Das Massaker vom 7. Oktober 2023 hat die israelische Bevölkerung tief verunsichert und die ohnehin geschwundene Kompromissbereitschaft gegenüber der palästinensischen Seite weiter untergraben. Das Versprechen von Premierminister Benjamin Netanjahu, die Bedrohung durch die Hamas ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, findet auch nach mehr als einem halben Jahr Krieg immer noch breite Unterstützung, auch wenn Netanjahu ansonsten unbeliebt ist.
Doch der Versuch, mit Bodentruppen und Luftschlägen die Hamas im dicht besiedelten Gazastreifen militärisch auszuschalten, fordert zwangsläufig zivile Opfer. Die israelische Armee behauptet, sie führe diesen «Urban Warfare» (Häuserkampf) so, dass die Opferzahl unter der Zivilbevölkerung möglichst klein bleibe. Doch die Taktik der Hamas, ihre Stützpunkte in Krankenhäusern oder Schulen einzurichten, führe zu zahlreichen zivilen Opfern.
Sicher ist, dass der Blutzoll in diesem Krieg sehr hoch ist. Bis zum 21. Mai wurden mehr als 35'000 Palästinenser getötet, darunter zahlreiche Frauen, Kinder und Alte. Die Zahl der Opfer ist möglicherweise noch höher. Die meisten von ihnen wurden vom Gesundheitsministerium in Gaza registriert, das unter Kontrolle der Hamas steht. Wie viele der Toten Kombattanten der Hamas sind, ist umstritten. Im zynisch anmutenden Krieg der Zahlen ist die israelische Seite bemüht, die Anzahl der zivilen Opfer eher kleinzureden, während die Hamas sie im Gegenteil tendenziell aufbauschen wird.
Dieses Muster zeigt sich auch beim jüngsten israelischen Angriff auf ein Schulgebäude in Nuseirat. Dies ist eine Stadt, die sich aus einem Flüchtlingslager entwickelt hat, das in den 40er-Jahren ursprünglich für vertriebene Palästinenser errichtet wurde. Die al-Sardi-Schule wurde vom Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, der UNWRA, betrieben. Die UNWRA fordert eine Untersuchung des Angriffs.
Nach Angaben des israelischen Militärs (IDF) zielte der Angriff auf Hamas-Mitglieder. Kampfjets hätten das Gelände angegriffen, um Terroristen zu eliminieren, die am 7. Oktober am Angriff auf Israel teilgenommen hatten. Die Schule habe ihnen als Basis gedient, um im Schutze von Zivilisten weiter zu operieren.
🔴Eliminated: several Hamas and Islamic Jihad terrorists who embedded themselves inside of an @UNRWA school.
— Israel Defense Forces (@IDF) June 6, 2024
IAF fighter jets conducted a precise strike on a Hamas compound embedded inside the school in the area of Nuseirat. These terrorists belonged to the Nukhba Forces and… pic.twitter.com/2AX28twfVs
IDF-Sprecher Peter Lerner erklärte ferner, man habe das Schulgebäude in den vergangenen Tagen beobachtet und den Angriff zweimal verschoben, um zivile Opfer zu vermeiden. Das Militär habe aktuell keine Kenntnisse über mögliche zivile Opfer infolge des Angriffs, sagte er weiter. Während des Angriffs hätten sich 20 bis 30 Mitglieder der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihads (PIJ) im Gebäude aufgehalten.
Gemäss Wafa, der Nachrichtenagentur der Palästinensischen Autonomiebehörde, wurden bei dem Angriff im Morgengrauen mindestens 32 Menschen getötet. Dutzende weitere seien verletzt worden. Die meisten Opfer seien Frauen, Kinder und Jugendliche. Viele der Toten wurden in das Al-Aqsa-Krankenhaus in Deir al-Balah gebracht, wo ihre Leichen im Innenhof aufgereiht waren, wie Videos in sozialen Medien zeigten. In dem bombardierten Gebäude hatten palästinensischen Angaben zufolge auch Vertriebene Schutz gesucht.
