Dass sie Panzer, Granaten oder Munition verkaufen, hängen Firmen wie die deutsche Rüstungsschmiede Rheinmetall mit ihrem Ableger in Zürich-Oerlikon nicht gerne an die grosse Glocke. Dies zeigt sich in der Sprache, wie sie ihre Produkte anpreisen.
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Waffen und Munition fasst Rheinmetall im Portfolio unter dem Schlagwort «Wirkung» zusammen, das Unternehmen selbst bezeichnet sich schlicht als «internationales Systemhaus für Sicherheitstechnologie», das «innovative Lösungen für eine sichere und lebenswerte Zukunft» entwickle.
Wie lebenswert die Zukunft für jene noch ist, die von Rheinmetall-Munition getroffen werden, darüber konnten sich vor dem Krieg in der Ukraine Befürworter und Gegner der Rüstungsindustrie trefflich streiten. Mit Putins Angriff hat diese Debatte ein jähes Ende gefunden.
Die Meinungen sind gemacht: Angesichts der Zeitenwende, die die russische Aggression eingeläutet hat, ist Aufrüsten angesagt. In Umfragen befürworten rund drei Viertel der Deutschen massiv höhere Ausgaben für die Bundeswehr. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits 100 Milliarden Euro in einem Sonderfonds bereitgestellt.
In der Schweiz, wo der Bundesrat noch 1988 erklärte, das Land habe keine Armee, sondern sei eine Armee, gibt es ähnliche Pläne: Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats will die Rüstungsausgaben der Schweiz bis 2030 auf ein Prozent des BIP erhöhen – im Vergleich zu 2019 entspräche das einem Drittel mehr Geld für die Armee.
Die neue Aufrüstungsrhetorik spiegelt sich in den Börsenkursen der einschlägigen Firmen. Der Kurs von Rheinmetall an der Börse hat sich seit Putins Angriff fast verdoppelt. Die Anleger rechnen damit, dass ein guter Teil des 100-Milliarden-Euro-Pakets von Olaf Scholz zu Rheinmetall fliesst.
Einen Auftrag aus der Nachbarschaft der Ukraine konnte Rheinmetall bereits an Land ziehen, wobei dieser schon vorher aufgegleist worden war: Ungarn bestellte Ende März Munition für mehrere hundert Millionen Euro.
Ob im Nachgang zum Krieg in der Ukraine auch die Tochtergesellschaft in Oerlikon, Rheinmetall Air Defence, neue Aufträge verbuchen konnte, will das Unternehmen auf Anfrage nicht bekannt geben. Sprecher Oliver Hoffmann erklärt allgemein: «In einer Reihe von Ländern sehen wir einen gestiegenen Bedarf zur Verbesserung der militärischen Ausrüstung. Dies spiegelt auch die Kursentwicklung an der Börse wider.»
Sprunghaft zulegen konnte der grösste Rüstungskonzern der Welt, Lockheed Martin. Das US-Unternehmen baut den F-35-Kampfjet, den die Schweiz beschaffen will.
Was auffällt: Mit mehr Aufträgen rechnen zwar auch Mischkonzerne wie Airbus oder Boeing, die neben zivilen Flugzeugen militärische Helikopter oder Raketen bauen. «Es scheint aber, als ob der Krieg in der Ukraine vorab die Erwartungen an ausschliesslich auf Rüstung spezialisierte Firmen nach oben treibt», sagt Alexandra Marksteiner vom renommierten Stockholm International Peace Research Institut (Sipri). Sie betont, dass sich jetzt abzeichnende Aufrüstungspläne jedoch erst in Monaten oder gar Jahren in den Zahlen der Industrie niederschlagen würden. Erst dann werde man sehen, ob die Erwartungen der Anleger sich in Realität umsetzen würden.
Dass die europäischen Staaten ihre Verteidigungs- und Rüstungsausgaben wieder hochfahren, sei ein Phänomen, das man bereits Jahre vor Putins Angriffskrieg beobachte, sagt Marksteiner. Laut Zahlen von Sipri sind die globalen Ausgaben für Militärgüter seit 2014 stetig gestiegen – auch während der Coronakrise.
Russland ist dabei keine Ausnahme, wobei laut Marksteiner das Land erst 2020 ein grosses Rüstungsprogramm abgeschlossen hat. Da Putin die Rüstungsindustrie im Land angewiesen hat, bis 2030 die Hälfte der Umsätze durch zivile Aufträge zu generieren, geht Sipri davon aus, dass der Staat in den nächsten Jahren weniger in die Armee investieren will.
Ob der Krieg – der militärische Schwächen Russlands offengelegt hat – und die verheerenden wirtschaftlichen Sanktionen an dieser Strategie etwas ändern werden, ist offen. In seine wichtigsten Exportmärkte kann Russland weiterhin Waffen liefern: nach China und nach Indien.
