Zürich (den). Schweizer Bauarbeiter haben genug. Seit Jahren pfeifen sie vorbeigehenden Frauen hinterher. Doch was viele nicht wissen: Die Maurer, Strassenarbeiter und Zimmermänner tun dies nicht aus niederen, machistischen Gründen. Nein, sie sind dazu verpflichtet. «Im nationalen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Baubranche gibt es einen Abschnitt, der uns vorschreibt, den Frauen hinterher zu pfeifen oder wenigstens ein ‹Hey baby, lächle mal. Das ist das Zweitbeste, das du mit deinen Lippen machen kannst› hinterher zu rufen. Das müssen wir nun schon seit 25 Jahren machen», so Gewerkschaftssprecher Marco Gafner. Für viele Bauarbeiter sei die Situation unerträglich, so Gafner.
So auch für Christoph Märki. «Ich arbeite während den Semesterferien oft auf dem Bau», sagt der Ethnologiestudent. Dem 24-Jährigen fällt es schwer, der Pfeifverpflichtung nachzukommen. «Ich bin in einer glücklichen Beziehung mit einem anderen Mann. Trotzdem muss ich jedem Rock hinterherpfeifen. Das ist für mich sehr unangenehm.» Doch auch seine heterosexuellen Kollegen leiden oft unter den anzüglichen Sprüchen, so genannten «Catcalls». «An meinem Arbeitsort arbeiten Familienväter mit Töchtern im Alter von 16 aufwärts. Und diese Väter sind dann verpflichtet, 17-jährigen Chicks im Minirock anzügliche Bemerkungen nachzuwerfen!»
Doch wer hat die Klausel vor 25 Jahren in den Gesamtarbeitsvertrag gepackt? Psychologe und Frauenspezialist Michael Fischer klärt auf. «Anfang der 80er Jahre haben die Arbeiter tatsächlich noch aus einem chauvinistischen Antrieb den Frauen nachgepfiffen. Nach und nach hat sich dieses Verhalten auf Baustellen als normal ‹eingebürgert›. Eine Studie aus dem Jahr 1987 hat dann jedoch aufgezeigt, dass Frauen das Pfeifen und die Sprüche als Bestätigung für ihr Wesen empfanden und gar wütend wurden, wenn einmal ein Pfeifen ausblieb.»
Der Bundesrat nahm diesen positiven Effekt auf die Psyche der Frau zum Anlass und erliess 1989 den Zusatz für den GAV. Dass sich die «Catcalls» positiv auf die weibliche Bevölkerung auswirken, zeigt die Statistik. «Bei den Wahlen 1987 wurden knapp 30 Frauen in den Nationalrat gewählt. Nach dem Gesetz ging diese Zahl massiv herauf. Nun sind bereits knapp 60 Frauen im Nationalrat», so Psychologe Fischer. «Diese Politikerinnen stehen stellvertretend für all die hunderttausenden von selbstbewussten Schweizer Frauen, denen ein Pfiff bei einer Baustelle einen unglaublichen Moralschub gibt. Mit erhobenem Haupt gehen sie durchs Leben und holen sich so den Erfolg, der ihnen zusteht. Dieser Effekt lässt sich nicht mit Gold aufwerten.»