
Mit Schweizer Hilfe gelangte die Wehrmacht an Devisen für ihre Vernichtungskriege.Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Die Kontroverse um
Schweizer Konten von Holocaust-Opfern wirbelte vor 20 Jahren viel Staub auf. Nun
rollt ein Dokumentarfilm ein weiteres Mal die Geschäfte der Schweiz
mit den Nazis auf.
13.07.2016, 08:5013.07.2016, 09:44
Ein kanadischer
Spirituosenhersteller klopfte 1995 bei den Schweizer Banken an, um
Auskunft über mögliche Konten von Opfern des Nazi-Holocaust zu
erhalten. Diese zeigten ihm die kalte Schulter. Darauf wandte sich Edgar
Bronfman, Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), an einen
mächtigen Mann der US-Politik: den republikanischen Senator Alphonse
D'Amato aus New York. Er witterte die Chance, jüdische Wählerstimmen
zu gewinnen, und nahm sich der Sache an.
Damit begann die
Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen, die sich zu einer der
grössten Krisen der jüngeren Schweizer Geschichte entwickelte. Das
Selbstbild der Schweiz wurde in seinen Grundfesten erschüttert:
Blieb sie im Zweiten Weltkrieg nicht wegen ihrer Neutralität und
ihrer starken Armee verschont, sondern weil sie mit den Nazis
kollaboriert hatte? Für D'Amato war der Fall klar. Auch Präsident Bill Clintons Regierung setzte die Schweiz unter Druck.
20 Jahre danach hat
der deutsche Fernsehsender ARD die Kontroverse neu aufgegriffen. Am
Montag strahlte er zu nachtschlafender Zeit einen Dokumentarfilm mit
dem reisserischen Titel «Hitlers Geldwäscher» aus. Sein Autor,
der renommierte französische Investigativjournalist Xavier Harel,
präsentiert die Schweiz darin einmal mehr in einem unvorteilhaften
Licht. Aus seiner Sicht hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass
Adolf Hitler den Zweiten Weltkrieg führen konnte.
«Der Zweite Weltkrieg war der am besten organisierte Raubzug der Militärgeschichte.»
Adam Tooze, Historiker
Neben den nachrichtenlosen Vermögen widmet sich der Film einem weiteren dunklen Kapitel: der Annahme von Raubgold durch die Schweizerische Nationalbank. Viel Neues erfährt man nicht, dennoch zeigt der Film interessante Zusammenhänge. So hatte Hitler die deutschen Devisenreserven für den Aufbau von Wirtschaft und Wehrmacht aufgebraucht. 1939 war das Land nach Ansicht von Zentralbankchef Hjalmar Schacht praktisch bankrott. Worauf Hitler ihn absetzte.
Unbegründet war die
Warnung nicht. Beim Angriff auf Polen sei die deutsche Wehrmacht auf einen schnellen Sieg angewiesen gewesen, denn sie habe nur Munitionsreserven
für 14 Tage Kampfeinsatz gehabt, heisst es im Film. Die Nazis
brauchten Geld. Sie fanden es, indem sie die Goldreserven der
eroberten Länder plünderten. «Der Zweite Weltkrieg war der am
besten organisierte Raubzug der Militärgeschichte», sagt Adam
Tooze, Historiker an der New Yorker Columbia-Universität.
«Bis zuletzt konnte die Reichsbank sich auf die Schweizerische Nationalbank verlassen.»
Zitat aus «Hitlers Geldwäscher»
Das Raubgold musste «gewaschen» und in Devisen umgewandelt werden, mit denen die
Nazis Rohstoffe beschaffen konnten. Die Banken in der neutralen
Schweiz leisteten dazu einen wesentlichen Beitrag, sie nahmen fast
400 Tonnen Gold entgegen, was einem heutigen Gegenwert von rund 15
Milliarden Euro entspricht. Mit Abstand wichtigster Abnehmer war die
Nationalbank.

Die Nationalbank nahm den Nazis tonnenweise Gold ab.
Bild: KEYSTONE
Die Nationalbank
habe behauptet, internationales Recht erlaube solche Geschäfte, sagt
der Lausanner Historiker Hans-Ulrich Jost im Film. Als neutrales Land
habe die Schweiz auch mit den Alliierten Geschäfte gemacht und sich
darum auf den Standpunkt gestellt, sie könne das deutsche Gold nicht
zurückweisen, ergänzt der ehemalige Nationalbank-Präsident
Jean-Pierre Roth. Er räumte ein, im Nachhinein könne man sich
fragen, «ob genug kritische Fragen gestellt wurden».
Goldkäufe bis April 1945
Nicht nur daran hat
es gefehlt. Der Historiker Marc Perrenoud, ein ehemaliger Mitarbeiter
der Bergier-Kommission, verweist auf Dokumente, wonach die
Nationalbank erwogen habe, deutsches Gold einzuschmelzen, um seine
Herkunft zu vertuschen. So weit sei es nicht gekommen, betont
Jean-Pierre Roth. Dennoch waren die Geschäfte mit Deutschland den
Alliierten zunehmend ein Dorn im Auge, denn sie wurden auch nach der
Invasion in der Normandie im Juni 1944 fortgesetzt.
