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Benny Gantz verlässt Netanjahus Kriegs-Regierung: Die wichtigsten Punkte

Benny Gantz verlässt Israels Regierung und kritisiert Netanjahu – die wichtigsten Punkte

Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des Gazastreifens verlässt Minister Benny Gantz die israelische Notstandsregierung. Das steckt dahinter.
10.06.2024, 11:0710.06.2024, 14:07
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Was ist passiert?

Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des Gazastreifens verlässt Minister Benny Gantz die in Israel nach dem Terroranschlag der islamistischen Hamas vom 7. Oktober gebildete Notstandsregierung. Gantz verkündete dies am Sonntagabend vor Journalisten. «Wir verlassen heute die Notstandsregierung, mit schwerem, aber von ganzem Herzen», sagte er. Gantz war bislang auch Mitglied des wichtigen Kriegskabinetts.

epa11400587 Israeli War Cabinet Minister Benny Gantz holds a press conference in Ramat Gan, near Tel Aviv, Israel, 09 June 2024. Gantz announced his resignation from Israel's emergency government ...
Benny Gantz bei seiner Pressekonferenz am Sonntag.Bild: keystone

Was steckt hinter dem Rücktritt?

Der 65-jährige Ex-Verteidigungsminister warf Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen Vertrauten «Zögerlichkeit und Zeitschinderei aus politischen Erwägungen» vor.

Gantz hatte seinen Kabinettsaustritt bereits angedroht, sollte von der Regierung Netanjahu kein Plan für eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen erarbeitet werden. Das von Gantz vor einigen Wochen an Netanjahu gestellte Ultimatum in der Sache war am Samstag ausgelaufen. Wegen der dramatischen Befreiung von vier Geiseln aus dem Gazastreifen am gleichen Tag verschob er jedoch eine geplante Pressekonferenz in letzter Minute.

Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu and Cabinet Minister Benny Gantz during a press conference in the Kirya military base in Tel Aviv, Israel, Saturday, Oct. 28, 2023. (Abir Sultan/Pool Photo vi ...
Netanjahu und Gantz bei einem gemeinsamen Auftritt an einer Medienkonferenz im Oktober.Bild: keystone

Möglicherweise hat der Rücktritt aber noch einen weiteren Grund: Medien mutmassten, Grund für Gantz' Rückkehr in die Opposition könne auch seine sinkende Popularität sein. Viele Monate hatte seine Partei in Meinungsumfragen weit vor Netanjahus Likud-Partei gelegen. Inzwischen würde laut einigen Umfragen aber erstmals seit Kriegsbeginn vor rund acht Monaten eine knappe Mehrheit Netanjahu gegenüber Gantz im Amt des Ministerpräsidenten bevorzugen. Auch der Vorsprung seiner Partei gegenüber Netanjahus schrumpfte zuletzt.

Welche Massnahmen fordert Gantz?

Gantz forderte, Israel müsse alles unternehmen, um das von US-Präsident Joe Biden unterstützte Abkommen für eine Feuerpause und die Befreiung der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge umzusetzen. Israel müsse sich auf jahrelange Kämpfe einstellen, warnte er. Gantz entschuldigte sich bei den Angehörigen der Geiseln. Es sei bisher nicht gelungen, die Entführten zurückzuholen - auch er trage einen Teil der Verantwortung dafür.

Benny Gantz, left, a key member of Israel's War Cabinet and the top political rival of Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu, is welcomed by Senate Majority Leader Chuck Schumer, for a privat ...
Gantz bei seinem Besuch in Washington mit US-Senator Chuck Schumer.Bild: keystone

Ausserdem sprach Gantz sich für «ein regionales Bündnis gegen den Iran mit den USA und der westlichen Welt» aus. Er forderte von Netanjahu, einen Termin für Neuwahlen festzulegen.

Kann der Rücktritt die Regierung stürzen?

Nein. Netanjahus rechtsreligiöses Kabinett verfügt auch ohne Gantz' Partei weiterhin über eine Mehrheit von 64 von 120 Sitzen im Parlament. Der ehemalige General Gantz war nach dem beispiellosen Angriff der Hamas und anderer Terrorgruppen am 7. Oktober als Minister ohne Ressort in Netanjahus Regierung eingetreten, um ein Zeichen der Geschlossenheit zu setzen. An sich ist die von Gantz geführte Zentrumspartei Nationale Union in der Opposition.

Netanjahu bildete auch ein Kriegskabinett mit Verteidigungsminister Joav Galant, Gantz sowie zwei Beisitzern ohne Stimmrecht. Der Einfluss von Netanjahus ultrarechten Koalitionsmitgliedern wurde somit bei der Mitbestimmung über die wichtigsten Kriegsentscheidungen begrenzt. Gantz' Schritt könnte Berichten zufolge zu einer Auflösung des Kriegskabinetts führen.

