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«Sozialhilfe ist das Rezept» – «Nicht schlecht, Herr Bortoluzzi!»

Claudine Esseiva, Generalsekretärin der FDP-Frauen und SVP-Nationarlat Toni Bortoluzzi streiten sich darüber, warum der Entwurf des neuen Gesetzes über den Kindsunterhalt schlecht ist.
Claudine Esseiva, Generalsekretärin der FDP-Frauen und SVP-Nationarlat Toni Bortoluzzi streiten sich darüber, warum der Entwurf des neuen Gesetzes über den Kindsunterhalt schlecht ist.
Streitgespräch zum neuen Familienrecht

«Sozialhilfe ist das Rezept» – «Nicht schlecht, Herr Bortoluzzi!»

Feministinnen und Konservative machen gegen die geplante Neuregelung des Kindesunterhalts mobil – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ein Streitgespräch zwischen Claudine Esseiva (FDP) und Toni Bortoluzzi (SVP) über tote Ehemänner, Krippenplätze und Scheidungsgeschichten. 
18.06.2014, 11:1406.08.2014, 23:08
Gelöschter Benutzer
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Sollen unverheiratete Väter nach einer Trennung auch ihrer Ex-Freundin Alimente bezahlen müssen und nicht wie bisher nur den Kindern? Das ist die umstrittenste Neuerung im geplanten Gesetz zum Kindesunterhalt, das der Nationalrat morgen als Erstrat behandelt.

Nicht nur Männerrechtler, sondern auch aus dem feministisch-progressiven Umfeld erwächst an dieser Regelung Kritik. Claudine Esseiva, Generalsekretärin der FDP-Frauen, befürchtet, dass das alte Rollenmuster zementiert werde, wonach die Frau zu Hause zu den Kindern schaut. Denn diese erhält von den Gerichten und Vormundschaftsbehörden nach wie vor in aller Regel die Obhut der Kinder nach einer Trennung. 

Aus konservativen Kreisen erwächst dem neuen Gesetzesentwurf zum Kindsunterhalt indes genau so heftige Kritik, wie die umstrittenen Äusserungen des SVP-Nationalrats Toni Bortoluzzi zeigen. Wenn auch aus anderen Gründen. 

watson hat die beiden Politiker zur Diskussion über das neue Gesetz zum Kindsunterhalt getroffen:  

watson: Herr Bortoluzzi, mit dem neuen Unterhaltsrecht werden nach einer Trennung Einelternfamilien aus unverheirateten Verhältnissen gleichgestellt…
Toni Bortoluzzi: ...Jaja, das ist natürlich schlecht! 

… gleichgestellt mit solchen aus geschiedenen Ehen, Konkubinate also quasi in den Stand einer Ehe gehoben. Das müsste Ihnen doch gefallen.
Bortoluzzi: Es gefällt mir aber überhaupt nicht. Es ist mir nicht so ganz klar, was eigentlich das Ziel dieser Revision aus dem Departement Sommaruga ist. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass das Kindeswohl nur vorgeschoben ist, um eine ideologische Korrektur am Familienrecht vorzunehmen und alle Familienformen rechtlich gleichzustellen. Das ist eine typische Zeitgeistübung und gar nicht nötig, denn wir haben gute Lösungen für die Kinder, es muss keines darben. 

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Das Unterhaltsrecht
Mit dem revidierten Gesetz sollen unverheiratete Mütter nach einer Trennung Unterhaltszahlungen von ihren Ex-Partnern erhalten. Mütter aus getrennten Konkubinatspaaren sollen somit gleich behandelt werden wie Mütter aus geschiedenen Ehen. Auch die Kinder sollen, unabhängig vom Zivilstand der Eltern, gleichgestellt und ihre Betreuung im gewohnten Umfeld sicher gestellt werden. 
Derzeit erhalten Mütter nach einer Trennung aus einer Beziehung ohne Trauschein keine Unterhaltszahlungen, die Ex-Partner sind nur den gemeinsamen Kindern Unterhalt schuldig.

Claudine Esseiva: Das stimmt natürlich nicht. Es ist eine gesellschaftliche Realität, dass viele Kinder in Konkubinaten geboren werden, in denen es genauso Trennungen gibt, wie in Ehen. Und heute ist es so, dass diese Kinder rechtlich einen anderen Stand haben als eheliche Kinder. Im Grundsatz ist aber die Gleichbehandlung der wachsenden Anzahl unehelicher Kinder richtig. 

