Russland hat nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj das Land erneut mit Raketenangriffen überzogen. In Kupjansk im Gebiet Charkiw im Osten der Ukraine sei ein Zentrum für Bluttransfusionen bombardiert worden, teilte der Staatschef am Samstagabend im Nachrichtenkanal Telegram mit. Es gebe Berichte über Tote und Verletzte. Rettungskräfte löschten das Feuer. «Dieses Kriegsverbrechen allein sagt alles über die russische Aggression aus», schrieb er. «Die Terroristen zu schlagen, ist eine Sache der Ehre für alle, die Leben wertschätzen.»
In Saporischschja sei ein Schlag gegen das Werk Motor Sich verübt worden, berichtete Selenskyj zuvor schon in seiner abendlichen Videobotschaft. Da hatte es in der Ukraine erneut Luftalarm gegeben. Selenskyj sagte nicht, ob es Schäden gab. Motor Sich gilt als wichtigster Hersteller des Landes von Triebwerken für Flugzeuge und Hubschrauber sowie für Gasturbinen. Nach Darstellung Selenskyjs wurde auch die Region Chmelnyzkyj getroffen. Russland führt seit mehr als 17 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland.
«Ein Teil der Raketen wurde abgeschossen. Danke unseren Kämpfern der Luftverteidigung», sagte der Staatschef. Russland feuerte demnach einmal mehr Raketen des Typs Kinschal (Dolch) und Kalibr-Marschflugkörper ab. Selenskyj versicherte, die Ukraine werde ihre Freiheit verteidigen. «Und Russland wird es nicht schaffen, das internationale Recht durch Terror oder Krisen oder irgendwelche Einschüchterungen zu ersetzen.»
Selenskyj lobte in seiner Ansprache das Treffen von Verbündeten der Ukraine am Roten Meer in der Stadt Dschidda, bei dem es auch an diesem Sonntag um seine Formel für einen künftigen Frieden geht. In Saudi-Arabien seien 42 Staaten von verschiedenen Kontinenten vertreten, die durch das internationale Recht vereint seien. Ein Kernpunkt von Selenskyjs «Friedensformel» ist der Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. In Dschidda seien auch wichtige bilaterale Treffen geplant, sagte Selenskyj.
Selenskyj dankte in seiner Videobotschaft einmal mehr unter anderem Deutschland für die jüngsten Verteidigungspakete. Die Ukraine erwarte in der kommenden Woche neue Zusagen von Hilfspaketen von Verbündeten. «Je grösser die Konsolidierung der Welt bei der Wiederherstellung eines gerechten Friedens ist, desto schneller wird den Bomben und Raketen, mit denen Moskau die Normen des internationalen Rechts ersetzen will, ein Ende gesetzt», sagte er.
Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock begrüsste die Gespräche in Saudi-Arabien. «Jeder Millimeter Fortschritt in Richtung eines gerechten und fairen Friedens bringt ein Stück Hoffnung für die Menschen in der Ukraine», sagte die Grünen-Politikerin der «Bild am Sonntag». Baerbock sagte, Selenskyj habe mit seiner Friedensformel einen «ganz entscheidenden Pfad aufgezeigt».
An dem Treffen in Dschidda nehmen neben Vertretern der Ukraine beispielsweise auch die USA, China und Deutschland teil. An Russland, das den Krieg gegen das Nachbarland am 24. Februar 2022 begonnen hatte, ging keine Einladung. Geplant ist später im Jahr nach der Vorstellung Selenskyjs ein Friedensgipfel mit den Staats- und Regierungschefs.
Parallel zu den diplomatischen Bemühungen setzt die Ukraine aber auch ihre Gegenoffensive fort. Dabei will das Land nach mehreren erfolgreichen Treffern seine Drohnenangriffe auf russische Ziele ausweiten, wie der Sekretär des Nationalen Rates für Sicherheit und Verteidigung, Olexij Danilow, mitteilte. «Russische Ziele sind das beste Übungsgelände für ukrainische Waffen und Reklame auf dem weltweiten Rüstungsmarkt», schrieb er am Samstag auf Twitter, das nun X heisst. Der August sei bisher ein erfolgreicher Monat, meinte er mit Blick auf Treffer gegen russische Schiffe.
«Mit jedem neuen Kampfeinsatz werden ukrainische Kampf- und Marinedrohnen immer präziser, das Bedienungspersonal wird erfahrener, die Kampfkoordination effektiver. Hersteller erhalten Möglichkeiten, die taktischen und technischen Eigenschaften zu verbessern», so Danilow. Er kündigte mehr Einsätze in weiterer Entfernung an mit dem Ziel, den Russen möglichst grosse Verluste zuzufügen. Unterdessen erklärte Kiew die russischen Schwarzmeerhäfen Anapa, Noworossijsk, Gelendschik, Tuapse, Sotschi und Taman zu militärischen Gefahrenzonen. Details wurden nicht genannt.
In der Nacht zu Samstag war ein russischer Tanker zwischen Russland und der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim von einer Seedrohne am Maschinenraum getroffen worden. Einsatzkräfte pumpten nach russischen Angaben Wasser aus dem Schiff, damit es nicht untergeht. Russland sprach von einem «Terroranschlag» und kündigte Vergeltung an. Am Freitag hatte eine ukrainische Seedrohne Medien zufolge ein Schiff der russischen Schwarzmeerflotte in Noworossijsk getroffen. Auf Bildern war zu sehen, dass es Schlagseite hatte. Vor der Krim-Metropole Sewastopol wurde nach russischen Angaben eine ukrainische Seedrohne zerstört.
Russland wirft der Ukraine inzwischen immer wieder vor, seine Grenzregionen und Städte mit Drohnen anzugreifen, auch die Hauptstadt Moskau. Die Attacken stehen allerdings in keinem Verhältnis zu den massenhaften russischen Angriffen mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen. Dabei sterben immer wieder viele Menschen oder werden verletzt.
In Dschidda geht das Ukraine-Treffen der Vertreter verschiedener Staaten weiter. Eine Abschlusserklärung ist nicht geplant. Russland hatte angekündigt, die Gespräche aus der Ferne zu beobachten. Ziel Kiews sei es, eine antirussische Koalition zu schmieden, hiess es in Moskau. Derweil gehen die schweren Kämpfe im Osten und im Süden der Ukraine weiter. Dort meldet die Ukraine, aber auch Russland immer wieder Geländegewinne. (sda/dpa)