immer wieder Schnee
DE | FR
Blogs
Briefe von der Heimatfront

Die DDR ist wieder da!

Exil-Deutsche im Kaufrausch während eines Heimaturlaubs – oder so.
Exil-Deutsche im Kaufrausch während eines Heimaturlaubs – oder so.Shutterstock.com
Briefe von der Heimatfront (15)

Die DDR ist wieder da!

02.05.2014, 17:5304.05.2014, 16:32
Folge mir
Mehr «Blogs»

Vor kurzem hatte ich die Ehre, in Frankfurt Gäste aus der Schweiz zu beherbergen – genauer gesagt: schon etwas reifere Exil- und Kolonialdeutsche, die es mal wieder ins Mutterland gezogen hatte. Sie wirkten kraftvoll, gesund, durch ihr Leben in der Schweiz insgesamt gepäppelt und wie leuchtend vor Behagen – und doch war etwas Hungriges in ihren Augen, eine seltsam flackernde Gier, ein ungestilltes, namenloses Verlangen. Ich schob es auf die Höhenluft bzw. senilen Medikamentenmissbrauch und widmete mich meinen Gastgeberpflichten: Nach Austausch der üblichen Höflichkeitsfloskeln sollte das gemeinsame Wochenende geplant werden. Wie gross aber war meine Überraschung, als die an sich kultur- und museumsversessenen Eheleute unisono und in fast teenagerhaftem Überschwang einen bis dato unerhörten Wunsch formulierten: «Wir wollen shoppen! SHOPPEN!» 

Acht Stunden lang schleppten mich die beiden durch die Fachgeschäfte: Tee, Bier, eine spezielle Terrarienerde, Malerpapier, orthopädische Einlagen, Gartenmöbel, Steaks, Bündnerfleisch im Angebot – nichts war vor der enthemmten Kauflust der beiden sicher. Es war, als hätten zwei Vampire nach jahrhundertelangem Schlaf bemerkt, dass auf dem Gelände ihrer Gruft zwischenzeitlich eine Blutbank errichtet wurde. Am Sonntagabend reisten die beiden ab. Nicht eine Ausstellung war durchschritten, nicht ein Konzert durchschlummert worden, und doch wirkten sie glücklich; satt wie zwei Landstreicher, die den Generalschlüssel für eine Schuhfabrik gefunden hatten. 

Die mittlerweile höchsten Preise der Welt, mittelalterliche Ladenschlusszeiten sowie eine völlig rätselhafte, geradezu minimalistische Einkaufspolitik im Einzelhandel haben dafür gesorgt, dass man für das gute Geld, das man in der Schweiz verdient, praktisch nichts mehr kaufen kann. Ähnlich wie in der ehemaligen DDR ist für die menschlichen Grundbedürfnisse gesorgt, aber alles darüber hinausgehende ist unerreichbar, Ziel jahrelangen Sparens oder Objekt von Geheimverhandlungen. Inmitten des voll entwickelten Kapitalismus ist die Versorgungslage eine realsozialistische. Care-Pakete an deutsche Verwandte voll mit elementaren Luxusartikeln machen mittlerweile 90 Prozent des deutsch-schweizerischen Postaufkommens aus. Kinder schmuggeln kleine Päckchen französischer Butter in ihren Nintendos über die Grenze. Mäntel und Jacken, deren Innenfutter vollständig durch Pasta ersetzt wurde, sind von der Grenzpolizei gut dokumentiert. Der Mindestlohn wird die Preisspirale zu immer noch wilderen Umdrehungen treiben. Bald werden die Butterfahrten ins EU-Grenzland von den Anwohnern gefürchtet werden wie ehedem die Wikinger: «Die Schweizer kommen! Verrammelt die Discounter, versteckt Eure Sonderangebote!» Dann allerdings wird es zu spät sein.

Leo Fischer
Der ehemalige Chefredaktor vom Satiremagazin «Titanic» schreibt jede Woche einen «Brief von der Heimatfront». Er liefert den deutschen Invasoren in der Schweiz Schlachtpläne, wie sie die deutsche Dominanz in den Universitäten oder dem Gesundheitswesen noch stärker durchsetzen und festigen können. Er wird aber auch seinen Landsleuten mit ordentlich Humor grob aufs Dach hauen.

Mehr von Leo Fischer gibt's bei Titanic.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
1
Der Ehetrick-Versuch
Ein Ring am Ringfinger wirke Wunder, sagte mir ein Freund. Fand ich blöd. Aber: Ein Wunder wäre bitter nötig.

Seit Valentina läufts nicht mehr. Nichts, nada, niet. Seither gab es nur noch den Laura-Fail. Die ist übrigens immer mal wieder bei uns zuhause, anscheinend war das nicht eine Once-In-A-Lifetime-Sache mit meinem Mitbewohner, also nicht, dass es ernster wäre, das glaube ich nicht, immerhin kommen auch andere Frauen aus seinem Zimmer, was ich zugegeben beeindruckend finde, also, der Typ sieht gut aus, aber jetzt nicht so Brad-Pitt-mässig krass gut, also, nicht so, dass ich wirklich verstehe, warum er so viel Auswahl hat, eher so normal gut, so gewöhnlich gut, nicht krass trainiert oder gross oder so, nichts, aber der hat einen Verschleiss, ich sag euch ... Ja, gut, vielleicht bin ich etwas neidisch. Aber was erwartet ihr von mir? Seit Valentina läuft ja, wie ich schon erwähnte, nichts.

Zur Story