Bortoluzzi: Nein. Wir können doch nicht einfach die Gesetze dauernd den veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Wo kommen wir denn da hin? Dieses Gesetz ist nichts anderes als ein Angriff auf das bewährte Vertragspaket Ehe. Diese ist nicht einfach ein alter Zopf, sondern ein Ausdruck der Selbstverantwortung. Wer eine Ehe eingeht, der gibt ein Stück seiner persönlichen Freiheit auf im Wissen darum, dass er zur Verantwortung gezogen wird, wenn er plötzlich auf seine Pflichten pfeifen will. 

«Das übelste an diesem Gesetz ist, dass man das Kindeswohl vorschiebt.»
Toni Bortoluzzi.

Wollen Sie jetzt die Verluderung der Sitten beklagen? Verdrehte Hirnlappen diagnostizieren?
Bortoluzzi: Nein, hören Sie bloss auf damit. Ich sage nur: Die rechtliche Gleichstellung des Konkubinats in der Unterhaltsfrage ist ein weiterer Schritt dahingehend, diese – zugegebenermassen grosse – Eigenverantwortung, die aus der Ehe resultiert, an den Staat und die Allgemeinheit abzuschieben. Und das übelste an diesem Gesetz ist, dass man das Kindeswohl vorschiebt, dabei geht es bloss darum – und ich sage es deutsch und deutlich – egoistisches Verhalten der Eigenverantwortung rechtlich gleichzustellen.

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Claudine Esseiva
Die 36-jährige Freiburgerin ist Consultant bei der PR-Agentur Furrer, Hugi und Partner in Bern und Generalsekretärin der FDP-Frauen. Sie lebt mit ihrem Partner, der zwei Kinder aus erster Ehe hat, im Konkubinat und hat einen sechs Monate alten Sohn. 

Esseiva: Das ist völliger Unsinn. Die neue Gesetzgebung geht ja genau in die andere Richtung, eben dahin, dass auch unverheiratete Väter stärker in die Verantwortung genommen werden. Die Stossrichtung ist auch hier richtig. Bloss darf sie nicht dazu führen, dass die zunehmende Zahl von Paaren, die sich bewusst gegen die Ehe und für uneheliche Kinder entscheiden, rechtlich in die fünfziger Jahre zurückgeworfen werden und die Väter für die Kinder und die Mütter zahlen, damit letztere für zehn oder mehr Jahre die Kinder daheim betreuen. Die Absicht mag wohl löblich sein, aber das Signal ist fatal.

«Aber was passiert, wenn die Kinder die Betreuung der Mutter nicht mehr benötigen?»
Claudine Esseiva.

Ist das für eine Mutter, die zwei kleine Kinder alleine durchbringen muss, nicht völlig wurscht, was das Gesetz aus feministischer Perspektive signalisiert, wenn sie damit substanziell mehr Unterhalt erhält?
Esseiva: Nein. Allenfalls für die erste Zeit. Aber was passiert, wenn die Kinder die Betreuung der Mutter nicht mehr benötigen? Ein Wiedereinstieg in die Arbeitswelt ist dann fast unmöglich. Statt für die Frauen Anreize zu schaffen, möglichst lange zu Hause zu bleiben, sollte das Gesetz möglichst gute Voraussetzungen schaffen, dass sich die Paare gleichberechtigt um Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit kümmern.

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Toni Bortoluzzi
Der 67-jährige Zürcher aus Affoltern am Albis ist seit 1991 SVP-Nationalrat und seit 44 Jahren verheiratet. Er hat vier erwachsene Kinder, die alle selbst auch schon Kinder haben. Eine seiner Töchter lebt im Konkubinat. Bis 2012 betrieb Bortoluzzi einen eigenen Schreiner-Betrieb. Vergangene Woche bezeichnete er öffentlich alle Formen des Zusammenlebens ausserhalb der Ehe zwischen Mann und Frau als abnormal. 

Aber das ist illusorisch. Sie als Betriebswirtschafterin und wir als Journalisten können allenfalls zur Not 50 Prozent arbeiten. Bei Herrn Bortoluzzi in der Schreinerei ist das schon schwieriger.
Bortoluzzi:
 (zu watson-Redaktoren) Sie würde ich wohl auch für zehn Prozent nicht brauchen können. Aber auch sonst sind die Chancen in der Bau- und verarbeitenden Branche klein, das ist so.

