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Ein kanadischer Spirituosenhersteller klopfte 1995 bei den Schweizer Banken an, um Auskunft über mögliche Konten von Opfern des Nazi-Holocaust zu erhalten. Diese zeigten ihm die kalte Schulter. Darauf wandte sich Edgar Bronfman, Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), an einen mächtigen Mann der US-Politik: den republikanischen Senator Alphonse D'Amato aus New York. Er witterte die Chance, jüdische Wählerstimmen zu gewinnen, und nahm sich der Sache an.
Damit begann die Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen, die sich zu einer der grössten Krisen der jüngeren Schweizer Geschichte entwickelte. Das Selbstbild der Schweiz wurde in seinen Grundfesten erschüttert: Blieb sie im Zweiten Weltkrieg nicht wegen ihrer Neutralität und ihrer starken Armee verschont, sondern weil sie mit den Nazis kollaboriert hatte? Für D'Amato war der Fall klar. Auch Präsident Bill Clintons Regierung setzte die Schweiz unter Druck.
20 Jahre danach hat der deutsche Fernsehsender ARD die Kontroverse neu aufgegriffen. Am Montag strahlte er zu nachtschlafender Zeit einen Dokumentarfilm mit dem reisserischen Titel «Hitlers Geldwäscher» aus. Sein Autor, der renommierte französische Investigativjournalist Xavier Harel, präsentiert die Schweiz darin einmal mehr in einem unvorteilhaften Licht. Aus seiner Sicht hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass Adolf Hitler den Zweiten Weltkrieg führen konnte.
Neben den nachrichtenlosen Vermögen widmet sich der Film einem weiteren dunklen Kapitel: der Annahme von Raubgold durch die Schweizerische Nationalbank. Viel Neues erfährt man nicht, dennoch zeigt der Film interessante Zusammenhänge. So hatte Hitler die deutschen Devisenreserven für den Aufbau von Wirtschaft und Wehrmacht aufgebraucht. 1939 war das Land nach Ansicht von Zentralbankchef Hjalmar Schacht praktisch bankrott. Worauf Hitler ihn absetzte.
Unbegründet war die Warnung nicht. Beim Angriff auf Polen sei die deutsche Wehrmacht auf einen schnellen Sieg angewiesen gewesen, denn sie habe nur Munitionsreserven für 14 Tage Kampfeinsatz gehabt, heisst es im Film. Die Nazis brauchten Geld. Sie fanden es, indem sie die Goldreserven der eroberten Länder plünderten. «Der Zweite Weltkrieg war der am besten organisierte Raubzug der Militärgeschichte», sagt Adam Tooze, Historiker an der New Yorker Columbia-Universität.
Das Raubgold musste «gewaschen» und in Devisen umgewandelt werden, mit denen die Nazis Rohstoffe beschaffen konnten. Die Banken in der neutralen Schweiz leisteten dazu einen wesentlichen Beitrag, sie nahmen fast 400 Tonnen Gold entgegen, was einem heutigen Gegenwert von rund 15 Milliarden Euro entspricht. Mit Abstand wichtigster Abnehmer war die Nationalbank.
Die Nationalbank habe behauptet, internationales Recht erlaube solche Geschäfte, sagt der Lausanner Historiker Hans-Ulrich Jost im Film. Als neutrales Land habe die Schweiz auch mit den Alliierten Geschäfte gemacht und sich darum auf den Standpunkt gestellt, sie könne das deutsche Gold nicht zurückweisen, ergänzt der ehemalige Nationalbank-Präsident Jean-Pierre Roth. Er räumte ein, im Nachhinein könne man sich fragen, «ob genug kritische Fragen gestellt wurden».
Nicht nur daran hat es gefehlt. Der Historiker Marc Perrenoud, ein ehemaliger Mitarbeiter der Bergier-Kommission, verweist auf Dokumente, wonach die Nationalbank erwogen habe, deutsches Gold einzuschmelzen, um seine Herkunft zu vertuschen. So weit sei es nicht gekommen, betont Jean-Pierre Roth. Dennoch waren die Geschäfte mit Deutschland den Alliierten zunehmend ein Dorn im Auge, denn sie wurden auch nach der Invasion in der Normandie im Juni 1944 fortgesetzt.
Erst am 8. März 1945, zwei Monate vor Kriegsende, verpflichtet sich die Schweiz, kein Gold mehr zu kaufen. Aber noch im April trafen Goldbarren der deutschen Zentralbank in der Schweiz ein. Der Grund dafür ist unklar. «Bis zuletzt konnte die Reichsbank sich auf die Schweizerische Nationalbank verlassen», lautet das wenig schmeichelhafte Fazit in «Hitlers Geldwäscher».
