Der antike Philosoph Platon vertrat die These, wonach normale Menschen die Realität bloss als Schatten in einer Höhle erleben. Nur ein paar wenige mutige Erleuchtete schaffen es ans Sonnenlicht. Diese Vorstellung wurde im Kultfilm Matrix in die Moderne übertragen. Beherrscht von künstlicher Intelligenz dämmert das Gros der Menschheit in diesem Streifen vor sich hin. Nur wer die rote Pille geschluckt hat, bekommt Zugang zur Realität, muss dafür aber einen hohen Preis bezahlen.
Diese Idee ist auch das zentrale Element der Philosophie von Curtis Yarvin. Der 51-jährige Techno-Blogger hat seine kruden Ansichten deshalb zunächst unter den Pseudonym Morpheus, dem Namen des Matrix-Helden, verbreitet. Er hat auch den Begriff «red pilling» popularisiert. In der rechten Szene bedeutet dies, dass jemand erleuchtet wurde und die Machenschaften der Elite durchschaut.
Yarvin vertritt eine extreme Sicht der Welt: Massgebende Institutionen wie die Medien und die Universitäten werden von wokem Gruppendenken beherrscht und müssen deshalb zerschlagen werden. Die Verwaltung muss massiv zusammengestrichen werden und schliesslich muss die Demokratie abgeschafft und ersetzt werden durch einen Monarchen oder einen CEO eines Start-ups.
«So what», ist man auf den ersten Blick versucht zu sagen. Die Forderung nach einem weisen Philosophen-König hat schon der olle Platon erhoben. Nichts Neues unter der Sonne, also. Doch Yarvis hat es geschafft, die Aufmerksamkeit der Broligarchen – wie Elon Musk & Co. neuerdings genannt werden – zu ergattern.
Robert Evans, ein auf Extremismus spezialisierter Experte, erklärt dazu im «Guardian»: «Das Besondere an Yarvin besteht darin, dass er es geschafft hat, altes reaktionäres Gedankengut so zu verpacken, dass sich die libertär denkenden Kids der Tech-Industrie davon angesprochen fühlen. (…) Das ist das Neue an Yarvin, und damit hat er viel erreicht.»
Nicht nur die Kids der Tech-Industrie fühlen sich angesprochen, sondern, wie erwähnt, auch die Broligarchen selbst. Peter Thiel bezeichnet Yarvin als einen «interessanten Denker», Marc Andreessen zitiert ihn wohlwollend und Vize-Präsident J.D. Vance erklärte einst gegenüber dem rechtsextremen Influencer Jack Murphy: «Es gibt da diesen Typen namens Curtis Yarvin, der sich viele Gedanken zum Zustand unserer Gesellschaft gemacht hat. Wir müssen grundsätzlich akzeptieren, dass sie am Zusammenbrechen ist. Die Aufgabe der Konservativen besteht darin, so viel wie möglich zu erhalten und die Gesellschaft nach ihrem unausweichlichen Zusammenbruch wieder besser aufzubauen.»
Yarvin mag somit ein Wirrkopf sein, aber angesichts der neuen Machtverhältnisse ist er ein Wirrkopf, den man zur Kenntnis nehmen sollte. Deshalb hat auch die «New York Times» kürzlich ein ausführliches Interview mit ihm geführt.
In weiten Teilen ist dieses Interview eine Übung in intellektueller Selbstbefriedigung. Yarvin gefällt sich in mehr oder weniger originellen Vergleichen, bezeichnet den New-Deal-Präsidenten Franklin Roosevelt als Diktator, setzt den norwegischen Massenmörder Anders Breivik auf die gleiche Stufe wie Nelson Mandela und versteigt sich zur Behauptung, den amerikanischen Sklaven sei es nach ihrer Befreiung schlechter gegangen als zuvor.
Zudem wiederholt er zum x-ten Mal seine Kritik an der Demokratie – sie sei nicht schlecht, aber leider sehr schwach – und lobpreist die Überlegenheit der Manager über die Politiker. «Man kann irgendeinen CEO eines Fortune-500-Unternehmens herauspicken und ihm die Verantwortung in Washington übertragen», so Yarvin. «Ich bin überzeugt, dass das Resultat besser, viel besser wäre als das, was wir heute erleben. Es muss nicht einmal Elon Musk sein.»
Nicht nur die Broligarchen fahren auf solche Sprüche ab. Yarvin hat auch das Ohr des Präsidenten. Schon am ersten Tag hat Donald Trump dessen Rat, den Kongress per Notgesetze auszuhebeln, in die Tat umgesetzt und mit den Entlassungen von Mitgliedern der Verwaltung begonnen. Zudem hat er Michael Anton, einen Seelenverwandten von Yarvin, zum stellvertretenden Staatssekretär im Aussenministerium ernannt.
Was könnte also den Siegeszug der autoritären Ideen, wie sie Yarvin vertritt, noch aufhalten? Paradoxerweise ist es der sich abzeichnende Kulturkampf innerhalb des Trump-Lagers. Der Aufstieg der Broligarchen wird misstrauisch verfolgt von den nationalistischen Populisten. Deren Wortführer Steve Bannon hat Elon Musk bereits den Fehdehandschuh hingeworfen und ihn als «sehr, sehr schlechte Person» bezeichnet.
Bannon spricht verächtlich von einem «Technofeudalismus» und schwört, den Broligarchen erbitterten Widerstand zu leisten. «Ich weiss, dass ich es mit ihnen aufnehmen kann», erklärt Bannon. Alle kommen zwar zu mir und sagen: ‹Das kannst du nicht machen. Das entzweit uns.› Ich antworte darauf: ‹Was soll das? Wir müssen das jetzt hinter uns bringen.›»