Es ist die momentan am heissesten diskutierte Frage in Brüssel und den europäischen Hauptstädten: Auf was müssen wir uns gefasst machen, wenn Donald Trump im November auf den amerikanischen Chefsessel zurückkehrt?
Einen Vorgeschmack darauf lieferte der US-Senat in dieser Woche. Auf Druck von Donald Trump verweigerten die Republikaner ihre Zustimmung zu weiteren Finanzhilfen für die Ukraine im Umfang von 60 Milliarden Dollar. US-Präsident Joe Biden warf seinem Vorgänger Sabotage vor. Der polnische Premierminister Donald Tusk wetterte, der grosse republikanische Ex-Präsident Ronald Reagan würde sich im Grab umdrehen.
Obwohl der ersten Abstimmung bald weitere folgen dürften, ist dies ein starkes Zeichen aus Washington: Mit dem Beistand aus Amerika ist mit Donald Trump nicht mehr zu rechnen. Spätestens jetzt sollte das jeder kapiert haben.
Tatsächlich waren schon die ersten vier Trump-Jahre 2017 bis 2021 für die Europäer eine Achterbahnfahrt sondergleichen.
Unvergessen sind Trumps Auftritte bei der Nato, wo er jeweils wie ein Elefant durch den Porzellanladen trampelte und selbst vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckte, als ihm ein Premierminister den Weg ins Rampenlicht versperrte. Was er dort hinter verschlossenen Türen nur angedeutet hat, sagt er heute ganz offen: Er würde die europäischen Nato-Partner gegen einen Angriff Russlands nicht verteidigen.
Trump to foreign leader: If Russia attacks you, the United States will not help you.
— The Intellectualist (@highbrow_nobrow) February 4, 2024
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Das muss aufrütteln. Steht die erfolgreichste Verteidigungsallianz der Geschichte vor dem Aus?
Dass Trump die Nato verlassen würde, glaubt Ronja Kempin, Sicherheitsexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zwar nicht. Dies, auch weil es für eine solche Entscheidung formell die Zustimmung vom Kongress braucht, der auch heute noch stark pro Nato eingestellt ist. Aber was, wenn Trump entscheidet, die 100'000 US-Soldaten aus Europa abzuziehen? Was, wenn er den Nuklear-Schutzschirm über Europa aufkündet? Auf diese Fragen sei Europa nicht vorbereitet, so Kempin.
Akute Gefahr droht mit Trump 2.0 aber der Ukraine, wie die Abstimmung über die Finanzhilfen zeigt. Mit Russlands Präsident Wladimir Putin verspricht Trump «innerhalb 24 Stunden» einen Deal zur Beendigung des Krieges zu schliessen, über den Kopf der Ukrainer hinweg. Dieser würde nicht nur zum Nachteil des angegriffenen Landes ausfallen. Sondern auch zum Nachteil Europas. Verliert die Ukraine den Krieg, steigt die Möglichkeit, dass Putin weitere Länder angreift.
Zum Beispiel die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Warum nicht? Immerhin hat Trump ja versichert, dass er nichts tun würde.
Sicherheitsexpertin Kempin: «Jeder weiss, dass die Europäer das Loch, welches ein Ausfall der USA bei der Sicherheit aufreisst, nicht stopfen können». Europa fehlen schlicht die Mittel dazu: Die «Zeitenwende», die der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet habe, finde höchstens graduell statt. Kempin: «Wir machen mehr, aber bloss mehr vom gleichen».
Entgegen dem, was nötig sei, verbleibe Europa in der Kleinstaaterei. Jeder schaue nur für sich. Gerade was die Beschaffung von Rüstungsmaterial angehe. Die Jahre unter Biden wurden nicht ausreichend genutzt, um Versäumnisse nachzuholen.
Aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht würde Trump 2.0 Europa in Turbulenzen stürzen. «Sein Protektionismus ist sein Markenzeichen», sagt Rebecca Christie von der Brüsseler Denkfabrik «Bruegel».
Die Politikwissenschafterin rechnet damit, dass Trump seine Ankündigung wahrmachen und 10 Prozent generellen Zollaufschlag auf europäische Waren verhängen könnte. Es wäre das Anknüpfen an seine berüchtigte «America First»-Politik. Nur, dass diesmal Krieg herrscht und die Europäer mehr denn je auf intakte Handelsbeziehungen zu Amerika angewiesen sind.