Lerner wiederum sagte, die Binnenflüchtlinge hielten sich nicht in dem angegriffenen Bereich auf. Die Mitglieder der Terrorgruppen hätten sich in drei verschiedenen Klassenräumen der Schule im Flüchtlingsviertel Nuseirat befunden. Erste Erkenntnisse wiesen darauf hin, dass viele von ihnen bei dem Angriff getötet worden seien, sagte der Militärsprecher weiter. Die widersprüchlichen Aussagen der Kriegsparteien liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Der israelische Angriff in Nuseirat erfolgte im Zuge einer neuerlichen Offensive im Zentrum des Gazastreifens. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Hamas im mittleren und nördlichen Teil des Gazastreifens, der von israelischen Truppen zu Beginn des Krieges vor mittlerweile acht Monaten erobert wurde, wieder erstarkt ist.
Das wichtigste Kriegsziel Israels, die militärische Zerschlagung der Hamas, ist nach wie vor nicht erreicht und erscheint zusehends unrealistisch. Dies bestätigt ein Bericht von «Politico», der sich auf Aussagen aus US-Geheimdienstkrisen beruft. Nur ein Drittel der Hamas-Kombattanten, die seit dem 7. Oktober aktiv sind, sollen getötet worden sein, und die Terrororganisation habe seit Kriegsbeginn Tausende neuer Kämpfer rekrutieren können. Gegenüber dem US-Radiosender NPR sagte ein israelischer Militärsprecher, etwa die Hälfte der Hamaskämpfer sei noch aktiv. Andere israelische Analysten schätzten die Zahl noch höher ein.
Militärsprecher Lerner sagte gemäss dem «Guardian», die israelischen Truppen, die in das Gebiet verlegt wurden, sähen sich einem «Guerillakrieg» gegenüber, bei dem kleine Zellen mit Panzerfäusten, Kleinwaffen und Sprengkörpern angreifen. Dabei hatten die IDF den Norden des Gazastreifens vor Monaten als «unter Kontrolle» erklärt. Und die Offensive gegen Rafah im Süden des Streifens sollte dort die vermeintlich restlichen vier Hamas-Bataillone vernichten.
Der Hamas-Regierung soll es, wie ihr Mediensprecher Ismail Thawabteh gegenüber NPR erklärte, sogar zweimal gelungen sein, während des Krieges einen Teil der Gehälter an ihre Beamten auszuzahlen. Ihr Wirtschaftsministerium führe Kontrollen der Warenpreise durch, um Preistreiberei zu verhindern. Allerdings glaubt ein ehemaliger Hamas-Berater, der mit NPR sprach, nicht daran, dass die Hamas wieder die Stärke erlangen werde, die sie einst hatte. Sie werde stattdessen versuchen, ein Akteur in der palästinensischen Politik zu sein – verändert, aber nicht besiegt.
Die provisorische Anlegestelle an der Küste des Gazastreifens, die Ende Mai nur wenige Tage nach Fertigstellung bei rauem Seegang schwer beschädigt worden war, soll derweil nach Einschätzung des Pentagon bald ihren Betrieb wieder aufnehmen können. «Wir hoffen, dass wir den Pier in Gaza Ende der Woche wieder verankern können», sagte die Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums, Sabrina Singh. Sobald das geschehen sei, könnten Hilfslieferungen «ziemlich sofort» wieder in den Gazastreifen gebracht werden.
Dies ist bitter nötig, denn bereits sind viele Palästinenser im Gazastreifen aufgrund von monatelangem Hunger gestorben, wie zwei neue Berichte zur Ernährungssicherheit diese Woche feststellten. Zudem habe die Unterernährung bei Kindern bleibende Schäden verursacht, vermeldete der «Guardian» aus einem der Berichte. Offiziell wurde die Hungersnot aber noch nicht ausgerufen. (dhr/yam)
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA/DPA.
Können sie so genau Hamas von zivilen Opfern unterscheiden?
Ich traue weder den Israelis noch den Hamas.
Es wäre ja nicht das erste mal, dass sich Hamas-Kämpfer feige hinter der eigenen Zivilibevölkerung verstecken.
Die Hamas muss weg …mit hoffentlich möglichst wenig unschuldigen Opfern.