Als mir der Schweiss wie ein kleiner Wasserfall von der Nase lief, wie das früher bei meiner Grossmutter immer passiert ist, also nicht, dass sie so stark schwitzte, aber sie hatte immer, wirklich IMMER eine tropfende Nase, völlig egal, wie kalt, warm oder windstill es war, immer lief ihre Nase, da dachte ich, dass es die absolute bescheuerteste Idee war, in diesem Raum zu sein. Diesem sogenannten Hot Yoga. Bikram. Schwitz-dich-tot-Gymnastik. Keine Ahnung, was die richtige Bezeichnung ist. Kurz: Ich hasste es. Aber raus konnte ich auch nicht. Und erneut absagen wäre auch nicht drin gelegen. Immerhin habe ich es Hanna versprochen. Vor drei Jahren. Weil ich eine Wette verlor. Worum es in der Wette ging, wissen wir beide nicht mehr, aber was der Einsatz war, schon.
Es war genau so, wie ich mir die Hölle vorstelle: ultra heiss. Ultra anstrengend. Ultra unangenehm.
Das Schlimmste waren nicht die Hitze oder die Übungen. Das Schlimmste war, dass der Raum voller halbnackter Frauen war, man diese aber weder richtig anschauen, noch ansprechen, noch sonst irgendwie mit ihnen in Kontakt treten darf. Logisch nicht. Wäre ja völlig daneben. Aber, Leute, das ist Tortur. Oder anders gesagt: Ich glaube, das ist der Grund, dass es in diesen Lektionen fast keine Männer hat. Weil es komplett überfordert. Reizüberflutung im Quadrat.
Dass eine Yogalehrerin einem die ganze Zeit zuzwinkert und sagt: «Das Wichtigste beim ersten Mal ist einfach drinzubleiben, du machst einfach, was du kannst, einfach so viel, wie geht, achte auf deinen Atem», hilft rein gar nichts. Denn sie sagt das so oft, dass selbstverständlich alle immer mal wieder zu dir schauen, um zu sehen, ob du schon wie eine tote Flunder auf der Matte liegst, was du natürlich nicht tust, du atmest und streckst und beugst dich wie verlangt, obwohl du dich fühlst wie damals mit 14, als jemand von dir verlangte, drei Bacardi Breezer auf Ex zu trinken. Fünf vor Tod.
Irgendwie habe ich überlebt. Irgendwie sass ich danach in einem viel zu kleinen Café, verstehe ich nicht, so kleine Cafés, man hockt eigentlich im Schaufenster, niemand hat Platz, alle schlagen sich die Jacken fast an den Grind, wenn sie aufstehen, aber es ist ultra cool, da geht man hin, alle gehen da hin. Sagt Hanna. Und ihre Yoga-Crew. Also so fünf Frauen, glücklich vergeschwitzt, beseelt von der Anstrengung, fuck my life.
Neben mir sass eine dieser Yoga-Frauen. Etwas jünger als wir, schätzte ich. Grosser Bikram-Fan. Hat ein Unlimited-Abo. Sie gehe ständig. Habe alles verbessert in ihrem Leben. «Auch deinen Kontostand?», wollte ich fragen, tat es dann aber nicht. (Leute! Yoga ist ultra teuer!!! Für 90 Minuten Schwitzen kann man fast einmal Bern-Retour fahren!)
Irgendwie hat die Konversation mit ihr eigenartige Wendungen genommen und irgendwann waren wir für nächste Woche verabredet. Zum Eisbaden. Ich fand die Idee so blöd, wie sie klingt. Wir gehen baden. Im See. ES IST WINTER! Das mache sie auch ganz oft. Immunsystem, sagte sie. Boost und so. «Auch ein Unlimited-Abo?», wollte ich fragen, tat es aber nicht.
Die Yoga-Frau sieht aus wie ein «Rehli», findet Hanna. Hanna nennt Frauen, die sie austauschbar findet: Rehli. Braune, gerade Haare, braune Augen, schlank. Rehli. Manchmal sind aber Rehlis auch blond. Oder schwarzhaarig. Hanna ist da nicht so strikt in der Definition. Rehli sind oft schön. Nicht so atemberaubend, aber hübsch. Da sind wir uns einig. Sie sehen nicht so aus, auch da muss ich Hanna recht geben, dass man sich an sie erinnern würde. Eher austauschbar. Aber gut. Wirklich gut. Hanna hasst diese Frauen. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was Hannas Problem ist. Sicher irgendein Kindheitstrauma. Aber sie muss die Frauen ja auch nicht mögen. Ich muss sie mögen. Und ich mag sie.
Hanna ist nicht begeistert, dass ich mit dem Reh baden gehe. Sie fand, von all den Frauen im Yoga hätte ich die Langweiligste ausgewählt. Aber: Sie hat mir vorher auch keine Infos gegeben. Wie hätte ich wissen sollen, wer spannend ist? Eben.
Gestern schrieb das Reh: «Am Mittwoch ist Valentinstag!»
Ich antwortete: «Ja ...?»
Sie schreibt, dass wir dann verabredet sind.
Ich: «Stimmt.» Was soll ich schon sagen? Gibt es echt noch Leute, die sich was aus dem Valentinstag machen? Weil sie nicht mehr antwortet, frage ich: «Und was heisst das jetzt?»
Sie schreibt: «Es ist VALENTINSTAG!!!»
Ich habe nicht mehr geantwortet. Ich weiss nicht, was sie mir sagen will. Ich schrieb dafür Hanna. Schickte ihr einen Screenshot der Konversation. Ihre Antwort: «Sagte dir doch, ist ein fucking Reh ...»
Das hilft mir nun auch nicht weiter. Heisst das, das Date ist gecancelled? Ist Eisbaden für den Valentinstag nicht heiss genug? War es gar nicht als Date gedacht, sondern so ein kumpelhaftes Baden, wie man das nun mal macht als Yogafreunde, und jetzt will sie mir sagen, dass sie dann ein Date haben will, weil eben Valentinstag ist und ich leider raus bin? Oder muss ich Rosen bringen? Ein Gedicht vortragen? Balladen auf der Gitarre vorspielen? Könnte ich. Aber keine Ballade. Nur das Lied, das alle können. Glaube nicht, dass das reicht.
Kurz: WAS WILL SIE MIR SAGEN? Anyone?
So long,
Ben
Dass am Mittwoch Valentinstag ist. 🤷♂️
Hoffe das Rehli springt so schnell wie möglich weit weg von euch beiden.
Gruss
Ein blondes Rehli
PS: Unscheinbar und 0815 auszusehen ist übrigens nichts schlimmes.