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Islamisten rekrutieren in Istanbul für den «Heiligen Krieg»

IS-Dschihadisten im Nordirak: «Kämpfen bis zum Ende»
IS-Dschihadisten im Nordirak: «Kämpfen bis zum Ende»Bild: STRINGER/REUTERS
Dschihadisten aus der Türkei

Islamisten rekrutieren in Istanbul für den «Heiligen Krieg»

Die Terrororganisation «Islamischer Staat» wächst, und die Türkei unterstützt die Extremisten. Dschihadisten werden mitten in Istanbul rekrutiert – mit dem Versprechen, einen Gottesstaat zu errichten, der bis nach Israel reicht. 
11.07.2014, 11:0911.07.2014, 11:14
Hasnain Kazim, Istanbul / Spiegel Online
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Spiegel Online

Für einen 21-Jährigen hat Ahmet schon viele Leichen gesehen. Er hat selbst getötet, um sein Leben gefürchtet, sich in Häuserkämpfen Gefechte geliefert, Handgranaten geworfen, Bombenexplosionen überlebt und Verletzte geschleppt. Er zeigt Filme davon auf seinem Smartphone. Ahmet mit Waffe. Ahmet mit Leiche. Ahmet mit Verletztem. 

Ahmet ist Kämpfer der Terrororganisation «Islamischer Staat» (IS), er war zweimal in Syrien im Einsatz und demnächst wird er wieder dorthin gehen, «bis zum Ende», sagt er. Derzeit hält er sich in Istanbul auf, um sich zu erholen. Hier wurde er auch angeworben. 

Er sieht ausgezehrt aus, seine knochigen Schultern zeichnen sich unter dem viel zu grossen Hemd ab, der Gürtel in seiner Jeans sitzt auf dem engsten Loch. Er trägt einen Vollbart, die Haare über der Oberlippe sind wegrasiert. «Wie der Prophet, Friede sei mit ihm», sagt er. 

Jetzt wohnt er bei Cousins in Fatih, einem konservativen Stadtteil, ein paar Wochen will er bleiben. Ahmet ist türkischer Staatsbürger, aber er träumt von einem Leben in einem Kalifat, das vom Irak bis Syrien und «irgendwann, inschallah», von Pakistan über die Türkei bis nach Israel reicht. 

Gehirnwäsche nach der Rekrutierung 

Vor zwei Jahren wurde Ahmet in Istanbul von einer IS-Vorgängerorganisation rekrutiert, ein Teenager aus zerrütteten Verhältnissen, sechs Jahre Schulbildung, auf der Suche nach Halt. Seine Mutter starb, als er sieben war. Sein Vater heiratete wieder, die Stiefmutter schlug ihn, sagt er. Ahmet zog oft durch sein Viertel und bewunderte in der Koranschule die älteren Jungen, die mit ihren radikalen Ideen protzten. 

«Er versprach mir 400 Dollar im Monat.»
Ahmet, wurde von der IS rekrutiert.

Einer von ihnen sprach ihn an, fragte, ob er nicht Lust habe, für den Islam zu kämpfen. «Er versprach mir 400 Dollar im Monat», sagt Ahmet. Sie brachten ihm den radikalen Islam näher, «ohne Moschee, ein Muslim braucht nur einen schlichten, sauberen Platz zum Beten». Und sie versprachen ihm eine Kampfausbildung in einem Camp in Syrien. 

Es muss eine Gehirnwäsche gewesen sein, denn die Cousins von Ahmet, die ihn zum Treffen in einem Teehaus in Istanbul begleiten, sagen, er sei vorher nicht so radikal gewesen. Ahmet sagt: «Ich glaube, es ist nicht falsch, im Kampf für den Glauben zu sterben. Man gelangt auf direktem Weg ins Paradies.»

Die Dschihadisten von IS haben ein Gebiet so gross wie Bayern auf irakischem und syrischem Territorium erobert. Mindestens 10'000 Mitglieder zählt die Terrororganisation, junge Männer aus dem arabischen Raum, aber auch aus Zentralasien, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich und der Türkei. 

Extremisten in Teehäusern

Istanbul, die schillernde Millionenmetropole, ist nach Erkenntnissen von Geheimdiensten und Aussagen von Kämpfern ein wichtiger Rekrutierungsort für die Terrororganisation. Hier, unter 15 Millionen Menschen, fallen die Extremisten nicht auf, hier können sie unbehelligt Wohnungen anmieten und ohne Risiko junge Männer ansprechen. 

