Schmal ist er geworden, hat unzählige Zahnlücken. Doch sein Geist ist ungebrochen: «Toll», sagt Alan Gross, dreht sich um und blickt auf die zwei Sternenbanner hinter ihm.
Nach fünf Jahren und zwei Wochen in kubanischer Haft tritt Alan Gross als freier Mann vor die US-Presse und wünscht allseits «frohe Feiertage». Dem folgt eine lange Liste derer, denen er zu danken habe: seiner Frau, seinem Anwalt, Senator Patrick Leahy, «allen Kongressmitgliedern», Synagogen und Schulen, seiner Schwester, Cousins, Freunden.
Zu guter Letzt: US-Präsident Barack Obama, der die Freilassung von Gross durch Kuba kurz zuvor live im Fernsehen verkündet hat – in einem Atemzug mit der historischen Annäherung zwischen den USA und Kuba.
Das Martyrium des Alan Phillip Gross ist vorbei – die politische Umwälzung aber hat erst begonnen. Seit dem 3. Dezember 2009 sass der heute 65-jährige Amerikaner in Havanna im Gefängnis, wegen «subversiver» Akte gegen die «Revolution». Am Mittwoch kam er frei, als Teil eines grösseren Gefangenenaustausches – und eines politischen Coups, der Geschichte macht.
Gross war Opfer und zugleich Symbol einer verfehlten, anachronistischen und oft ziellosen Politik. Eine Mentalität, Ressentiments wie im Kalten Krieg, dazu diplomatischer Dilettantismus: Der ganze Irrwitz der US-kubanischen Beziehungen seit 1961 spiegelte sich in seinem Fall wider.
Auf das Schicksal von Gross wirkten sich vor allem Entwicklungen der Neunzigerjahre aus. Im Februar 1996 schoss Kubas Luftwaffe zwei US-Cessnas ab, vier Exilanten starben. Einen Monat später beauftragte der damalige US-Präsident Bill Clinton seine Behörden, auch klandestin den Regimewechsel in Kuba zu provozieren.
Die USAID, der Entwicklungshilfe-Arm des US-Aussenministeriums, erdachte plump getarnte Programme, um den Griff des Castro-Regimes zu lockern und «Demokratie zu propagieren». Obwohl die Programme als durchsichtig und gefährlich galten, gingen sie auf Druck konservativer Republikaner auch unter Obama noch weiter.
Eines dieser Programme sollte jüdische Gruppen in Kuba mit Kommunikationstechnik versorgen, um die staatliche Informations- und Internetblockade zu umgehen. Obwohl die Aktion politisch fragwürdig war, übertrug die USAID den Job der Development Alternatives Inc. (DAI), einer Vertragsfirma in Washington.
Einer ihrer Mitarbeiter war Alan Gross. Nach Worten seiner Frau Judith war er ein Idealist, doch «wahrscheinlich naiv», als er den Auftrag annahm, für die USAID nach Kuba zu gehen.
Fünfmal reiste Gross 2009 mit Touristenvisa nach Kuba und schmuggelte Computer- und Satellitenausrüstung ins Land: iPods, BlackBerrys, MacBooks, Festplatten, Satellitentelefone. Die Gefahr kannte er. «Dies ist ein sehr riskantes Geschäft», warnte er in einem Memo. «Ein Höchstmass an Diskretion ist geboten.»
Ende November 2009 flog Gross zum letzten Mal nach Kuba, elf Tage später wurde er verhaftet. Die Behörden warfen ihm erst Spionage vor. Verurteilt wurde er aber erst 2011 – zu 15 Jahren, wegen «Aktionen gegen die Unabhängigkeit und territoriale Integrität des Staates».
Der Fall dämpfte die Beziehungen – obwohl Obama gerade erst ein Ende der Eiszeit eingeleitet hatte. Alle diplomatischen und politischen Annäherungsversuche scheiterten am Fall Gross: Jedes Entgegenkommen der USA wurde an dessen Freilassung geknüpft.
Etliche US-Politiker setzten sich für Gross ein. Vielversprechend schien, dass Gross' amerikanische Anwältin auch fünf Kubaner vertrat, die seit 1998 als Spione in US-Haft sassen – die «Cuban Five». Das nährte Hoffnungen auf einen Gefangenenaustausch.
Doch nichts tat sich. Verzweifelt entschuldigte sich Judith Gross bei Raúl Castro, «falls seine Arbeit Sie oder Ihre Regierung beleidigt hat». Und sie kritisierte das Weisse Haus: Ihr Mann sei das «Bauernopfer einer gescheiterten Politik».
Gross' physischer und psychischer Zustand verschlechterte sich. Im April 2014 trat er in den Hungerstreik, verlor 45 Pfund, verweigerte Besuche. Nach dem Tod seiner Mutter wurde er depressiv, ja, suizidal: «Leben im Gefängnis ist nicht lebenswert», sagte er seinem Anwalt.
Doch insgeheim hatten die Verhandlungen seit Juni 2013 wieder Schwung bekommen. Kanada agierte als Unterhändler, der Papst schaltete sich ein, Obama hatte ihn bei einer Audienz im März persönlich darauf angesprochen. Im Oktober bewirtete Franziskus beide Seiten im Vatikan, um einen Deal auszuhandeln.
Als Teil dieses Deals überführten die USA die letzten drei Inhaftierten der «Cuban Five». Ein direkter Austausch sei das aber nicht, beharrte Obama: Vielmehr habe Kuba im Gegenzug 53 Dissidenten sowie einen amerikanischen Top-Spion freigelassen, der fast 20 Jahre lang in einem kubanischen Gefängnis gesessen hatte.
All diese Verrenkungen sind Alan Gross am Ende egal. Als Erstes werde er sich «neue Zähne besorgen», sagt er: «Ich hoffe, dass sie stark und scharf sind.»