entwicklungen in Grossbritannien zu kommentieren sagte eine Sprecherin der EU-Kommission, man wolle mit der britischen Regierung weiter an einem vertraglich geregelten Brexit arbeiten und erwarte dafür neue Ideen aus London. «Je schneller wir umsetzbare Vorschläge sehen, desto besser», sagte sie. Johnsons Brexit-Berater David Frost war am Mittwoch in Brüssel.
Auch aus dem EU-Parlament kam Kritik. Dessen Brexit-Beauftragter Guy Verhofstadt drückte den Abgeordneten in London Solidarität aus. «Die Unterdrückung einer Debatte über tiefgreifende Entscheidungen wird wahrscheinlich nicht zu einer stabilen künftigen Beziehung zwischen der EU und Grossbritannien beitragen», schrieb er auf Twitter.
"Taking back control" has never looked so sinister. As a fellow parliamentarian, my solidarity with those fighting for their voices to be heard.
— Guy Verhofstadt (@guyverhofstadt) August 28, 2019
Suppressing debate on profound choices is unlikely to help deliver a stable future EU - UK relationship.https://t.co/NyCoLA8nFe
«Der heutige Tag wird als schwarzer Tag für die Demokratie in Grossbritannien in die Geschichte eingehen», schrieb die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon auf Twitter - wenn es den Abgeordneten nicht gelinge, Johnsons Pläne zu stoppen. (mim/sda/dpa)