Noch weiss niemand, wer am 7. Januar 2015 auf der Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» die Schüsse abfeuerte, die nach vorläufigen Berichten mindestens zwölf Menschen töteten. Das Motiv aber dürfte nach allem Ermessen klar sein: Hier fand eine tödliche Strafaktion statt, die zugleich als Warnung gemeint war.
Spätestens im März 2006 geriet das Blatt, das noch vehementer als beispielsweise das deutsche Satiremagazin «Titanic» die Grenzen der Pressefreiheit auslotete, auf den Radar der Islamisten: «Charlie Hebdo» war eine der wenigen Zeitschriften, die es wagten, die berühmt-berüchtigten Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung «Jyllands Posten» nachzudrucken. Diese Aktion, die der damalige französische Präsident Jacques Chirac eine «offensichtliche Provokation» nannte, trug «Charlie Hebdo» eine Klage des Dachverbands französischer Muslime (UOIF) ein, die jedoch abgewiesen wurde.
Die Redaktion des wöchentlich erscheinenden Satiremagazins nahm auch in der Folge keine Rücksicht auf religiöse Empfindlichkeiten – auch nicht von christlicher oder jüdischer Seite. Die Justiz schützte diesen provokativen Kurs: 2010 scheiterte auch die ultrakonservative katholische Organisation «Allgemeine Allianz gegen Rassismus und für Respekt der französischen und christlichen Identität» (Agrif) mit einer Klage gegen «Charlie Hebdo».
Wie gefährlich die satirischen Angriffe auf den Propheten Mohammed waren, zeigte sich im November 2011, als ein nächtlicher Brandanschlag die Redaktionsräume von «Charlie Hebdo» verwüstete. Grund für die Attacke war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Sonderheft, das die Redaktion nach dem Wahlsieg der Islamisten in Tunesien angekündigt hatte. Es sollte unter dem Namen «Charia Hebdo» («Scharia Hebdo») erscheinen; als Gast-Chefredaktor fungierte angeblich Mohammed höchstpersönlich. Der Prophet war als Karikatur auf der Titelseite abgebildet; seine Drohung an die Leserschaft lautete:
Der Anschlag führte zu einer Welle der Solidarität mit dem Satiremagazin, neben anderen verurteilte auch der Dachverband der Muslime den Angriff. Allerdings gab es auch andere Reaktionen: Der Internetprovider wollte die Website, die zeitgleich mit dem Anschlag gehackt worden war, nicht mehr aufschalten – es waren Morddrohungen eingegangen. Auch Facebook entfernte die «Charlie-Hebdo»-Seite nach zahlreichen Drohungen.
Als im September 2012 der islamfeindliche Film «Innocence of Muslims» Teile der islamischen Welt in Rage brachte, goss «Charlie Hebdo» Öl ins Feuer. Auf dem Titelblatt zeigte das Magazin einen Muslim im Rollstuhl, der von einem orthodoxen Juden geschoben wurde. Darüber stand der Titel «Intouchables 2» («Die Unantastbaren 2» – eine Anspielung auf einen belie). Muslimische und jüdische Verbände waren empört, doch Chefredaktor Charbonnier bten F ilmrechtfertigte die Veröffentlichung von neuen Mohammed-Karikaturen mit dem Hinweis auf die Pressefreiheit:
Nur wenige Monate später, im Januar 2013, doppelte «Charlie Hebdo» nach: Unter dem Titel «La Vie de Mahomet» («Das Leben Mohammeds») veröffentlichte das Blatt eine Comic-Biographie des Propheten. Das Mullah-Regime in Teheran sah darin einen «Teil einer zionistischen Islamophobie-Kampagne» und protestierte erfolglos gegen die Veröffentlichung.
«‹Charlie Hebdo› est mort!» («‹Charlie Hebdo› ist tot!»), soll einer der Attentäter am 7. Januar 2015 gerufen haben, als die Mörder den Tatort verliessen. Ob ihre Behauptung Tatsache wird, ist nicht abzusehen. Tot sind aber mit Sicherheit zwölf Menschen, darunter neben Chefredaktor «Charb» (Charbonnier) die Zeichner «Tignous» (Bernard Verlhac), «Wolinski» (Georges Wolinski) und «Cabu» (Jean Cabut) sowie der Wirtschaftsredaktor Bernard Maris.
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