Viele junge Europäer, bereit zum Kampf, aber ohne Kontakte, reisen hierher. In Geschäften, in denen Flaggen und Spruchbänder mit Symbolen von IS angeboten werden, erhalten sie Telefonnummern, den Namen eines Teehauses oder einer Koranschule. Der Kontakt zu Extremisten ist relativ einfach zu bekommen. Die Polizei, heisst es, schaue weg, weil die Regierung sich einen Sturz von Syriens Präsident Baschar al-Assad wünsche und jeden unterstütze, der dazu beitrage

Türkischer Premierminister Erdogan.
Türkischer Premierminister Erdogan.Bild: AFP

Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan hatte vor etwa drei Jahren auf ein Ende seines einstigen Freundes Assad gesetzt. Doch anders als in anderen arabischen Staaten gelang der Sturz nicht. Etwa ein halbes Jahr nach Beginn der Gewalt in Syrien erwog die Türkei Geheimdiensterkenntnissen zufolge einen Krieg gegen das Nachbarland. Demnach beauftragte Erdogan Generalstabschef Necdet Özel mit entsprechenden Plänen. Der kam zu dem Ergebnis, solch ein Feldzug würde mehreren tausend türkischen Soldaten das Leben kosten. 

Die Türkei hat die Kontrolle verloren 

Erdogan tobte, begrub aber seine Kriegspläne. Seither werden Waffen, Munition, Hilfsgüter und Kämpfer über die Türkei nach Syrien geschickt, abends oder nachts. Die zuständigen Behörden sorgen für Stromausfälle, damit die Transporte bei vollständiger Dunkelheit ablaufen. Mehrfache Warnungen unter anderem aus den USA und Deutschland, die Extremisten könnten sich irgendwann gegen die Türkei richten, wollte man in Ankara nicht hören. Man habe sie im Griff, hiess es. 

Aber längst hat die Türkei die Kontrolle verloren. IS, so ist zu hören, droht der Türkei mit Gewalt, sollte Ankara dem Druck des Westens nachgeben und aufhören, die Gruppe zu unterstützen. Ein Warnsignal gab es bereits: die Entführung von 81 türkischen Staatsbürgern im irakischen Mossul. Eine Gruppe von Lastwagenfahrern ist inzwischen zwar wieder frei, aber mehrere türkische Diplomaten sind noch in den Händen von IS. Beobachter befürchten auch, IS könnte zu Terroranschlägen auf Metropolen wie Istanbul greifen, um der Türkei zu schaden. 

Vor Ort sind die Extremisten schon. «Die internationale Truppe, die sich hier in Istanbul zusammenfindet, eint der gemeinsame Glaube», sagt Ercan, 25. Er hat für IS in Syrien gekämpft, ist aber geflohen und will mit Terror nichts mehr zu tun haben. Auch er wurde in Istanbul rekrutiert, in einer Moschee in Fatih, von einem Verein, der Spenden sammelt für den Glaubenskrieg und Ausschau nach potenziellen Kämpfern hält. Er trifft sich zum Gespräch in einem Café in einem schickeren Viertel von Istanbul. Nach Fatih traut er sich nicht mehr. 

«Sie suchen hauptsächlich psychisch instabile Persönlichkeiten, die Orientierungslosen und Sinnsuchenden, denen sie Hilfe versprechen.»
Ercan, ehemaliger IS-Kämpfer.
Jetzt auf

«Sie suchen hauptsächlich psychisch instabile Persönlichkeiten, die Orientierungslosen und Sinnsuchenden, denen sie Hilfe versprechen», sagt Ercan. «Allerdings prüfen sie die Leute genau, horchen sie aus, bevor sie sie aufnehmen. Mir erzählten sie, mein Verständnis vom Islam sei falsch. Dann brachten sie mir ihre radikale Version näher und guckten, wie ich reagierte.» Am Anfang fand er Gefallen an der Idee vom Kampf für ein islamisches Reich. 

Ercan, der jahrelang Klebstoff schnüffelte und mit 17 ein körperliches Wrack war, hoffte auf ein besseres Leben und auf eine Heilung von seiner Sucht. «Ich wurde nach Syrien in ein Trainingslager gebracht, wo ich gemeinsam mit anderen Türken schiessen lernte.» Seine Sucht bekam er in den Griff. Aber als er einmal sah, wie ein erfahrener Kämpfer einen Mann köpfte und mit dem Kopf Fussball spielte oder wie ein syrischer Soldat erschossen wurde, weil der nicht wusste, um welche Uhrzeit das nächste Gebet beginnt und sich damit als «ungläubig» erwies, wollte er mit IS nichts mehr zu tun haben. Jetzt lebt er in Istanbul und fürchtet um sein Leben, weil er als Verräter gilt. 

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