Sollen die Deutschen Hitlers «Mein Kampf» wieder lesen dürfen?

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Faschismus-Gefahr

Sollen die Deutschen Hitlers «Mein Kampf» wieder lesen dürfen?

In Bayern tobt ein skurriler Kampf darum, ob die berüchtigte Hetzschrift des Führers wissenschaftlich begleitet neu veröffentlicht werden soll oder nicht. 
09.07.2014, 19:02

In seinem Buch «Mein Kampf» legt Adolf Hitler seine Weltanschauung offen. Er schildert darin seinen Rassenwahn und erklärt die Gründe seiner Eroberungspolitik. Hitler hat seine Hetzschrift 1924 im Gefängnis verfasst. Sie fand zunächst keine Beachtung. Nachdem die Nazis 1933 an die Macht gekommen waren, wurde «Mein Kampf» jedem Paar bei der Eheschliessung gratis überreicht. Die Auflage stieg so auf rund zehn Millionen Exemplare. 

Nach dem Krieg wurde «Mein Kampf» verboten. Die amerikanische Besatzungsmacht hat die Verlagsrechte an den Bundesstaat Bayern übertragen. De facto kam dies einem Publikationsverbot gleich, denn Bayern hat einen Nachdruck von Hitlers Hetzschrift strikt untersagt. Anders als in den meisten anderen Staaten ist das Buch in Deutschland daher nicht erhältlich. 

Bald kann jedermann «Mein Kampf» neu auflegen

Ende 2015 jedoch laufen die Verlagsrechte aus. Danach kann theoretisch jeder, auch neofaschistische Gruppen, «Mein Kampf» wieder auf den Markt bringen. Um dem zuvorzukommen, hat das Institut für Zeitgeschichte in München vorgeschlagen, eine wissenschaftlich begleitete Version auf den Markt zu bringen mit dem Zweck, aufzuzeigen, «wie Hitlers Ideologie entstand, wie selektiv und verzerrt er die Wirklichkeit wahrnahm und, ansatzweise auch, welche schrecklichen Folgen sich aus ihr ergaben», wie das Institut auf seiner Webseite schreibt. Auch eine kritisch aufbereite Schulbuchversion ist geplant. 

Die bayrische Regierung stand dem Projekt zunächst wohlwollend gegenüber und bewilligte einen Kredit in der Höhe von einer halben Million Euro. Als diese Pläne an die Öffentlichkeit kamen, regte sich in jüdischen Kreisen Widerstand. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bekam kalte Füsse. Anlässlich einer Reise nach Israel versprach er, Projekt und Kredit zu stoppen. 

Selbst jüdische Kreise sind für eine wissenschaftlich begleitete Neuauflage

Das wiederum rief die Wissenschaftler auf den Plan. Sie erhielten ebenfalls Unterstützung aus jüdischen Kreisen. Salomon Korn von der jüdischen Gemeinde in Frankfurt erklärte beispielsweise: «Ich kann diesen Entscheid nicht verstehen. Wir bräuchten schon längst eine kritische Edition von ‹Mein Kampf›.» 

Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bayern.
Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bayern.Bild: AFP

Seehofer wurde zu einem Rücktritt vom Rücktritt gezwungen. Um das Gesicht zu wahren, rang er sich zu folgendem Kompromiss durch: Die bayrische Regierung gewährt den Kredit, will aber offiziell auch mit einer wissenschaftlich begleiteten Version von «Mein Kampf» nichts zu tun haben. 

Die Gräueltaten der Nazis sind in allen Details bekannt

Der Eiertanz um «Mein Kampf» zeigt auf, wie schwer sich die Deutschen nach wie vor mit ihrer Vergangenheit tun. Dabei sind die Nazi-Verbrechen bestens bekannt. Filme wie Steven Spielbergs «Schindlers Liste», Sachbücher wie Daniel Goldhagens «Hitlers willige Helfer» und Romane wie Jonathan Littells «Die Wohlgesinnten» schildern die Gräueltaten in allen nur denkbaren, schrecklichen Einzelheiten. 

Im Gegensatz zu Japan hat Deutschland seine Vergangenheit auch nicht geleugnet und ist heute am immunsten gegen den Faschismus-Bazillus. Ausser in den wirtschaftlich schwachen Gebieten der ehemaligen DDR hat die neofaschistische Partei NPD kaum Anhänger. Bei den Europa-Wahlen im vergangenen Mai konnte sie jedoch nicht einmal ein Prozent der Wählerstimmen gewinnen. Zum Vergleich: In Frankreich brachte es der Front National mit seinem offen antisemitischen Übervater Jean-Marie le Pen auf fast 25 Prozent. 

Ein Verbot ist eine groteske Überreaktion

Objektiv gibt es heute keinen Grund mehr, Hitlers Hetzschrift zu verbieten. Im Gegenteil, die Wirkung ist kontraproduktiv, «Mein Kampf» erhält so die unverdiente Faszination des Verbotenen. Zudem ist das Ganze irgendwie lächerlich geworden. «Es ist sinnlos, dass den Deutschen ein Buch vorenthalten wird, das in anderen Ländern frei zugänglich ist», kommentiert die «New York Times». «Aus falscher Angst vor einem Comeback Hitlers langweiliges und oft unverständliches Geschreibsel unter Verschluss zu halten, ist eine groteske Überreaktion.» 

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