Mit der grössten Demonstration seit einem Jahrzehnt haben die Hongkonger von Peking mehr Demokratie für die chinesische Sonderverwaltungsregion gefordert. Die Organisatoren schätzten die Zahl der Teilnehmer an dem alljährlichen Protestmarsch am Jahrestag der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie 1997 an China auf eine halbe Million.
Die Polizei berichtete am Dienstagabend eher vorsichtig, dass nach ihren Zählungen etwa 92'000 Menschen am Ausgangspunkt im Victoria Park losgezogen seien. Regierungschef Leung Chun-ying warnte vor Chaos. «Wir sollten alles vermeiden, was Hongkongs Stabilität und Wohlstand untergraben könnte», sagte Leung.
In versöhnlichen Tönen versprach der Regierungschef den sieben Millionen Hongkongern, «unser Möglichstes zu tun», um Konsens über die umstrittene Wahlreform herzustellen. Die Stimmung ist aufgeheizt, weil die kommunistische Führung in Peking zwar 2017 erstmals eine Direktwahl des Regierungschefs von Hongkong zulassen, aber weiter die Auswahl der Kandidaten kontrollieren will.
Der Marsch führte vom Victoria-Park in den Finanzdistrikt Central. Mit 4000 Beamten hatte die Polizei das grösste Aufgebot seit den Ausschreitungen 2005 bei der Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in dem asiatischen Finanz- und Handelszentrum mobilisiert.
Die Organisatoren des Protestmarsches forderten ein umfassendes und freies Wahlrecht. «Wir haben kein Vertrauen in die Zentralregierung, aber in das Volk, dass es aufbegehrt», sagte ein Sprecher.
Die Demonstranten protestierten auch gegen ein jüngstes Weissbuch, mit dem die Pekinger Führung ihre Kontrolle über die Sonderverwaltungsregion bekräftigt und Vaterlandsliebe der Hongkonger eingefordert hatte.
Auf Plakaten forderten Demonstranten «Hände weg von Hongkong». «Die Leute sind äusserst verärgert und glauben, dass sich ihre Rechte seit der Rückgabe 1997 verschlechtert haben», sagte der Abgeordnete Albert Chan von der oppositionellen People Power Partei. «Sie sind gekommen, um ihre Besorgnis zum Ausdruck zu bringen und fordern so schnell wie möglich ein freies Wahlrecht.»
In dem Weissbuch hiess es, Hongkong geniesse als Sonderverwaltungszone zwar besondere Freiheiten, habe aber keine volle Autonomie. Das Positionspapier warnte vor Einmischung «ausländischer Kräfte» in innere Angelegenheiten Chinas.
Es forderte auch von Richtern in Hongkong eine «patriotische Haltung» als grundlegende politische Anforderung, was Sorgen über die Unabhängigkeit der Justiz auslöste. Nach dem Grundsatz «Ein Land, zwei Systeme» wird Hongkong als eigenes Territorium autonom regiert und geniesst - anders als der Rest Chinas - auch Rede- und Versammlungsfreiheit.
Die Grossdemonstration erfolgt nur zwei Tage nach dem Ende eines inoffiziellen Referendums, in dem fast 800'000 Hongkonger oder ein Fünftel der Wahlberechtigten mehr Demokratie und eine öffentliche Nominierung der Kandidaten für die Wahl zum Regierungschef gefordert hatten.
88 Prozent der Teilnehmer forderten das - nicht frei gewählte - Hongkonger Parlament auf, jede Wahlreform abzulehnen, die nicht internationalen Demokratie-Standards entspreche. Peking verurteilte das Votum als «illegal und ungültig». (pma/sda/afp)