Mitch McConnell wird von den amerikanischen Late-Night-Comedians gerne als Schildkröte bezeichnet. Schuld daran ist sein Äusseres – der Senator aus Kentucky hat einen Kropf – und sein in jeder Hinsicht bedächtiges Verhalten. Politisch hingegen ist dieser Vergleich kompletter Unsinn. Schildkröten sind harmlose Tiere. Mitch McConnell hingegen war der nach Donald Trump wohl mächtigste Politiker der Grand Old Party (GOP) in den letzten Jahrzehnten, und er hat diese Macht zynisch und rücksichtslos eingesetzt.
Der heute 82-jährige McConnell ist nicht nur einer der erfahrensten Politiker im US-Kongress – er sitzt seit 40 Jahren im Senat –, er ist auch einer der abgezocktesten. Wie Nancy Pelosi, seine ewige Rivalin bei den Demokraten, weiss er, welche Knöpfe man an der äusserst komplexen Polit-Maschine in Washington drücken muss, um das gewünschte Resultat zu erhalten.
Sein Meisterstück war die Besetzung der Gerichte im Allgemeinen und des Supreme Court im Speziellen. Er war der Mehrheitsführer der Republikaner während der Amtszeit von Trump und hat in dieser Zeit 234 konservative Richter inthronisiert, darunter 54 bei den Circuit-Gerichtshöfen – der amerikanischen Antwort auf unsere Obergerichte – und drei oberste Richter. Weil die Gerichte in den USA eine weit bedeutendere Rolle spielen als bei uns, hat McConnell damit das Geschehen in Nordamerika in einem grossen Ausmass geprägt.
Das herausragendste Beispiel McConnell’scher Machtpolitik war die Besetzung des Supreme Court. Als der konservative Richter Antonin Scalia im Februar 2016 überraschend starb, hätte der damalige Präsident Barack Obama noch beinahe ein Jahr Zeit gehabt, ihn zu ersetzen. Er schlug denn auch Merrick Garland vor, einen gemässigten Demokraten, der heute Justizminister ist.
McConnell verhinderte diese Wahl, indem er selbst eine Diskussion über Garlands Nominierung im Senat nicht zuliess. Bevor sie ihr Amt antreten können, müssen nationale Richter von diesem Gremium abgesegnet werden. Als Mehrheitsführer konnte McConnell dies tun, denn in dieser Funktion konnte er über die Traktanden des Senats bestimmen. Trotzdem war dieses Vorgehen ein Tabubruch. Niemals zuvor hatte ein Mehrheitsführer auf diese schamlose Weise die Wahl eines obersten Richters verhindert.
Doch McConnell hatte damit Erfolg. Kaum war Trump im Amt, wurde der leere Stuhl mit Neil Gorsuch besetzt, einem sehr konservativen Richter. Sein Vorgehen rechtfertigte McConnell seinerzeit mit dem Hinweis, er wolle die Wahl dem amerikanischen Stimmvolk überlassen. Als jedoch die progressive Richterin Ruth Bader Ginsburg im September 2020 starb, peitschte McConnell die Wahl von Amy Coney Barrett kurz vor den Präsidentschaftswahlen innert Wochen durch den Senat.
Zuvor hatte er schon mit Brett Kavanaugh einen weiteren Konservativen in den Supreme Court gehievt. Dank McConnell haben die Konservativen derzeit eine 6:3-Mehrheit im Supreme Court.
Das hat weitreichende Folgen: «Roe v. Wade», das Urteil, das die Abtreibung in den USA während mehr als 50 Jahren ermöglichte, wurde aufgehoben. Der von Präsident Biden verfügte Erlass der geschuldeten Studiengebühren wurde rückgängig gemacht; ebenso ein Gesetz, das den Erwerb von Waffen erschwert hätte.
Jetzt hat der Supreme Court auch Trump einen dicken Gefallen gemacht. Es geht um dessen Anliegen, er geniesse als Präsident «absolute Immunität» und könnte daher nicht strafrechtlich belangt werden. Mit dieser juristisch chancenlosen Forderung will der Ex-Präsident bloss eines erreichen: den Strafprozess wegen seiner Rolle am 6. Januar 2021 auf einen Termin nach den Wahlen zu verschieben.
Am vergangenen Mittwoch hat der Supreme Court entschieden, auf Trumps absurdes Anliegen einzutreten. Dies, obwohl das Berufungsgericht dieses Anliegen schon in einer 50 Seiten umfassenden, hieb- und stichfesten Begründung abgelehnt hat. Die obersten Richter hätten daher keinen Grund gehabt, darauf einzugehen. Es ist zwar unwahrscheinlich, ja unvorstellbar, dass sie Trump recht geben werden, doch sie haben seine Verzögerungstaktik massgeblich unterstützt.
Ob der Prozess gegen Trump noch in diesem Jahr stattfinden wird, ist damit fraglich geworden. Das ist ein schwerer Schlag gegen die Demokratie, denn die Stimmbürger sollten wissen, ob der Ex-Präsident eine Straftat begangen hat oder nicht. Das gilt auch für einen Freispruch. Umfragen zeigen, dass eine Verurteilung Trump massiv Stimmen kosten würde.
Zwiespältig war das Verhalten von McConnell auch in der Behandlung der Vorfälle vom 6. Januar 2021. Eine Verurteilung durch den Senat im vom Abgeordnetenhaus angestrebten Impeachment-Verfahren gegen Trump hat der republikanische Minderheitsführer verhindert. Eine solche Verurteilung hätte Trump für immer aus der Politik verbannt.
Gleichzeitig hat McConnell das Verhalten Trumps aufs Schärfste verurteilt. Es sei eine «schändliche Vernachlässigung seiner Pflicht» gewesen und der Ex-Präsident sei «praktisch und moralisch» für den Sturm auf das Kapitol verantwortlich, hatte McConnell vor dem Senat erklärt – und sich für einmal grandios geirrt. Er hatte nämlich damit gerechnet, dass die Gerichte den Ex-Präsidenten zu Rechenschaft ziehen würden; etwas, das mittlerweile nicht zuletzt dank ihm unsicher geworden ist.
Gleichzeitig hat sich McConnell mit dieser Rede die Wut der MAGA-Meute eingehandelt. Und damit sind wir bei seiner positiven Seite angelangt. Für das Trump-Lager ist McConnell zum RINO mutiert, einem Republikaner nur dem Namen nach. Es gab daher den Versuch, ihn nach den Zwischenwahlen als Minderheitsführer der GOP im Senat abzusetzen. Erfolglos, doch das Tischtuch zwischen McConnell und Trump ist für alle Zeiten zerschnitten.
Ebenfalls hoch anzurechnen ist McConnell sein Einsatz für die Ukraine. Viele Republikaner haben inzwischen die Fronten gewechselt und wollen diese Hilfe absetzen, denn wie fast alles in der gegenwärtigen amerikanischen Politik ist die Ukraine zum Spielball zwischen Republikanern und Demokraten geworden. Dass McConnell bei diesem Schmierentheater der Republikaner nicht mitmacht, ist ihm hoch anzurechnen.
Es ist auch zu befürchten, dass sein Rücktritt im kommenden November kein Freudentag für die Demokratie werden wird. Wahrscheinlich wird er durch jemanden ersetzt werden, der bedingungslos loyal zu Trump und seiner MAGA-Meute stehen wird.