Dass Politiker sich im privaten Kreis über Gegner lustig machen, ist normal. Dass der russische Präsident seinen amerikanischen Präsidenten am TV Demenz vorwirft, ist eher ungewöhnlich. Genau dies hat jedoch Wladimir Putin am Donnerstag getan.
Sarkastisch erklärte er in Anspielung auf eine vermeintliche Geistesschwäche von Joe Biden: «Ich wünsche ihm gute Gesundheit. Ich sage dies ohne Ironie, ohne Witze machen zu wollen.»
Der russische Präsident ist empört über eine Äusserung Bidens. Dieser hatte in einem Interview mit dem TV-Sender abc erklärt, er halte Putin für einen «Killer», und ihm im Zusammenhang mit den Fall Nawalny neue Sanktionen angedroht. Biden steht zu der Killer-Aussage. Auf die Frage, ob er sich dafür entschuldigen wolle, antwortete seine Pressesprecherin Jen Psaki trocken: «Nope. Der Präsident hat eine direkte Antwort auf eine direkte Frage gegeben.»
In Moskau hat die Affäre für viel Aufregung gesorgt. Russische TV-Stationen kannten tagelang kein anderes Thema. Der Kreml hat derweil seinen Botschafter aus Washington zurückgerufen. Polit-Experten geben sich besorgt. Konstantin I. Kosachew, Vorsitzender des aussenpolitischen Ausschusses im Parlament, erklärte: «Das ist ein Wendepunkt. Alle Hoffnungen auf eine neue Politik der US-Regierung gegenüber Russland sind mit diesem dumpfen Zitat verflogen.»
Indem er auf Bidens Geisteszustand anspielt, greift Putin das Lieblingsthema der konservativen Medien auf. Wenn er nicht gerade über die Flüchtlingskrise an der Grenze jammert, spricht Sean Hannity bei Fox News über nichts anderes. In der «Weltwoche» bemüht Urs Gehriger gar die medizinische Wissenschaft. «Aufgrund der sich häufenden Aussetzer wagen erste Psychologen eine Ferndiagnose. Der Befund lautet mehrheitlich: leichte, aber bereits eindeutige Demenz», schreibt der Steve-Bannon-Kumpel.
Der 78-jährige Biden ist tatsächlich berühmt dafür, dass er immer wieder Aussetzer hat. So konnte er kürzlich den Namen seines eigenen Verteidigungsministers nicht nennen. Bisher hat er sich auch geweigert, eine Pressekonferenz abzuhalten. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er nicht mehr in der Lage sei, sich kritischen Journalistenfragen zu stellen, unken die Kritiker.
Putin schlägt in die gleich Kerbe. Er schlägt vor, dass sich die beiden Präsidenten in einem öffentlichen Schlagabtausch messen. Ein plumpes Ablenkungsmanöver, aber wovon?
Beinahe unbemerkt ist zu Wochenbeginn ein zusammenfassender Bericht der Geheimdienste über die Einmischung fremder Staaten in die US-Wahlen veröffentlicht worden. Der Bericht wurde noch unter Präsident Trump erstellt. Das ist insofern bemerkenswert, als er die Aussagen des Ex-Präsidenten und seiner Handlanger auf den Kopf stellt: Nicht etwa die Chinesen, sondern die Russen haben erneut versucht, die US-Wahlen zu beeinflussen.
Andriy Derkach, ein dem russischen Geheimdienst nahestehender Ukrainer, hat sich am 5. Dezember mit Trumps Anwalt Rudy Giuliani getroffen und ihm dabei Desinformationen über Hunter Biden zugesteckt. Es ging dabei nicht nur um die Gasgeschäfte in der Ukraine, sondern auch um angeblich korrupte Finanzgeschäfte der Bidens mit China.
Bereits damals hatte der Geheimdienst die US-Regierung gewarnt, dass «Giuliani ein Ziel der Russen sei, um unwahre Behauptungen zu verbreiten». Doch Giuliani liess sich nicht abhalten. Er startete eine wahre Hetzkampagne gegen Sohn Biden, in der Hoffnung, damit den Vater zu beschädigen. Republikanische Senatoren liessen sich ebenfalls in die russische Propaganda einspannen. So verbreiteten Ron Johnson und Charles Grassley Lügen, die ihnen von Derkach untergejubelt worden waren.
Kurz: Der Bericht der US-Geheimdienste macht glasklar, dass sowohl Putin als auch Trump einmal versucht hatten, die US-Wahlen zu manipulieren, und dass sie darüber schamlos gelogen haben.
Die Demagogen bei Fox News haben ein anderes Problem. Sie müssen davon ablenken, dass der angeblich senile Biden äusserst erfolgreich agiert. So hat er sein Ziel, 100 Millionen Menschen in seinen ersten 100 Tagen zu impfen, bereits kurz nach Halbzeit erreicht. Er hat ein 1,9-Billionen-Dollar-Hilfsprogramm durch den Kongress gepeitscht – und seine Zustimmungswerte liegen bei mehr als 60 Prozent.
«Dank einer Mischung aus Glück und Erfahrung ist Bidens Regierungs-Auftakt der reibungsloseste eines US-Präsidenten seit Menschengedenken», stellt Edward Luce in der «Financial Times» fest.
Bidens Taktik als Anti-Trump hat sich bestens bewährt. Während sein Vorgänger sich als «stabiles Genie» darstellte – «Ich allein kann es richten» –, setzt Biden aufs Gegenteil: Er verspricht wenig und hält viel.
Während Trump seinen grössten und wohl einzigen Erfolg – die rasche Entwicklung eines Impfstoffes – nicht verwerten konnte, weil er auch die Impfgegner nicht vor den Kopf stossen wollte, ist Biden zu einer landesweiten Triumph-Tournee aufgebrochen, um seine Leistungen den Amerikanerinnen und Amerikanern anzupreisen.
Biden ist es so zur allgemeinen Überraschung gelungen, innert kurzer Zeit so etwas wie eine stille Revolution in der amerikanischen Politik durchzuführen – und die Menschen finden Gefallen daran. Sie lassen sich auch von den Vorwürfen einer angeblichen Demenz nicht davon abringen. Daran werden weder Putin noch Hannity etwas ändern können.
Kein seriöser Psychologe würde das übrigens tun, als einige dies bei
Trump gemacht, und ihn einen narzistischen Soziopathen genannt haben, haben genau diese Medien diesen Fakt immer hervorgehoben. 🤷♂️