Reto ist Vater von 60 Kindern. Frauen, die sich ein Kind wünschen, können sein Sperma im Becher bestellen – oder ihn zum Sex treffen.
Spätestens Ende 30 lässt sich die Frage nach der Familienplanung für das weibliche Geschlecht nicht mehr mit «später» beantworten. Wer sich ein Kind wünscht, muss jetzt den geeigneten, zeugungswilligen Partner zur Hand, besser bereits schon im Bett haben – und vorwärtsmachen.
Die Reproduktionsmedizin gaukelt Frauen zwar vor, eine Lösung zu haben. Mit Social Freezing, dem Einfrieren von Eizellen, wird das Problem aber bloss auf die lange Bank geschoben. Da Alleinerziehende mittlerweile nicht mehr wie Aussätzige behandelt werden und auch Kinder, die nicht in so genannt intakten Familien aufwachsen, in der Schule keine Minderheit mehr sind, erfüllen sich Frauen heute ihren Kinderwunsch auf eigene Faust.
Für Singlefrauen ist es nicht möglich, auf legalem Weg in einer Klinik für Reproduktionsmedizin eine Samenspende zu erhalten. Zwar befürwortet die Nationale Ethikkommission mittlerweile die Samenspende im Sinn der Nichtdiskriminierung auch für alleinstehende Frauen, die Gesetzesänderung lässt aber auf sich warten. Immer noch ist eine heterologe Insemination, also eine Samenspende mit Sperma, das nicht vom Partner ist, nur bei Unfruchtbarkeit erlaubt. Die Frau braucht also einen Mann, und dieser ist in der Klinik verpflichtet, sich auszuweisen, wodurch er zum sozialen Vater des Kindes wird. «Die kantonalen Gesundheitsbehörden kontrollieren uns alle zwei Jahre», sagt Peter Fehr von der Kinderwunschklinik OVA IVF in Zürich.
Ein One-Night-Stand kam für Maya nicht in Frage. bild: shutterstock
Fehr kann jedoch Frauen ohne Partner trotzdem helfen, zu einem Kind zu kommen, da die heterologe Insemination für Alleinstehende in anderen europäischen Ländern legal ist. Beratung und Ultraschalluntersuchungen werden in der Schweiz gemacht. Darauf fliegt die Frau nach Spanien – sofern sie sich einen anonymen Spender wünscht – nach England oder Dänemark, wenn das Kind mit 18 Jahren erfahren können soll, wer sein biologischer Vater ist. Kostenpunkt je nach gewähltem Prozedere zwischen 800 und 8000 Euro – die Reise nicht gerechnet.
Deutlich günstiger ist es, bei einem ausländischen Anbieter wie Cryos in Dänemark, Spermien zu bestellen und eine Selbstinsemination vorzunehmen. Eine anonyme Spende mit Basis-Profil kostet gerade mal 63 Euro, eine offene Spende mit erweitertem Profil (Stimmaufnahme des Spenders hören, Babyfotos sehen etc.) bis zu 700 Euro, ohne Mehrwertsteuer und Versandkosten.
Da für die Einfuhr von Keimzellen eine Bewilligung benötigt wird, ist der Spermaimport illegal. Franziska Wirz von der Beratungsstelle appella bezeichnet ihn sogar als absoluten Blindflug: «Die Frau weiss nichts über die Gesundheit des Spenders. Zudem finden wir es wichtig, dass das Kind die Möglichkeit erhält, spätestens mit 18 seinen biologischen Vater kennen zu lernen.» Wirz empfiehlt Singles mit Kinderwunsch, im Bekanntenkreis einen Erzeuger zu suchen.
Klappt dies nicht, zeigt ein Blick auf einschlägige Internetseiten, dass an zeugungswilligen Männern kein Mangel herrscht. Ob biologische oder Bechermethode – alles ist möglich. Biologisch bedeutet schlicht normaler Geschlechtsverkehr; anscheinend sind die Erfolgschancen so grösser als bei der Bechermethode. Hier ejakuliert der Spender in einen sterilen Behälter, übergibt ihn der Frau und diese führt das Sperma möglichst bald, jedoch nicht später als nach einer Stunde mittels Einwegspritze in die Vagina ein. Zur Fremdinsemination oder Bechermethode gibt es im Internet detaillierte Anleitungen.
Maya
Reto sitzt im Frühstücksraum einer Hotelkette, öffnet auf dem Laptop die Datei mit den Fotos der Kinder, deren Erzeuger er ist, fast 60 sind es. Bei den ersten acht – so viele sind gesetzlich erlaubt – war er noch Samenspender in einer Reproduktionsklinik. Mittlerweile hat er sich selbstständig gemacht.
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Rechtlich begibt sich ein privater Samenspender wie Reto aufs Glatteis. Frauen, die auf diese Weise ein Kind bekommen, geben den Erzeuger im Geburtsformular nicht an. Wenn jedoch ein Neugeborenes ohne Vater registriert wird, sind die Behörden verpflichtet, herauszufinden, wer der Vater ist. Einerseits weil das Kind ein Recht hat zu wissen, von wem es abstammt. Andererseits weil ein privater Samenspender Unterhaltszahlungen für das Kind leisten müsste – anders als ein offizieller Spender.
Reto
Bleibt die Moralfrage. Darf frau das? Sich jeden Wunsch erfüllen, wie es ihr gerade passt? «Wer verzichtet, gilt heute als Versager», sagt Katrin Wiederkehr, Psychologin in Zürich. «Doch jede Wahl ist ein Verzicht.» Die 73-Jährige hat es sich erlaubt, zugunsten der Karriere keine Kinder zu haben. «Ich bin keine Asketin, sondern dafür, dass das Leben voll ausgeschöpft wird. Doch scheint man heute alles zu können, Anspruch auf alles zu haben.»
Ihre Generation verspüre diesen Frauen gegenüber, die sie als Pionierinnen bezeichnet, auch eine Spur Neid. Andererseits sei es nötig, Grenzen zu ziehen. «Die Lebensenergie muss für die Lebensleistung genügen. Ein Kind ohne Unterstützung des Erzeugers grosszuziehen, ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe.»