Keiner spielt die Rolle des halbstarken Anti-Establishment-Lümmels besser als Steve Bannon. Meist ist er ausgesucht schlampig gekleidet, sorgfältig ergänzt mit einem ungepflegten Mehrtage-Bart und einer fettigen Mähne. Bannon ist stolz auf seine proletarische Herkunft und erwähnt kaum, dass er auch einmal ein Investmentbanker bei Goldman Sachs war.
Nicht nur Bannons Erscheinung signalisiert ein riesiges Fuck-you an das Establishment, auch sein Verhalten ist ein einziger Mittelfinger. Deshalb war es nicht erstaunlich, dass er sich strikt geweigert hat, als Zeuge vor dem Ausschuss zur Abklärung der Ereignisse zu erscheinen. Und er inszenierte diese Weigerung theatralisch. Als er wegen dieser Weigerung vor dem Richter zur ersten Anhörung erscheinen musste, liess er sich von einer Filmcrew begleiten und stürzte sich in die Pose eines politisch verfolgten Opfers.
Bannons Rechnung ist nicht aufgegangen. Am kommenden Montag beginnt sein Prozess, und der ehemalige Chefstratege hat denkbar schlechte Karten. Er begründete seine Weigerung nämlich mit einem sogenannten «executive privilege», will heissen: Er beruft sich darauf, dass Ex-Präsident Trump ihm verboten habe, als Zeuge vor dem Ausschuss aufzutreten.
Dumm bloss, dass erstens unklar ist, ob es diese Weisung des Ex-Präsidenten überhaupt je gegeben hat, und selbst wenn, ist sie zweitens auf jeden Fall ungültig. Das hat U.S. District Judge Carl Nicholas – ein von Trump eingesetzter Richter, wohlverstanden – deutlich gemacht. Dieser hat Bannons Begehren nach einer Verschiebung des Prozesses abgeschmettert mit den Worten: «Ich sehe keinen Grund, diesen Fall noch zu verlängern.»
Bannon muss nicht nur vor Gericht erscheinen, er hat dabei auch lausige Karten. Daher muss er ernsthaft der Tatsache ins Auge blicken, dass er die nächsten zwei Jahre hinter Gittern verbringen wird. Keine Aussicht, der man im zarten Alter von 68 Jahren entspannt entgegenblickt. (Glaubt es mir, ich bin soeben 69 Jahre alt geworden.)
Diese Aussicht hat offenbar auch bei Bannon einen Sinneswandel bewirkt. Er wolle nun doch vor dem Ausschuss aussagen, liess er über seinen Anwalt ausrichten. Trump leistete Schützenhilfe, indem er in einem Brief an Bannon verlauten liess: «Ich habe zugeschaut, wie unfair du und andere behandelt worden sind. Deshalb will ich das Executive Privilege aufheben, falls du so eine Abmachung erzielen kannst. Du darfst also als Zeuge die Wahrheit sagen vor einem Ausschuss, der nicht gewählt wurde, der aus politischen Schurken besteht, die keinen ordentlichen Prozess durchführen, keine Kreuzverhöre zulassen und keine Republikaner als Zeugen.»
Selbst wenn Trump dieses Executive Privilege – das möglicherweise gar nie bestanden hat – aufhebt, hilft dies Bannon kaum weiter. Es hätte ohnehin keine Gültigkeit gehabt. Der ehemalige Chefstratege hat das Weisse Haus bereits 2017 verlassen, lange vor dem Sturm auf das Kapitol. Somit hat er als Privatperson gehandelt und keinen Anspruch auf irgendein Privileg.
Es gibt jedoch auch einen politischen Grund, weshalb Bannon nun kalte Füsse bekommen hat. Trump und die Republikaner haben inzwischen realisiert, dass es ein grosser Fehler war, die republikanischen Vertreter aus dem Ausschuss zurückzuziehen. Liz Cheney und Adam Kinzinger sind zwar nach wie vor Mitglieder der Grand Old Party, gelten jedoch als Verräter.
Die geschickt orchestrierten Hearings zeigen daher Wirkung. Sie werden nicht von republikanischen Schreihälsen unterbrochen. Von einem Auftritt Bannons verspricht man sich, dass er die gut geölte Hearing-Maschine ins Straucheln bringen kann. Deshalb besteht der ehemalige Chefstratege darauf, dass seine Befragung öffentlich stattfinden müsse. Auch dieses Begehren ist jedoch chancenlos.
Grundsätzlich hat der Ausschuss grosses Interesse an Bannons Aussagen. Schliesslich hat dieser bei den Ereignissen rund um den 6. Januar 2021 eine bedeutende Rolle gespielt. In einem «war room» im Willard Hotel in Washington hat er zusammen mit Rudy Giuliani, dem Verfassungsjuristen John Eastman und anderen Verschwörern den Sturm mitorganisiert. Dabei war er auch offensichtlich bestens informiert darüber, was geplant war. Am Vorabend des Sturms auf das Kapitol erklärte er in seiner Radioshow: «Morgen wird die Hölle los sein.»
Die Antworten auf Fragen wie «Was genau wusste Bannon?», «Gab es Absprachen mit den Milizen Proud Boys und Oathkeepers?» oder «Wie weit war das Weisse Haus involviert?» sind daher für den Ausschuss von grosser Bedeutung. Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass Bannon diese Fragen je beantworten wird. Wie andere Verschwörer würde er sich bei einer allfälligen Zeugenaussage wahrscheinlich auf den fünften Verfassungszusatz berufen. Dieser besagt, dass sich niemand selbst belasten muss.
Bannons Kehrtwendung ist ein weiteres Zeichen, dass die republikanische Schutzmauer um Trump Risse bekommt. Um Schlimmeres zu verhüten, soll der Ex-Präsident daher mit dem Gedanken spielen, noch vor den Midterms seine Präsidentschafts-Kandidatur anzumelden.
Beim republikanischen Establishment löst dieses Ansinnen Panik aus. So kommentiert das «Wall Street Journal» entsetzt: «Obwohl Biden miserable Umfragewerte hat, schlägt er Trump in einer theoretischen Ausmarchung immer noch mit 44 zu 41 Prozentpunkten. Was bedeutet das, wenn Joe Biden, der unbeliebteste Präsident der jüngeren Vergangenheit, immer noch Donald Trump schlägt?»
PS: Dann nachträglich noch alles Gute zum 69. Herr Löpfe.