Erst am 8. März
1945, zwei Monate vor Kriegsende, verpflichtet sich die Schweiz, kein
Gold mehr zu kaufen. Aber noch im April trafen Goldbarren der
deutschen Zentralbank in der Schweiz ein. Der Grund dafür ist unklar. «Bis zuletzt konnte die Reichsbank sich auf die
Schweizerische Nationalbank verlassen», lautet das wenig
schmeichelhafte Fazit in «Hitlers Geldwäscher».
«Ohne den Finanzplatz Schweiz hätten sich die Nazis den Krieg nicht leisten können.»
Gregg Rickman
Der Film impliziert
unverblümt, dass die Schweiz wegen dieser Geschäfte von den Nazis
verschont wurde. Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss zitiert dazu den
Schriftsteller Bertolt Brecht: «Hitler hat kein Interesse, die
Schweiz zu besetzen. Wer überfällt schon seinen eigenen
Banktresor?» Historiker Adam Tooze meint, es sei für die Nazis «völlig uninteressant» gewesen die Schweiz zu besetzen, «nicht
nur weil militärische Operationen in den Alpen eine heikle Sache
sind, sondern vor allem weil es für das Regime nützlich war, einen
Geldtresor auf einer Insel der Neutralität zu haben».

Botschafter Walter Stucki (l.) besteigt das Flugzeug nach Washington, wo er das vorteilhafte Abkommen aushandelte.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Am Ende kam die
Schweiz mit einem blauen Auge davon, sie musste nur 250 Millionen
Franken aushändigen. In einer internen Depesche hiess es, die in
Washington geschlossene Übereinkunft sei «fast ein diplomatisches
Wunder». In den folgenden Jahrzehnten waren die Nazi-Geschäfte
kein Thema mehr. Im Kalten Krieg galt die «neutrale» Schweiz als
verlässlicher Verbündeter des Westens. Mit seinem Ende wurde die Vergangenheit neu aufgerollt.
Hat die Schweiz den Krieg verlängert?
Nun kam die Schweiz
nicht mehr so glimpflich davon. Sie wurde verdächtigt, Gelder von
jüdischen Opfern des Holocaust unterschlagen oder den Nazis
ausgehändigt zu haben. Für Empörung sorgte vorab die Tatsache,
dass die Banken von den Hinterbliebenen der Opfer Sterbeurkunden
verlangten, die in den Vernichtungslagern natürlich nicht
ausgestellt worden waren.
Gregg Rickman, die
damalige rechte Hand von Senator D'Amato, kommt im Film zu einem
harten Urteil: Die Schweizer Banken hätten das Geld als Kriegsbeute
angesehen. «Ohne den Finanzplatz Schweiz hätten sich die Nazis den
Krieg nicht leisten können», meint Rickman. Er ist überzeugt,
dass die Schweiz den Nazis geholfen hat, den Krieg zu verlängern –
ein heikles Thema, das im Film kontrovers abgehandelt wird.
Hans-Ulrich Jost etwa sieht die Sache differenzierter.
Gegenseite kommt kaum zu Wort
Frei von Mängeln
ist «Hitlers Geldwäscher» nicht. So erwähnt der Film, die
Schweiz habe in den 90er Jahren ihre «angeblich makellose
Asylpolitik» hinterfragen müssen. Dieser Prozess hatte bereits
zuvor begonnen, etwa mit dem Spielfilm «Das Boot ist voll». Zum
50. Jahrestag des Kriegsendes 1995 entschuldigte sich der damalige
Bundespräsident Kaspar Villiger öffentlich dafür, dass jüdische
Flüchtlinge an der Schweizer Grenze abgewiesen worden waren.
Wenig zielführend wirken auch die Auftritte des unvermeidlichen Jean Ziegler und des ehemaligen Wachmanns Christoph Meili. Und die Gegenseite kommt erst ganz am Schluss zu Wort, durch den Lausanner Ökonomen Jean-Christian Lambelet, Mitglied des Arbeitskreises Gelebte Geschichte. Er verweist auf das Ungleichgewicht von 80 Millionen Deutschen gegen vier Millionen Schweizer, die sich zudem nur zur Hälfte selbst ernähren konnten. «Wir mussten leben», sagt Lambelet.
Das wurde aus der Führungsriege des «Dritten Reiches»
1 / 32
Das wurde aus der Führungsriege des «Dritten Reiches»
Dieser Aspekt hätte
eine vertiefte Behandlung verdient. War die enge Zusammenarbeit mit
den Nazis der Preis dafür, dass die Schweiz den verheerenden Krieg
unbeschadet überstehen konnte? Womit sich nicht alles entschuldigen
lässt, was damals und danach geschah. Bei den nachrichtenlosen
Vermögen jedenfalls wurden die Schweizer Banken zur Kasse gebeten.
1998 zahlten sie den Angehörigen der Holocaust-Opfer in einem Vergleich 1.2 Milliarden
Franken.
Dabei ist es nicht
geblieben. Die Schweizer Banken wurden seither wiederholt von der
US-Justiz in den Schwitzkasten genommen, vor allem in Zusammenhang
mit dem Bankgeheimnis. Sie mussten happige Bussen entrichten. Der
Film stellt die Frage, ob
die Schweiz bereit ist, die Konsequenzen aus ihrer Vergangenheit zu
ziehen. «Ich frage mich, ob die Banken irgend etwas gelernt haben»,
sagt der ehemalige D'Amato-Vertraute Gregg Rickman.
Unternehmen «Barbarossa»
1 / 9
Unternehmen «Barbarossa»
quelle: photopress-archiv / str