Die Türkei knüpft ihr Ja zu einem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens an Bedingungen und bedroht damit die Geschlossenheit des Bündnisses im Auftreten gegenüber Russland. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan muss sich im kommenden Jahr einer Präsidentschaftswahl in der Türkei stellen und scheint nun die geplante Nato-Osterweiterung auch dazu nutzen zu wollen, um für sein Land Zugeständnisse zu erreichen.
Die türkische Regierung gibt sich bei der Aufnahme von Schweden und Finnland allerdings gesprächsbereit und fordert folgende Zugeständnisse:
Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung sei gegen eine Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato, «und sie rufen uns dazu auf, diese zu blockieren», erklärte Aussenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Berlin. Bereits am Freitag hatte Erdoğan gesagt, skandinavische Länder seien geradezu «Gasthäuser für Terrororganisationen».
Die Aussagen überschatteten am Sonntag auch die offizielle Ankündigung Finnlands, einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft zu stellen. Sie gilt als historisch, da das Nachbarland Russlands jahrzehntelang grossen Wert auf seine Neutralität legte. Kremlchef Wladimir Putin hatte bis zuletzt noch versucht, Finnland von dem Schritt abzuhalten. In einem Telefonat mit Finnlands Präsident Sauli Niinistö bezeichnete er die Beitrittspläne als Fehler. Finnlands Abkehr von der traditionellen Neutralität werde zu einer Verschlechterung der bislang guten nachbarschaftlichen Beziehungen führen.
Aussenminister Çavuşoğlu bekräftigte in Berlin zwar die Anschuldigungen gegen Finnland und Schweden, betonte aber auch, Ankara habe die Politik der «offenen Tür» der Nato immer unterstützt. Am Rande der Ministerberatungen lobte Çavuşoğlu Finnland dafür, sich «sehr respektvoll» angesichts der von der Türkei vorgetragenen «Bedenken» zu zeigen. Den Schweden warf er hingegen vor, sich «nicht konstruktiv», sondern «provokativ» zu verhalten.
Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich optimistisch, dass die türkischen Bedenken ausgeräumt werden können. Die Türkei habe klargemacht, dass sie den Beitritt der beiden Länder nicht «blockieren» wolle. Auch US-Aussenminister Antony Blinken gab sich «sehr zuversichtlich», dass ein Konsens über die Nato-Aufnahme Finnlands und Schwedens erreicht werden könne.
Die meisten anderen Alliierten begrüssen es, dass Finnland und Schweden in Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine mit Vorbereitungen für einen Nato-Beitritt begonnen haben. Ihre Aufnahme würde die Nato als Verteidigungs-, aber auch als Wertebündnis stärken, betonte Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Sonntag. Unter den Nato-Partnern sorgten die indirekten Vetodrohungen der Türkei deswegen für erheblichen Unmut.
Wie die Türkei von einem möglichen Veto gegen einen Nato-Beitritt von Schweden und Finnland abgehalten werden kann, blieb zunächst unklar. Nach Angaben von Diplomaten könnten neben Erklärungen der beiden Nordländer zum Kampf gegen den Terrorismus auch Zugeständnisse der USA eine Rolle spielen. So will die Regierung in Ankara F-16-Kampfjets von den Amerikanern kaufen und hofft auf ein Ende des Streits um die Anschaffung des russischen S-400-Raketenabwehrsystems.
Die Türkei hatte das S-400-System 2017 trotz vehementer Proteste der USA und der Nato bestellt. Die USA schlossen dann nach der Lieferung die Türkei aus dem F-35-Kampfjet-Programm aus und verhängten Sanktionen. Aus Sicht Washingtons würde der Einsatz des Systems die Sicherheit von US-Soldaten und von amerikanischer Militärtechnologie gefährden.
Baerbock äusserte sich bei dem Nato-Treffen zunächst nicht zu dem Streit. Sie hatte allerdings bereits vorher deutlich gemacht, dass sie wenig Verständnis für die türkische Position hat. Ihrer Ansicht nach müsste jedes demokratische Land eigentlich erfreut sein, wenn Demokratien mit starken Verteidigungsfähigkeiten das gemeinsame Bündnis stärker machten, sagte sie am Samstag nach Abschluss von dreitägigen Beratungen mit ihren Amtskolleginnen und -kollegen der Gruppe der führenden demokratischen Industrienationen (G7) an der Ostsee.
Am Sonntag machte Baerbock nach der ersten Beratungsrunde im Nato-Kreis am Vorabend deutlich, dass die Bundesregierung eine schnelle Zustimmung Deutschlands zur möglichen Aufnahme Finnlands und Schwedens anstrebt. Sollten sich beide Länder für eine Mitgliedschaft entscheiden, sei ihr sehr wichtig, dass man «in diesem wirklich historischen Moment keine Hängepartie» erlebe, sagte sie. Es sei alles für einen schnellen Ratifizierungsprozess vorbereitet.
Dieser Schritt würde nach dem Abschluss des Nato-internen Prozesses für die Aufnahme der beiden nordischen Länder erfolgen – in Deutschland ist für die Ratifizierung eine Zustimmung des Bundestags notwendig. Baerbock sagte, die Bundesregierung habe dazu bereits mit allen demokratischen Parteien im Parlament gesprochen. Nach Angaben aus Regierungskreisen könnte Deutschland den Ratifizierungsprozess sogar noch vor der parlamentarischen Sommerpause abschliessen, wenn die Türkei das Aufnahmeverfahren nicht blockiert. Die Nato-internen Prozesse sollen im Idealfall bereits im Juni abgeschlossen sein.
Finnlands Aussenminister Pekka Haavisto und dessen schwedische Amtskollegin Ann Linde nahmen am Samstagabend als Gäste an den Beratungen in Berlin teil. Haavisto sagte: «Ich bin mir sicher, dass wir für diese Sache eine Lösung finden werden.» Er räumte allerdings ein, dass es noch etwas dauern könne. In Nato-Kreisen wird es für denkbar gehalten, dass es nach Gesprächen des türkischen Aussenministers in Washington einen Durchbruch geben könnte. Diese sind für Mitte der Woche geplant.
Der stellvertretende Nato-Generalsekretär Mircea Geoana zeigte sich trotz der türkischen Einwände zuversichtlich, dass Schweden und Finnland in die Nato aufgenommen werden. Sollten die beiden Länder in den nächsten Tagen eine Mitgliedschaft beantragen, gehe er davon aus, «dass wir sie willkommen heissen können und dass alle Bedingungen für eine Mitgliedschaft erfüllt werden».
Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn erwartete ebenfalls eine Einigung. «Politik ist manchmal auch Theatralik und manchmal ist es wie im Basar, dass man verhandeln muss bis zum Schluss», sagte er. Am Ende werde es aber gehen.
(dpa,AFP,pdi)
Hört sich doch gut an.