Was China angeht, hat zwar auch Biden eine harte Linie verfolgt. Trump dürfte aber mindestens rhetorisch nochmals einen drauflegen. Mit unkalkulierbaren Folgen für die Weltlage. Die grösste Gefahr ist ohnehin Trumps impulsive Unvorhersehbarkeit: «Schlechte Politik-Entscheide sind das eine. Darauf kann man reagieren. Aber Trump ist ein Agent des Chaos. Das ist viel schlimmer», so Bruegel-Expertin Christie.
Das Chaos befördern könnte Trump 2.0 auch in der europäischen Innenpolitik. Ob die AfD in Deutschland, Marine Le Pen in Frankreich oder Viktor Orbán in Ungarn: Viele rechtspopulistische Parteien in Europa sehen in Trump einen Verbündeten. Sie kämpfen den gleichen Kultur-Kampf gegen die «liberalen Eliten» und die «Globalisten». Über Trumps Wahl würden die Rechtspopulisten in Europa jubeln und sich gestärkt fühlen.
Und die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit: Schon in seiner ersten Amtszeit erklärte Trump, dass er den Brexit eine feine Sache findet. In der EU empfand man das als übergriffig und direkten Angriff auf das Gemeinschaftsprojekt, an dem man seit über 70 Jahren baut.
Laut Politologin Rebecca Christie, selbst US-Amerikanerin, hat Trumps Ablehnung der EU auch mit seiner narzisstischen Persönlichkeit zu tun: «Bei Trump geht es immer nur um sich. Allem, was über sein Ego hinausgeht, sei es die EU, die Verfassung oder sonst irgendetwas grösseres Ganzes, dem begegnet er mit Verachtung.»
Einer, der in Brüssel bereits die Alarmglocke läutet, ist David McAllister, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament. Im Jahr 2017 habe die Wahl Trumps die Europäer auf dem falschen Fuss erwischt: «Wir hatten alle auf Hillary Clinton gesetzt. Als dann Donald Trump gewählt wurde, herrschte Schockzustand», sagt Mc Allister. So etwas dürfe sich auf keinen Fall wiederholen.
Natürlich fürchtet auch er in erster Linie um die transatlantische Partnerschaft im Rahmen der Nato. Aber auch eine Eskalation des Handelsstreits macht dem engen Vertrauten von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Sorgen, der neben dem deutschen auch den britischen Pass besitzt.
Von einem «heilsamen Schock», der Trump den Europäern verpassen und sie endlich zu mehr Eigenständigkeit zwingen könnte, möchte McAllister lieber nichts wissen: «Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, keine Frage. Aber die Amerikaner sind unsere wichtigsten Verbündeten und sie müssen das auch bleiben».
Es sei im ureigensten Interesse der EU, dass die USA sich nicht aus den multilateralen Organisation verabschieden. Andere Player wie China würden nur darauf warten, die Leerstelle einzunehmen. Deshalb müsse man schon jetzt vorarbeiten und Kontakte zu den künftigen Entscheidungsträgern in einer möglichen Trump-Regierung knüpfen, denen die transatlantische Beziehung am Herzen liege.
Fragt sich nur, ob es überhaupt noch solche geben wird. Anders als bei seiner ersten Präsidentschaft, als sich Trump noch mit Leuten umgab, die ihn vor den grössten Dummheiten bewahren wollten, will er diesmal nur uneingeschränkte Loyalisten um sich scharen. Bereits jetzt sollen Trumps Wahlkampfteam und ihm nahestehende Thinktanks lange Listen erstellen, um Tausende US-Beamte zu entlassen und sie mit Leuten zu ersetzen, die auf die reine Trump-Gesinnung geprüft wurden. Inwiefern Europa mit einer möglichen Trump-Administration überhaupt konstruktive Arbeitsbeziehungen aufbauen könnte, bleibt daher fraglich.
Für Politikwissenschafterin Rebecca Christie ist jedoch etwas anderes matchentscheidend: Sicherheit, Klimawandel, Geopolitik – das seien alles Herausforderungen, die sich unabhängig vom Wahlausgang in den USA für Europa stellten. Europa müsse sich daher entscheiden, wie es darauf reagieren wolle: Die Herausforderungen jetzt annehmen oder sich weiter durchwursteln? Christie: «Trump spielt da gar keine Rolle. Europa ist ihm schlicht und einfach egal». (aargauerzeitung.ch)
Wenn Donald sein America great machen will, kann er sich dies wohl nicht leisten.
Wem will er die US-Waffen verkaufen? China? Russland?