Pablo redet gerne und viel. Er ist ein Kunsthändler wie aus einem klischeehaften Hollywoodfilm. Für den Butterkeks, den ich dem Kolumbianer anbiete, ernte ich einen übertrieben angewiderten Gesichtsausdruck gepaart mit einem französischen «horrible». Und als ihn meine Freundin Lea fragt, ob er an unserem Zielort Cartagena in der Altstadt lebe, spielt er den Beleidigten und antwortet: «Por favor! («Ich muss doch bitten!») Ich habe natürlich ein Luxusappartement mit Blick aufs Meer!»
Doch Pablo kann auch ernst sein. Er weiss, dass er privilegiert ist, und macht sich viele Gedanken über jene, die weniger Glück haben als er. Ein paar Kilometer nördlich des Städtchens Toluviejo, im Nordwesten Kolumbiens, fragt er uns zwischen zwei Schlaglöchern: «Seht ihr diese Hügel dort?»
Er deutet auf ein dicht bewaldetes Gebiet zu unserer Rechten. «Dort kämpften lange Zeit Guerillas, Paramilitärs, Drogenkartelle und die kolumbianische Armee um die Vorherrschaft. Bis vor ein paar Jahren hätten wir hier nicht durchfahren können.»
Im nächsten Dorf, in dem wie überall in dieser Region fast ausschliesslich Afrokolumbianer leben, macht uns Pablo auf die zahlreichen fenster-, türen- und dachlosen Betonhäuschen aufmerksam. «Auch hier tobte Krieg. Sehr viele Menschen mussten ihre Häuser verlassen.» Einige Ruinen stehen noch immer leer, in viele ist aber Leben zurückgekehrt.
Die Uno schätzt, dass in dem mehr als fünf Jahrzehnte andauernden Konflikt zwischen der linksrevolutionären Guerilla-Organisation Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Farc), den Paramilitärs und der Armee rund 7 Millionen Kolumbianer aus ihrem Zuhause vertrieben wurden. Die Dörfer rund um das Berggebiet Montes de María, durch die wir mit Pablo fahren, sind leider keine Ausnahme.
Ein paar Tage später und ein paar hundert Kilometer weiter im Landesinneren sitzen wir bei Hochschullehrer Raoul im Auto. Er erzählt uns, dass auch dieses Gebiet sehr schwierige Zeiten hinter sich habe: «Wirtschaftlich ist es für die Menschen hier nach wie vor nicht leicht. Aber zumindest die offene Gewalt ist vorbei. Es ist besser geworden!»
«Es ist besser geworden!» Diesen Satz hören wir in unseren ersten zwei Wochen in Kolumbien unzählige Male. In kaum einem anderen Land habe ich innert kurzer Zeit so viele positive Menschen getroffen wie hier. Es sind Menschen, die eine schwierige, von Gewalt geprägte Zeit hinter sich haben, jetzt aber voller Optimismus in die Zukunft schauen. Ob Familienvater, Geschäftsmann, Lehrer, Lastwagen- oder Taxifahrer – jeder sagt, dass das Leben in Kolumbien besser geworden sei. Unter der Gewalt haben Menschen aller Gesellschaftsschichten gelitten.
Auch Kunsthändler Pablo ist der Meinung, dass sich in den letzten Jahren vieles zum Guten gewandelt hat. Im Gegensatz zu anderen ist er wegen des Friedensabkommens mit der Farc, das seit Ende 2016 in Kraft ist, jedoch nicht völlig euphorisch. Er sieht weiterhin Gefahren: «Die Guerilla-Kämpfer, die ihre Waffen abgegeben haben, müssen zuerst in die Gesellschaft integriert werden. Drogen werden nicht weniger angebaut als früher. Und die paramilitärischen Gruppen haben nach wie vor grosse Macht – nicht zuletzt durch ihre Verbindungen ins Parlament.»
Pablos Message ist klar: Kolumbien hat noch einen langen Weg vor sich und ist nicht über Nacht zum Vorzeigestaat mutiert. Er hat Zweifel, ob der gewaltfreie Neuanfang wirklich gelingt oder ob sich die momentane Ruhe nur als Verschnaufpause entpuppt. Etwas ist aber mit Sicherheit positiv: Die Menschen in Kolumbien haben wieder Grund zur Hoffnung.
Was mich für die Zukunft eher besorgt ist, dass kurzsichtige Politiker die enormen Ressourcen des Landes an die meist bietenden Staaten oder internationale Unternehmen verhökern, ohne das die Bevölkerung wirklich davon profitiert.
Als Beispiel von vielen, machen sich im Moment in La Guajira gerade deutsche Energieunternehmen breit, um die Steinkohleproduktion, welche in Deutschland 2018 aus Umweltschutzgründen eingestellt wird, weiter anzukurbeln. Die indigene Gruppe der Wayuu muss für die "saubere" europäische Energiewende weichen.
Ob Kolumbien in Zukunft wirklich prosperiert, hängt aus meiner Sicht davon ab, ob Leute und die Macht kommen, die aufrichtig daran interessiert sind, die enorme Lohnschere zu verkleinern, gegen den zutiefst korrupten Apparatus anzukommen.
Was mich positiv stimmt, ist, dass ich mehr und mehr Leute treffe, die aus dem Ausland zurückkehren, mehr Studenten, die an der Zukunft des Landes arbeiten wollen, anstatt mit dem Abschluss einen Job in Kanada oder Europa zu angeln.
Grüsse aus Bogotá :)