Erst am Morgen hatte ein weiterer Konvoi mit muslimischen Zivilisten die Hauptstadt Bangui aus Angst vor Übergriffen christlicher Milizen verlassen. Laut dem UNHCR stieg die Zahl der Menschen, die seit dem Sturz von Zentralafrikas Präsident François Bozizé im vergangenen März nach Kamerun flohen, auf 20'000.
«Die Muslime ergreifen jede erdenkliche Gelegenheit, um das Land zu verlassen», sagte die UNHCR-Sprecherin Fatoumata Lejeune-Kaba. Die Lastwagen, mit denen das Welternährungsprogramm Hilfen nach Bangui gebracht hätten, seien voller Flüchtlingen zurückgekehrt.
«Die Lebensbedingungen für die Neuankömmlinge sind prekär», sagte die Sprecherin. Demnach sind mehr als 60 Prozent der Flüchtlinge minderjährig, viele lebten im Freien. In Kamerun lebten bereits vor Beginn der Krise 92'000 Flüchtlinge aus Zentralafrika. Lejeune-Kaba verwies aber auch darauf, dass noch rund 17'000 Flüchtlinge aus anderen Ländern in Zentralafrika lebten. Insbesondere die mehrheitlich muslimischen Tschader wollten nun raus.
Erst am Vormittag verliess ein weiterer grosser Flüchtlingskonvoi Bangui. Dabei wurde ein Mann, der von einem Lastwagen fiel, von der umstehenden Menge gelyncht, wie Augenzeugen der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Ein AFP-Fotograf sah die zerstückelte Leiche am Strassenrand. Ein weiterer Laster des Konvois wurde von christlichen Milizionären angegriffen, doch konnte die afrikanische Friedenstruppe die Situation entschärfen.
Die Muslime in Bangui werden regelmässig Opfer von Übergriffen durch die christliche Mehrheit. Diese macht die Muslime mitverantwortlich für die Gewalt der mehrheitlich muslimischen Séléka-Rebellen. Die Fluchtbewegung hat sich noch verstärkt, seitdem die Séléka-Kämpfer entwaffnet, interniert oder zum Verlassen der Stadt gezwungen wurden. Andere Muslime wiederum fliehen aus den Provinzstädten nach Bangui, um am Flughafen Zuflucht zu suchen.
In Bangui gibt es immer wieder Lynchmorde auf offener Strasse. Erst am Mittwoch lynchten Soldaten nach einer offiziellen Zeremonie einen Mann, der verdächtigt wurde, ein Séléka-Mitglied zu sein. Die UNO und Frankreich reagierten mit Empörung auf den Mord und forderten eine «exemplarische Bestrafung» der Schuldigen. Die Regierung leitete eine Untersuchung ein
Die Staatsanwältin Fatou Bensouda vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) teilte am Freitag mit, sie habe wegen des Verdachts auf «schwere Verbrechen» in Zentralafrika eine Voruntersuchung eingeleitet. «Mein Büro hat zahlreiche Berichte über Taten von extremer Brutalität erhalten und Vorwürfe, dass schwere Verbrechen begangen werden», erklärte Bensouda.
In dem multikonfessionellen Land im Herzen Afrikas herrscht Chaos und Gewalt, seitdem das Rebellenbündnis Séléka im März 2013 Präsident Bozizé stürzte und als Nachfolger Michel Djotodia an die Macht brachte. Dieser löste Séléka offiziell auf, doch blieben die Milizen weiter aktiv. Angesichts Djotodias Unfähigkeit, die Spirale der Gewalt in den Griff zu bekommen, trat er im Januar ab, woraufhin Catherine Samba Panza neue Übergangspräsidentin wurde. (sza/sda/afp)