Die Nationale Kinderschutzstatistik, an welcher sich jeweils 19 Schweizer Kinderkliniken beteiligen, zeigt alle Jahre wieder in etwa das gleiche Bild: Um die 2’000 Kinder sind jährlich wegen einer vermuteten oder bewiesenen Misshandlung in Spitalbehandlung. Mädchen wie Jungs sind gleichermassen betroffen. Fast die Hälfte der behandelten Kinder ist jünger als 6 Jahre alt. Da sich der weitaus überwiegende Anteil von Gewalt innerhalb der Familie abspielt, ist die Prävention besonders schwierig. Und stellt das Umfeld vor besondere Herausforderungen.
Es ist wichtig und richtig, wenn du aufmerksam bist, frühzeitig auf Alarmsignale reagierst und allenfalls auch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) über die vermutete Kindeswohlgefährdung informierst. Insbesondere wenn Gewalt im Spiel ist, überlegst du dir es aus Angst jedoch möglicherweise mehr als einmal, ob du wirklich eine Gefährdungsmeldung machen und dich exponieren willst. Umgekehrt kann es dem eigentlich zu schützenden Kind mehr schaden als nützen, wenn du eine Familie unüberlegt oder gar in bösartiger Absicht meldest. Hier ist es noch besser als in anderen Situationen nachvollziehbar, wenn die Familie deinen Namen erfahren will.
Gesetzlich gesehen ist es grundsätzlich möglich, bei der Kindesschutzbehörde eine anonyme Gefährdungsmeldung einzureichen. Denn das Zivilgesetzbuch (ZGB) schreibt für die Ausübung des Melderechts keine bestimmte Form vor: «Jede Person kann der Kindesschutzbehörde Meldung erstatten, wenn die körperliche, physische oder sexuelle Integrität des Kindes gefährdet erscheint». Die KESB muss alle, auch alle anonymen, Meldungen entgegennehmen und bearbeiten.
Sofern die besondere Dringlichkeit keine superprovisorische Massnahme erfordert, hört die KESB nach einer Gefährdungsmeldung die betroffene Familie und das Kind erst einmal an und holt in deren Umfeld weitere Informationen ein. Die KESB wird dann je nachdem das Verfahren entweder ohne Massnahmen abschliessen, vorsorgliche Massnahmen ergreifen und / oder weitere Abklärungen tätigen oder tätigen lassen und im Anschluss allenfalls Kindesschutzmassnahmen ergreifen.
Als meldende Person hast du keinen Anspruch darauf, dass die KESB dich nach deiner Gefährdungsmeldung über das weitere Vorgehen informiert. Umgekehrt hat die betroffene Familie jedoch Verfahrensrechte und so insbesondere das Recht zu erfahren, von wem die Gefährdungsmeldung stammt. Hast du also deinen Namen bei der Gefährdungsmeldung angegeben, ist die KESB verpflichtet, ihn der betroffenen Familie im Rahmen der Akteneinsicht offenzulegen. Die KESB muss das gemäss einem Urteil des Berner Obergerichts selbst dann tun, wenn sie dir vorgängig die Anonymität zugesichert hat. Denn das Recht auf Akteneinsicht ist Teil des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Anders könnte ein Gericht allerdings etwa dann entscheiden, wenn du nachweist, dass die Bekanntgabe deines Namens dich direkt gefährden würde.
Bei konkreten Hinweisen auf eine Kindeswohlgefährdung sind mehrere Personengruppen übrigens nicht nur meldeberechtigt, sondern meldepflichtig, sofern sie die Gefährdung nicht selbst beheben können. Neben Behörden und Fachpersonen aus dem Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich sind dies generell alle Fachpersonen, welche beruflich regelmässig Kontakt zu Kindern haben. So ist der Kita-Mitarbeiter ebenso meldepflichtig wie die Fussballtrainerin. Untersteht jedoch beispielsweise eine Ärztin dem Berufsgeheimnis, ist sie nicht meldepflichtig, sondern nur meldeberechtigt.