Weltweit Aufwind haben jene Firmen, die in der verheerendsten aller Technologien tätig sind: der Atombombentechnologie. Der Börsenkurs der US-Firma Northrop Grumman beispielsweise, die derzeit am Ersatz der atomaren Interkontinentalraketen der Vereinigten Staaten baut, schnellte nach Putins Einmarsch in die Höhe. Ein Zeichen dafür, dass an den Märkten die Annahme besteht, dass Regierungen auch bei Atomwaffen längerfristig wieder investieren werden.
Putins Krieg könnte demnach als unheilvoller Katalysator für ein neues atomares Wettrüsten dienen. In den letzten Jahren haben die Staaten die Zahl der Atomsprengköpfe stetig reduziert. Zuletzt gab es global über 13’000 Atomsprengköpfe; fast die Hälfte davon besitzt Russland.
Die mögliche nukleare Aufrüstung bereitet Susi Snyder Sorgen. Sie ist Atomwaffen-Expertin bei der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican). Zu CH Media sagt sie, erstmals seit mehr als einer Generation sei der Atomkrieg wieder denkbar geworden. «Die Gefahr ist real. Es braucht nicht viel, wie wir aktuell am Verhalten Wladimir Putins sehen.» Die neun Atommächte verfügen über so viele Atomwaffen, um das Leben auf der Erde dutzendfach auszulöschen.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine müsse sich die internationale Gemeinschaft fragen, ob es die Zukunft der internationalen Politik sein könne, dass jeder, der Atomwaffen besitze, diese für die Durchsetzung seiner Machtfantasien schamlos einsetzen könne.
Seit dem Kalten Krieg gilt in der Theorie der internationalen Beziehungen das sogenannte «Gleichgewicht des Schreckens», wonach keine Atommacht die Bombe einsetzt, weil sie weiss, dass dies der Untergang des eigenen Landes bedeuten würde. Diese Annahme habe sich überlebt, sagt Snyder, denn die Theorie gehe von rationalen Akteuren aus, die ihre Risiken genau kalkulierten.
Zwar kann niemand genau sagen, ob Putin tatsächlich schlicht ein gewiefter und somit immer noch rationaler Taktiker ist, der mit Atom-Drohungen nur provoziert, oder ob er im Wahn und in die Ecke gedrängt tatsächlich einst den «roten Knopf» drücken könnte – weil ihm sein Land und seine Leute ohnehin gleichgültig sind.
Für Snyder ist jedenfalls klar: Putin hat das «Gleichgewicht des Schreckens» endgültig pulverisiert. Damit die Theorie noch aufgehe, müssten, wenn schon, dann alle Staaten Atomwaffen haben. Oder, wie von ihr gefordert: gar kein Land mehr. «Ansonsten können Länder wie Russland mit Hilfe der Atombombe weiter Völkerrecht brechen – und die Nato muss zuschauen.» Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte die Ukraine ihre Atomwaffen abgetreten.
«Es ist klar, dass eine nukleare Abrüstung nicht von heute auf morgen stattfinden wird. Und natürlich ist es schwierig, Atommächte davon zu überzeugen, ihre Waffen aufzugeben, während andere Länder weitermachen», sagt Snyder.
Trotzdem zeige der Krieg in der Ukraine deutlich, dass ein erneutes atomares Wettrüsten wie im Kalten Krieg keine Option sei. Sie hofft, dass nach einem Ende des Ukraine-Krieges die neun Atommächte darüber reden, wie man schrittweise abrüsten kann.
Ein Treffen der 86 Länder, die bereits den Atomwaffenverbotsvertrag der UNO unterschrieben haben, findet im Juni in Wien statt. Die Atommächte haben keine Absicht geäussert, am Treffen teilzunehmen. (aargauerzeitung.ch)
Es stellt sich die Frage ob die Politiker, die nach höheren Armeeausgaben schreien, wirklich die Sicherheit des Landes oder nicht viel eher die Wirtschaft, mit der sie verbandelt sind, im Sinne haben…
Ohne eine international aufgestellte Atommacht, welche die aktuellen Atommächte dazu zwingt, ihre Atomarsenale zu entsorgen, werden wir nie mehr sorglos leben können.
Irgendwer wird immer mit Allmachtsphantasien herumspinnen.
Natürlich ist Aufrüstung ein gefährliches Spiel.
Aber nun zu sagen, dass Rüstung grundlegend falsch sei und utopische Lösungen präsentieren, ist keine Lösung.
Oder soll man feindlichen Soldaten von nun an erklären, dass es keinen Krieg mehr gibt, weil man die Aktionäre nicht beglücken möchte? Funktioniert sicher.