Sehen Sie?
Esseiva: Bloss, weil das in gewissen Branchen derzeit nicht möglich ist, heisst das nicht, dass man sich diesem Zustand einfach so beugen muss. Die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen ist eminent wichtig. Schauen Sie mich an. Mein Vater hat mir immer gesagt: Mädchen, du musst eine gute Ausbildung machen und für dich selber sorgen können. Ich habe einen Sohn, lebe im Konkubinat und arbeite 100 Prozent und bin finanziell unabhängig.

Bortoluzzi: Ja, und das Kind ist in der Krippe, hochsubventioniert.  

Esseiva: Das Kind ist überhaupt nicht subventioniert, ich zahle die vollen Tagessätze. 

«Sie lebt ein bisschen mit ihrem Freund zusammen, ohne grosse Verpflichtungen, Jubel, Trubel, Heiterkeit! »
Toni Bortoluzzi über Claudine Esseiva.

Bortoluzzi: Auch die sind noch subventioniert. Sehen Sie, das meine ich mit der Eigenverantwortung. Ich staune, dass die jungen Leute hingehen und hier mal Kinder machen und dort mal, ohne sich zu überlegen, was das eigentlich alles mit sich bringt. So wie Frau Esseiva. Sie lebt ein bisschen mit ihrem Freund zusammen, ohne grosse Verpflichtungen, Jubel, Trubel, Heiterkeit! Aber wenn dann ihr Partner sagt, sie könne ihm in die Schuhe blasen und geht, dann sieht's dann übel aus. Keine zweite Säule… 

Esseiva: …ich arbeite 100 Prozent, bin finanziell unabhängig und zahle ganz normal in die zweite Säule ein.

Bortoluzzi: Ja, Sie jetzt schon, aber das können die wenigsten. Eine Witwenrente kriegen sie auch nicht, wenn etwas passiert. Die Sozialversicherungen sind auf vertragliche Partnerschaften ausgerichtet. Wenn der Mann vom Gerüst fällt und tot ist, dann ist die unverheiratete Partnerin auf dem Abstellgleis, dann kann sie zur Sozialhilfe. Jedenfalls staune ich, wieviele junge Frauen sich ohne vorher abzusichern in solche Verhältnisse begeben. Wir haben die Institution der Ehe, wir haben das Scheidungsrecht für die Trennungsfälle und es funktioniert im Grossen und Ganzen gut. 

Esseiva: Tut es überhaupt nicht. In 99 Prozent der Fälle kriegen die Mütter die Obhut, die Väter die Zahlpflicht und zwei Besuchswochenenden im Monat. Die Rechtssprechung ist auf dieses Muster abonniert. Da muss einerseits ein Umdenken stattfinden und andererseits die Rechtsprechung geändert werden und das geht natürlich nur mit einer entsprechenden Gesetzesgrundlage. 

Frau Esseiva, wenn man Herrn Bortoluzzi so zuhört, dann könnte man meinen, das weibliche Geschlecht sei überhaupt nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Entweder müssen es ein Mann oder die Sozialwerke richten.
Esseiva: Ja, aber Herr Bortoluzzis Ansichten können wir vermutlich hier und heute nicht ändern. Was wir aber noch ändern können, ist das Familienrecht. Und wenn Herr Bortoluzzi findet, dass Frauen die im Konkubinat leben ‹leichtsinnig und naiv sind und sich in ungeregelte Verhältnisse› begeben, die sie ruinieren können, dann ist das erstens nicht das Menschenbild das ich teile und erlebe. In meinem Umfeld sehe ich eigenständige und emanzipierte Frauen und keine «Huschelis». Zweitens müsste er doch eigentlich dafür sorgen, dass junge Frauen sich bei der Familiengründung den rechtlichen Konsequenzen bewusst sind. Anstatt einer Zeremonie braucht es eine Rechtsberatung. (lacht)   

«Eine Rechtsberatung für ein glückliches Leben? Das eine schliesst doch das andere sowieso aus, hehe.»
Toni Bortoluzzi.