Wie steht Netanjahu dazu?

Netanjahu schrieb als Reaktion zu Gantz' Erklärung auf der Plattform X: «Israel befindet sich an mehreren Fronten in einem existenziellen Krieg. Benny, das ist nicht die richtige Zeit, den Kampf aufzugeben.»

Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu chairs a Cabinet meeting at the Bible Lands Museum in Jerusalem on Wednesday, June 5, 2024. (Gil Cohen-Magen/Pool Photo via AP)
Benjamin Netanyahu
Benjamin Netanjahu ist mit dem Moment von Gantz' Abtritt nicht zufrieden.Bild: keystone

Die «Times of Israel» schrieb, Netanjahu sei ohne Gantz' Unterstützung noch anfälliger für die Forderungen seiner rechtsreligiösen Koalitionspartner, die etwa ein noch härteres Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen forderten. Das Blatt mutmasste, dass Israels Führung so noch schneller internationale Unterstützung verlieren könnte. Gantz hatte der am weitesten rechtsstehenden Regierung in Israels Geschichte als «verantwortlicher Erwachsener» ein etwas moderateres Ansehen verschafft.

Medien zufolge wollten die USA, dass Gantz im Kabinett bleibt, solange die Verhandlungen um ein Abkommen für eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln mit der Hamas andauerten. Da Netanjahus Koalitionspartner gegen einen Deal sind, wäre Gantz‘ Anwesenheit in der Notstandsregierung für den Erfolg eines Abkommens von grosser Bedeutung, so die Logik.

Die Hintergründe

Der einstige Generalstabschef Gantz hatte jüngst moniert, wichtige Entscheidungen der Führung, um den Sieg im Gazastreifen zu sichern, seien nicht getroffen worden. «Eine kleine Minderheit hat die Kommandobrücke des israelischen Staatsschiffes übernommen und steuert es auf die Klippen zu», sagte Gantz mit Blick auf Netanjahus Koalitionspartner.

Gantz forderte unter anderem die Festlegung einer amerikanisch-europäisch-arabisch-palästinensischen Regierungsalternative im Gazastreifen. Keinesfalls könnten dies die Hamas oder Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sein, meinte er. Die USA wiederum setzten auf die im Westjordanland regierende und von Abbas geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) für die Zeit nach dem Krieg. Die PA soll nach dem Willen Washingtons umgestaltet werden und dann auch im Gazastreifen wieder die Kontrolle übernehmen. Netanjahu lehnt dies ab. Die Hamas hatte die PA 2007 gewaltsam aus dem Gazastreifen vertrieben.

Auch aus der Armee kamen zuletzt Klagen, dass Soldaten mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach dem Krieg immer wieder an Orten im Gazastreifen kämpfen müssen, aus denen sich das Militär eigentlich bereits wieder zurückgezogen hatte.

Netanjahu weigert sich bislang aber, einen Plan für Verwaltung und Wiederaufbau des Gazastreifens nach Beendigung des Krieges vorzulegen, wohl auch um seine ultrarechten Koalitionspartner nicht vor den Kopf zu stossen. Diese verfolgen Ziele wie einen höchst umstrittenen israelischen Siedlungsbau im Gazastreifen. Netanjahus politisches Überleben hängt aber von ihnen ab.

Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen aus dem Gazastreifen waren am 7. Oktober überraschend in den Süden Israels eingedrungen. Dort töteten sie mehr als 1200 Menschen und nahmen über 250 Geiseln. Das Massaker löste den Gaza-Krieg aus. Seither wurden nach Angaben der Gesundheitsbehörde mehr als 37 000 Palästinenser getötet und rund weitere 84 500 verletzt. Diese Angaben, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, lassen sich nicht unabhängig verifizieren. Israels Armee steht wegen ihres Vorgehens im Gazastreifen und der hohen Zahl ziviler Opfer international stark in der Kritik. Die humanitäre Lage für die mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen ist Hilfsorganisationen zufolge verheerend.

(dab/sda/dpa)

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29 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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recherchierenbitte!
10.06.2024 00:29registriert Mai 2023
Benny Gantz war die ganze Zeit im "Kriegsrat" und hat alles was bis jetzt in Gaza passiert ist mitgetragen.
Solange in Israel die Mehrheit Parteien wählt, die den Siedlungsbau, die Besatzung, die Ungleichbehandlung der Palästinenser und den Traum von "Grossisrael" vertreten wird es nie Frieden geben. Und es wird immer palästinensische "Terrororganisationen" geben die sich dagegen erheben.
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