Die Häme, den Spott, die Empörung der anderen – all das hat sie stets benötigt wie die Luft zum Atmen. Sarah Palin machte die Kritik an ihrer politischen Ahnungslosigkeit zum Fundament für ihren politischen Aufstieg. Sie hat die Negativ-Schlagzeilen transformiert in wütende Energie, mit der sie über die vermeintlichen Mainstream-Medien herzog, über das Kartell der liberalen Besserwisser, über die Elitisten von der Ostküste.
So wurde sie zum Star der Rechtskonservativen, zum Maskottchen der Anti-Obama-Bewegung und Tea-Party-Aktivisten. Zum Programm gehörte stets auch das dauerhafte Liebäugeln mit der Präsidentschaftskandidatur.
Provinzialität galt plötzlich als Auszeichnung, Nichtwissen als Authentizität, Verstocktheit als Charakter. Eine Erlösung für Amerikas Rechtsaussen-Graswurzelbewegung, die Palin fortan vergötterte. Irgendwann schrieb die «New York Times», Palin habe «Fehlbarkeit zu einer Erfolgsformel gemacht.»
Doch damit könnte jetzt Schluss sein, sieben Jahre nachdem sie als republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin die nationale Bühne betreten hat. Und das liegt, Ironie der Geschichte, wiederum an Häme, Spott und Empörung. Allerdings ist es diesmal die Kritik der eigenen Leute, jener konservativen Medien, die Palin stets die Bühne zum Gegenschlag boten.
Nun kommentiert die «National Review»: «Sarah Palin rutscht ab in die Selbstparodie.» Und der «Washington Examiner» meint, es sei doch schwer nachzuvollziehen, dass Palin ernsthaft eine Präsidentschaftskandidatur 2016 erwäge. Massgebliche konservative Blogger sind auf den Barrikaden.
Was ist geschehen? Sarah Palin hat eine bizarre Rede gehalten, mit den üblichen stimmlichen Oktavsprüngen nach oben. Beim sogenannten «Freiheitsgipfel» in Iowa, einem Schaulaufen potentieller Republikaner-Kandidaten für die Präsidentschaftskandidatur, war Palin am vergangenen Wochenende zu Gast.
Der komischste Moment ihres 35-Minuten-Auftritts war dieser Ausspruch, gerichtet an ihre republikanischen Parteifreunde:
Aha. Welcher Mann?
Bewusstseinsstrommässig ging es weiter: Da war die Rede vom Volk, das sich eine Regierung halten sollte und nicht umgekehrt; von «Krieg» und «Vetternwirtschaft» in Washington; davon, dass Hillary Clintons Hosenanzug sicher nicht echte Patrioten schlagen könne; es war die Rede von Reagan, von Rassismus und Sexismus der Linken, von Dschihadisten und Amnestie für illegale Einwanderer; von der Lehrerin ihrer Tochter, die mit Vornamen «Amerika» hiess; von Margret Thatcher; und wieder Reagan; und dann: Gott schütze Iowa; Ende.
Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass Palin eine bizarre Rede hält. Das hat sie all die Jahre immer wieder getan. Doch in Iowa scheint sich am vergangenen Wochenende eine Art qualitativer Sprung ereignet zu haben: Die Stimmung ist gekippt. Dass ausgerechnet dort das Ende des Phänomens Palin zutage tritt, ist eine Überraschung. Denn in Des Moines, der Hauptstadt des Agrar-Staats im Mittleren Westen, versammelte sich ja der harte Kern der Tea Party, Palins ursprünglicher Fanbase, rund 1200 Anhänger.
Sarah Palin's descent into irrelevance #London - http://t.co/fwkzpaApBP
— UK Newz (@theUKNewz) 30. Januar 2015
Alle Voraussetzungen für die übliche Palin-Party waren also gegeben: Die Leute johlten, wenn ein Redner auf Obamas Gesundheitsreform schimpfte; sie lachten, wenn der moderate Republikaner Jeb Bush verhöhnt wurde; sie feierten den, der die Vorredner an Radikalität noch übertrumpfte. Dem Tea-Party-Senator Ted Cruz, einst von Palin gefördert, jubelten sie wie einem Rockstar zu.
Aber Sarah Palin? Die Reaktion war eher höflich, viele hatten offensichtlich Probleme, den Gedankensprüngen der Rednerin zu folgen. Ted Cruz ist von morgen, Sarah Palin ist von gestern, das war die Botschaft. Wenn Palin nicht in Iowa leuchtet, wo sonst?
Es ist wohl so: Ihre Taktik hat sich abgenutzt. Jahr für Jahr musste sie weiter eskalieren, medial immer noch einen draufsetzen. Die Dosis erhöhen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. In der Reality-TV-Show «Sarah Palin's Alaska» ging sie fischen, jagen und campen. Gegenwärtig läuft «Amazing America», wo sie den Waffenkult des Landes feiert. Parallel kokettiert sie mit der Präsidentschaftskandidatur.
Nur: All das scheint nicht mehr so zu ziehen, die Leute scheinen über Palin hinweg. Früher mögen sie sie als kreative Zerstörerin gesehen haben; heute nur noch als Zerstörerin. Sie ist ins leichte Fach übergewechselt, zu Donald Trump und Konsorten. Grosse Sprüche und nichts dahinter, Politikdarstellerin statt Politikerin. Als sie das bei Fox News diese Woche aussprachen, reagierte Palin beleidigt.
Dabei hat sie die Weichen selbst gestellt: Nach der Wahlniederlage 2008 ging sie eben nicht als Gouverneurin zurück nach Alaska, organisierte nicht von dort aus ihr politisches Comeback. Nein, Sarah Palin modelte sich zur Medienfigur um, ihre politische Welt wurde Jahr für Jahr monochromer und oberflächlicher, hier das Gute, dort das Böse, sie surfte auf der Anti-Obama-Stimmungswelle.
Damit ist sie zwischenzeitlich zum Star aufgestiegen. Aber das auf den Showeffekt gegründete Fundament ist nicht belastbar, der Verfall nur folgerichtig.
Mitarbeit: Holger Stark