Bortoluzzi: Gibt es ja. Unnötig natürlich, weil auch das wieder kostet, aber die Eltern unehelicher Kinder werden in der Regel von den Kindesschutzbehörden vorgeladen und aufgeklärt. Ausserdem: Eine Rechtsberatung für ein glückliches Leben? Das eine schliesst doch das andere sowieso aus, hehe. Ich wette, die Trennungsrate bei Konkubinaten mit Rechtsberatung ist noch viel höher als bei Ehen ohne Rechtsberatung.

Esseiva: Das wären dann also nach ihrer Wette weit mehr als die Hälfte der Konkubinatspaare, die sich trennen. Und dann finden Sie es trotzdem unnötig, diese Fälle gesetzlich zu regeln? Sie widersprechen sich. 

Bortoluzzi: Überhaupt nicht. Die Fälle sind ja geregelt. Die Frau kriegt einfach keinen Unterhalt für sich. Punkt. Das ist der Preis für die Freiheit, die aus dem Verzicht auf die Ehe resultiert.

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Sie plädieren also dafür, wenn schon gesetzlich auf Paargeschichten einzuwirken, dann dahingehend, dass die Leute zur Ehe angehalten werden sollen?
Bortoluzzi: Korrekt.

«Sozialhilfe ist das Rezept.»
Toni Bortoluzzi.

Esseiva: Haha.

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Lachen Sie jetzt Herrn Bortoluzzi aus?
Esseiva: Nein, aber er macht hier Sprüche und doziert über Eigenverantwortung, will aber, dass sich alle brav unter das Joch der Ehe begeben, wo im Falle des Scheiterns der Richter über alles weitere entscheidet. Für wirkliche Eigenverantwortung könnte ein Familien- und Unterhaltsrecht sorgen, dass die scheidenden Paare zwingt, das weitere Leben eigenverantwortlich und gleichberechtigt zu organisieren.

Bortoluzzi: Das kann man als Frau Esseiva mit 8000 Franken Lohn im Monat schon sagen. Aber die Realität sieht einfach anders aus. Ich zum Beispiel habe im Leben noch nie soviel verdient…  

Sie kriegen ja für das Nationalratsmandat schon mehr!
Bortoluzzi: Jaja, aber ich meine jetzt als Schreiner. Ein Schreiner bei uns kriegt vielleicht 6000 Franken im Kanton Zürich. In anderen Kantonen sind es vielleicht noch 5400 und das ist dann ein guter Lohn. Wenn Sie das durch zwei teilen, kommen Sie auf wieviel? 

2700 Franken.
Bortoluzzi:
Genau. Und das reicht einfach nicht.

Esseiva: Und was ist da ihr Rezept?

Bortoluzzi: Sozialhilfe ist das Rezept. 

Esseiva: Diese Aussage von einem bürgerlichen Politiker?! Diese Pirouetten sind ja einfach unglaublich! Subventionierte Krippen sind ein Übel, aber die Sozialhilfe das einzig taugliche Rezept, um geschiedene oder getrennte Paare durchzubringen? Nicht schlecht, Herr Bortoluzzi. Aber ich sage ihnen ein besseres Rezept: Die Frauen müssen fähig sein, selbst zu arbeiten und ihr Geld zu verdienen und dazu muss die Kinderbetreuung ausgebaut werden. Im Moment wo der Schreiner sich trennt, muss die Frau auf eigenen Beinen stehen können. 

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«Die Leute müssen Anreize haben, ihre Trennungssituationen gleichberechtigt zu regeln.»
Claudine Esseiva.

Bortoluzzi: Dazu ist es doch dann zu spät. Eine Lebensgemeinschaft mit Kindern muss von Anfang an geregelt sein. Ihr jungen Leute müsst Verantwortung übernehmen, ihr könnt nicht immer sagen, die anderen sollen schauen. Und das Unterhaltsrecht, das wir heute haben, das hat sich eingependelt. Vielleicht braucht es hier und da Korrekturen, aber komplett umwerfen, nur damit es auf den Zeitgeist passt, das muss man sicher nicht. 

Esseiva: Doch. Es braucht einen Paradigmenwechsel. Die Leute müssen Anreize haben, ihre Trennungssituationen gleichberechtigt zu regeln. Die Männer müssen ermutigt werden, sich um ihre Kinder zu kümmern und die Frauen müssen befähigt werden, zum Erwerbseinkommen und damit zum finanziellen Kindesunterhalt beizutragen. 

Frau Esseiva, Herr Bortoluzzi, vielen Dank für das Gespräch. 

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