Mike Johnson ist der Speaker im amerikanischen Abgeordnetenhaus. Das ist ein bisschen wie bei uns der Nationalratspräsident – nur sehr viel mächtiger. Genau genommen ist er der drittmächtigste Mann in den USA, denn sollten der Präsident und seine Vize aus irgendwelchen Gründen nicht mehr in der Lage sein, ihr Amt auszuführen, dann würde der Speaker ins Weisse Haus einziehen.
Doch auch sonst ist Mike Johnson ein einflussreicher Politiker. Als Speaker kann er darüber entscheiden, welche Gesetze und Vorlagen im Abgeordnetenhaus zur Abstimmung gelangen – und welche nicht. Deshalb kann er derzeit verhindern, dass ein Hilfspaket über 110,5 Milliarden Dollar für die Ukraine, Israel und Taiwan vom Kongress verabschiedet wird – respektive, er knüpft an dieses Paket Bedingungen. Johnson verlangt, dass an der Grenze zu Mexiko Massnahmen ergriffen werden, die für die Demokraten inakzeptabel sind. Und gleichzeitig beteuert er, dass er diese Aussagen wiederholen werde, «bis er blau im Gesicht» sei.
Dabei wirkt alles an Johnson so harmlos. Er ist höflich, stets korrekt gekleidet, wird nie laut und ist ein sehr gläubiger Christ. Doch der Speaker ist ein Wolf im Schafspelz. Er ist mehr als ein guter Christ, er ist ein christlicher Nationalist, was de facto eine evangelikale Version von Faschismus bedeutet.
Liz Cheney, sehr konservativ und ehemals die Nummer drei innerhalb der Grand Old Party (GOP), warnt in ihrem soeben erschienen Buch «Oath and Honor» ausdrücklich vor Johnson. Obwohl er Verfassungsjurist sei, habe er eine führende Rolle im verfassungswidrigen Verfahren gespielt, Trump mit gefälschten Elektorenstimmen an der Macht zu halten, so Cheney.
Männer wie Johnson seien genauso gefährlich für die Demokratie wie der Ex-Präsident, warnt die Tochter des ehemaligen Vize-Präsidenten Dick Cheney weiter. Nur dank solchen Speichelleckern werde Trump – sollte er denn tatsächlich nochmals ins Weisse Haus einziehen – seine diktatorischen Absichten auch umsetzen können.
Johnson gehört selbstredend zur wachsenden Schar der Abgeordneten innerhalb der GOP, die sich gegen weitere Hilfspakete für die Ukraine aussprechen. Mehrmals schon hat er gegen solche Pakete gestimmt. Deshalb ist sein Erpressungsversuch sehr ernst zu nehmen, zumal auch die Fraktion der «Verrückten» wie Jim Jordan, Matt Gaetz und Marjorie Taylor Greene den Speaker diesbezüglich unter Druck setzen.
Selbst im Senat stösst Johnsons Erpressungsversuch vermehrt auf Zustimmung. Senator Lindsey Graham beispielsweise, der sich bisher stets als Freund und Unterstützer der Ukraine geoutet hat, erklärt nun: «Es wird nur eine deutliche Zustimmung für das Hilfspaket geben, wenn es einen Deal zur Sicherung an der Grenze gibt, denn das ist derzeit unser grösstes Sicherheitsproblem.»
Graham mag der schlimmste Wendehals im US-Kongress sein, aber sein erneuter Gesinnungswandel ist trotzdem alarmierend. Denn der Senator aus South Carolina hat Unterstützung. So haben mehrere seiner republikanischen Kollegen demonstrativ ein Briefing verlassen, in dem Aussenminister Antony Blinken, Verteidigungsminister Lloyd Austin und mehrere hohe Militärs über die Lage in der Ukraine informierten. Dieses Briefing hat auch die verbliebenen Senatoren der GOP nicht beeindruckt. So erklärte etwa John Cornyn, ein Republikaner aus Texas: «Sie (die Biden Regierung) will Dutzende Milliarden Dollars, um unseren Freunden und Verbündeten aus Übersee zu helfen, aber sie weigern sich, Antworten auf die Sicherheit an unserer eigenen Grenze zu geben.»
