Der Krieg hat der Ukraine neue Helden beschert, die «Cyborgs». So bezeichnen ukrainische Medien eine Einheit von Kämpfern, die sich festkrallen – an vorderster Front, nahe der Rebellenhochburg Donezk. Seit Monaten verteidigen sie den Flughafen der Stadt. Sie sind seit Mai nahezu eingekesselt, wehren aber Angriff um Angriff der ostukrainischen Rebellen ab.
Der Kampf um den Flughafen von Donezk ist zu einem Symbol des Ukraine-Kriegs geworden. Der Durchhaltewille der «Cyborgs» inspiriert viele Ukrainer, verdrängt auch die Bilder der ukrainischen Militärkolonnen, die zu Beginn des Konflikts zum Feind überliefen. Die grossen TV-Kanäle senden Videobotschaften der Männer. Es gibt Kalender zu kaufen mit Porträts der Frontkämpfer, mit dem Erlös sollen die Truppen unterstützt werden.
Zugleich ist der Flughafen aber auch ein Symbol für die zerstörerische Kraft, die der Krieg in der Ukraine entwickelt hat. Die Terminals des Prokofjew-Airports wurden eigens zur Fussball-Europameisterschaft 2012 neu gebaut, zwischen 400 und 800 Millionen Dollar soll der Flughafen gekostet haben.
Viel ist nicht davon übrig geblieben. Aufnahmen des Areals zeigen die gewaltige Zerstörung. Seit Wochen toben dort schwere Gefechte nicht nur um einzelne Gebäude, sondern sogar um einzelne Terminal-Etagen.
Der ukrainische Vorposten dort ist den Rebellen ein ständiges Ärgernis. Er liegt nur wenige Kilometer vom Donezker Zentrum entfernt. Seit Monaten versuchen die Rebellen, die Terminals zu stürmen – Waffenstillstand hin, Waffenstillstand her. Ende vergangener Woche sah es so aus, als wären die «Cyborgs» geschlagen. Die Rebellen meldeten die Eroberung.
Seit ihrer Offensive aber ist der zuvor bereits brüchige Waffenstillstand praktisch Geschichte. Kiew ordnete eine sofortige, schwere Gegenoffensive an, «massives Feuer auf alle bekannten Positionen der Separatisten». Artilleriegeschosse schlugen in Wohngebieten in Donezk ein, Panzer stiessen vor. Kurz darauf meldete Kiew die Rückeroberung des Flughafens.
Die im September in Minsk vereinbarte Feuerpause hatte ihren Namen nie recht verdient, geschossen wurde in der Ostukraine seitdem fast an jedem Tag. Am vergangenen Dienstag kamen zwölf Zivilisten ums Leben, sie starben bei einem Artillerieangriff auf einen ukrainischen Checkpoint, den ihr Bus gerade passierte.
Die neuerliche Schlacht um den Flughafen Donezk hat an vielen Frontabschnitten die schwersten Gefechte seit Monaten ausgelöst. Sie schüren Befürchtungen, dass der Krieg in der Ukraine wieder offen ausbrechen könnte. An diesem Dienstag sollen zusätzliche 50'000 Ukrainer bei einer Teilmobilmachung bewaffnet werden, meldet die Nachrichtenagentur DPA. Zuvor schon hatte Verteidigungsminister Stepan Poltorak angekündigt, dass in diesem Jahr bis zu 104'000 Ukrainer mobilisiert werden könnten. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass der Krieg in der Ostukraine in eine neue Runde geht.
Der Grund dafür ist so simpel wie verheerend:
Der Kreml mag die «Volksrepubliken» nicht fallen lassen. Er fürchtet, der Zorn von Russlands aufgestachelten Patrioten könnte sich gegen die eigene Regierung wenden. Die Separatisten wiederum hoffen noch immer auf eine offene Intervention der russischen Armee und den Anschluss an Russland.
Auch Kiew fehlt offenbar der Wille zu einem Frieden, weil dieser unpopuläre Massnahmen erfordern würde. Einen «Sonderstatus», beziehungsweise eine Autonomie, will die Regierung den Rebellen nicht mehr bieten. Präsident Petro Poroschenko hatte bislang selten zu markigen Parolen gegriffen. Die kriegerische Rhetorik hatte er seinem Premierminister Arsenij Jazenjuk überlassen.
Aber der Druck auf den Staatschef ist in den vergangenen Wochen gestiegen. Jazenjuk hat sich nach den Parlamentswahlen aufgeschwungen zum neuen starken Mann in Kiew. Präsident Poroschenko scheint nun auf den Kurs der Hardliner einzuschwenken.
Zuletzt zeigte sich Poroschenko häufig in Uniform und vor Militärgerät. Die Kampffähigkeit der zuletzt angeschlagenen Armee sei vollständig wiederhergestellt, verkündete er Anfang des Jahres. Die «Cyborgs» vom Flughafen hätten
gezeigt. Man werde «nicht einen Fetzen ukrainischer Erde» Preis geben, den Donbass zurückerobern und «dort das Ukrainertum erneuern».