In seinem Buch «Money & Power» beschreibt William D. Cohan folgende Szene: Ein hoher Angestellter von Goldman Sachs ordnet an, dass sich alle jungen Investmentbanker am kommenden Sonntag in aller Hergottsfrühe in einem bestimmten Konferenzsaal einzufinden hätten. Ohne Murren treten sie an. Stundenlang geschieht nicht.
Gegen Mittag werden die ersten Jungbanker ungeduldig. Einzelne verlassen den Saal und gehen nach Hause. Am späten Nachmittag erscheint der Chef. Auf die Frage nach Sinn und Zweck der ganzen Übung gibt er zur Antwort: «Es ging darum zu lernen, auf einen Kunden zu warten. Und übrigens: Alle, die vorzeitig nach Hause gegangen sind, sind fristlos entlassen.»
Goldman Sachs ist nach wie vor die beste Adresse an der Wall Street. Die Arroganz und das elitäre Bewusstsein der Bank ist legendär. Nur die besten Abgänger der besten Universitäten haben überhaupt eine Chance, eingestellt zu werden, und auch nur, wenn sie das aufwändige Aufnahmeverfahren überstehen.
Nachwuchssorgen kennt die Bank trotzdem nicht. Die Jungbanker verdienen von Beginn an sehr viel Geld. Das Einstiegssalär beträgt rund 100'000 Dollar plus Bonus, nicht schlecht für jemanden, der gerade mal 21 Jahre alt geworden sind. Sie werden aber in den ersten beiden Ausbildungsjahren geschunden wie Hunde und behandelt wie Dreck.
Kevin Roose, Journalist bei der «New York Times» hat die Jungbanker an der Wall Street zwei Jahre lang begleitet. In seinem kürzlich erschienen Buch «Young Money» stellt er fest: «Wie vor der Finanzkrise ist es auch heute nicht unüblich, dass junge Investmentbanker 100 Stunden in der Woche arbeiten müssen – das heisst: je 16 Stunden an gewöhnlichen Tagen und je 10 Stunden über das Wochenende.»
Die Jungbanker sind der Willkür ihrer Chefs ausgeliefert und haben keinerlei Kontrolle über ihre Arbeit. Diese ist meist langweilig. Sie müssen endlose Excel-Tabellen ausfüllen oder Kundenpräsentationen vorbereiten. Das erfordert grosse Präsenzzeiten, aber kaum Eigeninitiative. «Es sind nicht die langen Stunden, die dich umbringen», schildert einer der Betroffenen sein Schicksal. «Es ist die mangelnde Kontrolle darüber. Mein Leben gehört mir nicht mehr.»
Bedingungslose Loyalität wird verlangt. Eine beliebte Frage beim Einstellungsgespräch lautet etwa: «Es ist Freitagnachmittag. Morgen wollen Sie nach Boston fliegen, um an der Hochzeit ihres besten Freundes teilzunehmen. Sie haben Ihren Chef und Ihr Team lange im Voraus darüber informiert. In dem Moment, wo Sie Ihr Büro verlassen wollen, ruft ein Kunde an, der sich morgen mit Ihnen treffen will. Wie entscheiden Sie sich?». Wehe dem, der sich für die Hochzeit seines besten Freundes entscheidet.
Goldman Sachs mag die elitärste der Wall Street Banken sein, jedoch nicht die einzige. Wer Investmentbanker werden will, muss einen Drill über sich ergehen lassen, wie ihn sonst nur Elitesoldaten oder Priesteranwärter kennen. Frauen eignen sich dafür in der Regel nicht. Frank Partnoy, heute Jus-Professor an der Universität in San Diego, beschreibt seine Ausbildung bei der CS First Boston wie folgt: «Investmentbanken suchen weibliche Angestellte mit besonderer Sorgfalt aus. Aus ihrer Perspektive sind Frauen entweder gutmütige Dienerinnen oder umwerfende Starlets.»
In ihrem Verhalten gegenüber Frauen gleichen Investmentbanker Fussballstars. Diese haben bekanntlich eine Vorliebe für Ex-Missen. Bei den Bankern sind es Models. Kevin Roose schildert, dass in New York eigens zu diesem Zweck die Veranstaltung «Fashion Meets Finance» organisiert wird.
Das Prinzip ist simpel: Ein paar hundert Banker und Models werden in einer schicken Umgebung zusammengeführt. Dann wartet man darauf, dass die Natur waltet. Das Resultat befriedigt beide Seiten. Der Banker hat seine Trophy Wife und das Model seine Ruhe. «Ich will keinen Mann, der ständig um mich herum ist», sagt eine Teilnehmerin offen. « Ich will, dass er 150 Stunden für Goldman Sachs arbeitet.»
Am Arbeitsplatz hingegen sind attraktive Frauen oft ein Problem. «First Boston hatte wegen sexueller Belästigung so viele Klagen am Hals, dass sie deswegen eine Beratungsfirma anstellen mussten», schildert Partnoy. Genützt hat es wenig, die Banker erwiesen sich als beratungsresistent. «Einmal eröffnete einer der Männer das Interview mit seiner weiblichen Gesprächspartnerin mit den Worten: Hi Baby, wollen wir vögeln.»
Solange sich die Wall Street an der Krieger- und Priesterkultur orientiert, lässt sich der Machismo nicht ausrotten. Nur zwei Frauen befinden sich in der Testgruppe von Roose. Die eine arbeitete bei Merrill Lynch. Sie hatte bald die Schnauze voll und machte sich selbstständig. Die andere kämpft bei der Deutschen Bank gegen einen militaristischen Chef und hat keine Chance, ins A-Team aufgenommen zu werden. «Sie fand nie heraus, ob die Deutsche Bank ein frauenfeindlicher Ort war, oder ganz einfach altmodisch», stellt Roose lakonisch fest. Sie dürfte dabei in bester, wenn auch weiblicher Gesellschaft befinden.