«Herz aus Stahl»: Brad Pitt und der Albtraum im Inneren eines Panzers

Logan Lerman und Brad Pitt präsentieren «Fury» («Herz aus Stahl») in Japan.
Logan Lerman und Brad Pitt präsentieren «Fury» («Herz aus Stahl») in Japan.Bild: EPA
Weltkriegsdrama

«Herz aus Stahl»: Brad Pitt und der Albtraum im Inneren eines Panzers

Fünf Männer gegen das Deutsche Reich: Im Weltkriegsdrama «Herz aus Stahl» (Filmstart in Deutschschweiz am 1. Januar) bildet die Besatzung eines US-Panzers eine fast familiäre Zweckgemeinschaft – mit Brad Pitt als Patriarch im Geschützturm.
01.01.2015, 11:4101.01.2015, 17:29
andreas borcholte / spiegel online
Ein Artikel von
Spiegel Online

Deutschland im Frühjahr 1945, ein Leichenfeld: Schattenhaft erhebt sich zu Beginn von «Herz aus Stahl» eine Gestalt über eine matschige Brache. Es ist US-Sergeant Don Collier (Brad Pitt), der einen Erkundungsgang über den Schauplatz erbitterter Kämpfe macht. Ein SS-Offizier zuckt noch, Collier stösst ihm sein Bajonett ins Auge. Erst wütend, dann erschöpft guckt er, als er schliesslich zu seinen Männern auf den Sherman-Panzer steigt, das einzige US-Kampfgefährt, das bei diesem Gefecht heil geblieben ist. Amerika gewinnt den Krieg, aber die Verluste, physisch wie psychisch, sind gross.

Trailer auf Englisch.

«Fury», also Furie oder Wut, heisst David Ayers Kriegsfilm im Original, und so steht es auch auf dem Kanonenrohr des Sherman-Panzers, um dessen Besatzung es geht. Das Problem: Die wütende, stählerne Rachegöttin der Amerikaner ist zwar schnell und wendig, kann aber in Sachen Panzerung und Bewaffnung kaum gegen die Brachialität der deutschen «Tiger I»-Kolosse bestehen. Analog zu einer bekannten Feuerzeug-Marke wurden die Shermans in der US-Armee auch als «Ronson lighters» verspottet, weil sie bei Beschuss so leicht in Flammen aufgingen. Jeder Einsatz in den endlosen Wiesen und Feldern der deutschen Provinz war ein Himmelfahrtskommando. Überall, hinter jedem Knick, in jedem Dorf, konnten sich Teile von Hitlers letztem Aufgebot verschanzt haben.

Trailer auf Deutsch.

«Herz aus Stahl» knüpft an, wo «Der Soldat James Ryan» aufhörte. Steven Spielbergs Weltkriegsopus begann mit der bis heute unerreicht schonungslosen Reinszenierung der Landung in der Normandie und endete als klassisches Platoon-Movie über mehr oder minder heroische Männerschicksale im Hinterland. In Ayers Film sind seit dem D-Day Monate vergangen, die Mühen der Etappe liessen den letzten Rest Siegeseuphorie verfliegen. Zynismus und Müdigkeit beherrschen die Befreiungsmacht, die sich Schritt für Schritt Richtung Reichshauptstadt vorkämpft. Die Furie, das ist längst nicht mehr der ironisch betitelte Panzer, sondern der Krieg selbst.

Seelische Verheerung

Ayers Film hat alles, was ein guter Kriegsfilm braucht: Den Dreck, den Lärm und die beängstigende Stille, die russverschmierten Gesichter mit den bangen Augen, die Enge im Inneren des Panzers, die packende Action der Gefechte, die Brutalität von Guten wie Bösen. «Herz aus Stahl» ist darüber hinaus aber auch ein zum Teil überraschend behutsames Psychodrama über die Entstehung dessen, was heute als posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet wird: Die seelischen Verheerungen des Krieges.

Beide Grossväter von Regisseur Ayer waren US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg, er selbst leistete mehrere Jahre Dienst in der US-Marine auf einem U-Boot, bevor er begann, Filme über Männer in Extremsituationen zu drehen. Der heute 46-Jährige schrieb das Drehbuch zum Polizei-Thriller «Training Day» und inszenierte das pseudo-dokumentarische Cop-Drama «End Of Watch» mit Jake Gyllenhaal. Für «Herz aus Stahl» verlegte er den Schauplatz seiner Stressgeschichten von den Strassen L.A.s in die letzten Wirren des Weltkriegs auf deutschem Boden.

Collier und sein Panzerteam bilden eine Zweckgemeinschaft, die ihren eigenen Regeln folgt. Zur Besatzung gehören der Latino-Steuermann Gordo (Michael Pena), der dauerfluchende Redneck-Lader «Coon-Ass» (Jon Bernthal), der zusammen mit dem gottesfürchtigen Kanonier Boyd «Bible» Swan (Shia LaBeouf) das Geschütz bedient. Neu dazu kommt der junge Rekrut Norman (Logan Lerman). 

Der Sergeant erkennt sofort, dass der moralisch noch integere Frischling Norman sein Team durch Angst und Skrupel in Gefahr bringen könnte und zwingt ihn dazu, einen gefangen genommenen deutschen Soldaten zu erschiessen. Norman wehrt sich mit Händen, Füssen und Tränen gegen diesen Zwang, den Collier für nötig hält, um den jungen Soldaten abzuhärten und das Überleben der Gruppe zu gewährleisten.

Angespannter Versuch von Zivilisation

Eine harte, fragwürdige Szene. Ayer kontert sie mit einer langen, atmosphärisch dichten Sequenz in der Mitte, in der Collier und Norman es sich in einem Dorf bei zwei jungen deutschen Frauen gemütlich machen. Die US-Soldaten verhalten sich höflich und respektvoll in dieser übergriffigen Situation, es kommt zu Zärtlichkeiten, und es wird am Tisch zusammen gegessen – ein angespannter Versuch von Zivilisation inmitten der Barbarei. Collier, von Brad Pitt mit Bürstenschnitt, breitem Kreuz und Grübelgrimassen als John-Wayne-Hommage verkörpert, verhält sich zu Norman wie ein strenger, aber gutmütiger Vater, der unter seiner selbstverordneten Härte durchaus leidet. Seine Schutzbefohlenen nennen ihn nicht umsonst «Wardaddy».

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Shia LaBeouf als frömmelnder «Bible» nimmt in dieser Konstellation die Rolle der emotionalen Mutterfigur ein, Pena und Bernthal spielen Normans verrohte ältere Brüder. Als sie das gemütliche Quartett stören, kippt die Stimmung in dem schlichten Apartment von friedfertig zu aggressiv. Nur mit Mühe kann Collier den drohenden Gewaltausbruch verhindern. 

Das gelingt dem Panzer-Patriarchen am Esstisch, aber nicht auf dem Schlachtfeld: Zum Showdown seines unbedingt sehenswerten, zwischen Schock und Schönheit fein ausbalancierten Films schickt Ayer die Männer seiner Kleinfamilie mitsamt ihrem bald havarierten Panzer in die ultimative Mut- und Bewährungsprobe an einer strategisch völlig unbedeutenden Strassenkreuzung im Nirgendwo. 

Im Innenraum des Panzers verdichtet sich das existenzielle Drama der Frontsoldaten zur Geburt des Kriegstraumas aus kreischendem Stahl. Ein Albtraum aus zischenden Geschossen, brennenden Körpern, explodierenden Bomben und verlorener Unschuld, der auch für den, der ihn überlebt, niemals enden wird.

(lue)

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