Dabei spitzt sich die Lage in der Ukraine dramatisch zu. Ende Jahr sind die bereits bewilligten Hilfspakete erschöpft. Präsident Wolodymyr Selenskyj ist daher eigens nach Washington gereist, um dem US-Kongress die Folgen des Ausbleibens weiterer amerikanischer Hilfe vor Augen zu führen. Sein Adlatus Andriy Yermak warnt derweil, dass die Wahrscheinlichkeit «sehr hoch» sei, dass beim Ausbleiben der Hilfe die Russen den Krieg gewinnen werden.
Der demokratische Senator Christopher Murphy, der eine wichtige Rolle in den Verhandlungen mit den Republikanern spielt, erklärt ebenfalls: «Wir sind im Begriff, die Ukraine fallenzulassen. Sollte Putin dereinst in einem NATO-Land einmarschieren, dann werden diejenigen den Tag bereuen, an dem sie Spiele mit der Sicherheit der Ukraine getrieben haben.»
Leider ist diese Warnung durchaus berechtigt. Wladimir Putin fühlt sich wieder sehr sicher im Sattel. Nach den sehr blamablen Niederlagen seiner Soldaten im vergangenen Jahr und dem rätselhaften Putsch seines ehemaligen Gefährten Jewgeni Prigoschin schien die Position des russischen Präsidenten gefährdet zu sein. Jetzt aber scheint er alles wieder im Griff zu haben. Die Kritik der Militärblogger ist verstummt und die Oligarchen haben sich damit abgefunden, ihr Geld im eigenen Land zu investieren. Dank der Einnahmen aus dem Öl ist auch eine tiefe Wirtschaftskrise bisher ausgeblieben.
Deshalb werden aus Moskau bereits Töne laut, die als Signale für eine Ausweitung des russischen Eroberungskrieges gedeutet werden können. Aussenminister Sergei Lawrow hat kürzlich an einem OSZE-Treffen erklärt: «Moldawien wird das nächste Opfer des vom Westen vom Zaun gebrochenen, hybriden Krieges sein.» Putin selbst hat ähnliche Drohungen an die Adresse von Lettland gerichtet.
Was die Lage an der Front der Ukraine betrifft, gehen die Einschätzungen der Militärexperten auseinander. Die meisten sprechen jedoch von einem Stellungskrieg, in dem keine der beiden Seiden die Oberhand hat. Es scheint so, dass es den Ukrainern nach wie vor gelingt, die Russen trotz deren menschenverachtender Taktik – die russischen Generäle schicken tausende ihrer Männer als menschliche Schutzschilde in den sicheren Tod – in Schach zu halten. Damit dies auch im harten Winter möglich sein wird, sind sie jedoch dringend auf westliche Hilfe angewiesen.
Das zu blockieren versucht Viktor Orbán. Der ungarische Premierminister hat kürzlich nicht nur als einziger europäischer Staatschef Putin in Peking demonstrativ die Hand geschüttelt, er will nun auch verhindern, dass die EU ein 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine und erste Schritte zu deren Aufnahme verabschiedet.
Wie Mike Johnson setzt Orbán dabei auf nackte Erpressung. In der EU müssen Beschlüsse bekanntlich einstimmig gefasst werden. Orban droht daher mit einem Veto und stellt ebenfalls Bedingungen. Er will, dass Brüssel zuvor die Gelder aus dem Covid-Fonds für Ungarn freigibt, Gelder, die eingefroren sind, weil der Premierminister sein Rechtssystem zu seinen Gunsten zurechtgebogen hat.
Wird den beiden Erpressungsversuchen Erfolg beschieden sein? Wahrscheinlich teilweise. Nach dem Motto: «In der Not frisst der Teufel Fliegen» werden die Demokraten letztlich einem Kompromiss in Sachen Grenzen zustimmen und die Republikaner dann das Hilfspaket genehmigen. In der EU zeichnet sich ebenfalls ab, dass Orbán sich durchsetzen kann und sein Geld gegen den Verzicht auf ein Veto erhält.
Es bleibt somit nur die Hoffnung, dass der ungarische Premierminister eines Tages für seine Schandtaten zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Es geht nicht um Ideologie, ganz und gar nicht; es geht darum, dass jeder vernünftige Mensch den Überfall der Russen verurteilen muss und jeder vernünftige Mensch denen die überfallen wurden helfen müsste. Gerade ein Orban sollte das Schicksal seiner Landleute kennen sich an 1956 zurückerinnern, doch dazu ist er zu kleinkariert und auch viel zu dumm. Wehrt heute, morgen ist es zu spät.