Der Film impliziert unverblümt, dass die Schweiz wegen dieser Geschäfte von den Nazis verschont wurde. Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss zitiert dazu den Schriftsteller Bertolt Brecht: «Hitler hat kein Interesse, die Schweiz zu besetzen. Wer überfällt schon seinen eigenen Banktresor?» Historiker Adam Tooze meint, es sei für die Nazis «völlig uninteressant» gewesen die Schweiz zu besetzen, «nicht nur weil militärische Operationen in den Alpen eine heikle Sache sind, sondern vor allem weil es für das Regime nützlich war, einen Geldtresor auf einer Insel der Neutralität zu haben».
Am Ende kam die Schweiz mit einem blauen Auge davon, sie musste nur 250 Millionen Franken aushändigen. In einer internen Depesche hiess es, die in Washington geschlossene Übereinkunft sei «fast ein diplomatisches Wunder». In den folgenden Jahrzehnten waren die Nazi-Geschäfte kein Thema mehr. Im Kalten Krieg galt die «neutrale» Schweiz als verlässlicher Verbündeter des Westens. Mit seinem Ende wurde die Vergangenheit neu aufgerollt.
Nun kam die Schweiz nicht mehr so glimpflich davon. Sie wurde verdächtigt, Gelder von jüdischen Opfern des Holocaust unterschlagen oder den Nazis ausgehändigt zu haben. Für Empörung sorgte vorab die Tatsache, dass die Banken von den Hinterbliebenen der Opfer Sterbeurkunden verlangten, die in den Vernichtungslagern natürlich nicht ausgestellt worden waren.
Gregg Rickman, die damalige rechte Hand von Senator D'Amato, kommt im Film zu einem harten Urteil: Die Schweizer Banken hätten das Geld als Kriegsbeute angesehen. «Ohne den Finanzplatz Schweiz hätten sich die Nazis den Krieg nicht leisten können», meint Rickman. Er ist überzeugt, dass die Schweiz den Nazis geholfen hat, den Krieg zu verlängern – ein heikles Thema, das im Film kontrovers abgehandelt wird. Hans-Ulrich Jost etwa sieht die Sache differenzierter.
Frei von Mängeln ist «Hitlers Geldwäscher» nicht. So erwähnt der Film, die Schweiz habe in den 90er Jahren ihre «angeblich makellose Asylpolitik» hinterfragen müssen. Dieser Prozess hatte bereits zuvor begonnen, etwa mit dem Spielfilm «Das Boot ist voll». Zum 50. Jahrestag des Kriegsendes 1995 entschuldigte sich der damalige Bundespräsident Kaspar Villiger öffentlich dafür, dass jüdische Flüchtlinge an der Schweizer Grenze abgewiesen worden waren.
Wenig zielführend wirken auch die Auftritte des unvermeidlichen Jean Ziegler und des ehemaligen Wachmanns Christoph Meili. Und die Gegenseite kommt erst ganz am Schluss zu Wort, durch den Lausanner Ökonomen Jean-Christian Lambelet, Mitglied des Arbeitskreises Gelebte Geschichte. Er verweist auf das Ungleichgewicht von 80 Millionen Deutschen gegen vier Millionen Schweizer, die sich zudem nur zur Hälfte selbst ernähren konnten. «Wir mussten leben», sagt Lambelet.
Dieser Aspekt hätte eine vertiefte Behandlung verdient. War die enge Zusammenarbeit mit den Nazis der Preis dafür, dass die Schweiz den verheerenden Krieg unbeschadet überstehen konnte? Womit sich nicht alles entschuldigen lässt, was damals und danach geschah. Bei den nachrichtenlosen Vermögen jedenfalls wurden die Schweizer Banken zur Kasse gebeten. 1998 zahlten sie den Angehörigen der Holocaust-Opfer in einem Vergleich 1.2 Milliarden Franken.
Dabei ist es nicht geblieben. Die Schweizer Banken wurden seither wiederholt von der US-Justiz in den Schwitzkasten genommen, vor allem in Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis. Sie mussten happige Bussen entrichten. Der Film stellt die Frage, ob die Schweiz bereit ist, die Konsequenzen aus ihrer Vergangenheit zu ziehen. «Ich frage mich, ob die Banken irgend etwas gelernt haben», sagt der ehemalige D'Amato-Vertraute Gregg Rickman.
Aus Sicht der Sicherung des Fortbestandes der Schweiz haben sie also alles richtig gemacht. Moralisch und muss man das aber von einer anderen Seite beleuchten. Es ist kein Kapitel, das stolz macht. Aber es hat die Schweiz ohne Krieg durch die Kriegsjahre gebracht.
Danke das die Schweiz es geschafft hat nicht in diese Schlachterei involviert zu werden.... Das Volk wurde beschützt. Deswegen bin ich heute hier.
Ja, ich frage mich auch, ob die CH-Banken etwas gelernt haben, ich frage mich aber noch vielmehr, wann die Amis aus ihren Fehlern lernen werden...