Als ich klein war, gab's ganz oft Trost-Toast bei uns daheim. Trost-Toast, das ist eine Erfindung von meinem Papa Bruno. Trost-Toast, das ist geröstetes Toast-Brot (logisch) mit einer Zimt-und-Zucker-Mischung drauf.
Hatten Bruno und ich früher sturmfrei, gab's auch dann Trost-Toast, wenn es nichts zu trösten gab. Im Gegenteil, das Leben feierten Bruno und ich stets mit Trost-Toast.
Bruno ist nicht nur drum der Beste, weil er mich nie zu Brokkoli-Verzehr gezwungen hat und es stets easy fand, wenn ich statt Öpfelschnitzli Schoggistängeli gegessen habe. Dass er deswegen immer mal wieder Stress mit meiner Mutter hatte, konnte ich nie verstehen.
Ich bin mir sicher, dass die Welt voller toller Väter ist. Ich kann mir dennoch nicht vorstellen, dass irgendein Dad cooler, lustiger, besser, gescheiter, smarter und grosszügiger ist als meiner.
Dieser Super-Dad jedenfalls ist heute 69 Jahre alt. Und fit wie ein junges Reh. Dachte er zumindest. Bis der Arzt bei der Jahreskontrolle was fand, das da nicht hingehört hat und das er genauer untersuchen wollte.
Bruno hat mir das so nebenbei erzählt. Also eigentlich ist es ihm rausgerutscht. Er hat es mir erzählt, wie wenn er mir erzählt, dass mein Lieblings-WC-Papier gerade reduziert ist.
Ich hingegen bin komplett ausgeflippt. Hatte tausend Fragen. Zeitgleich war da diese Leere in meinem Kopf. Und blanke Panik, die sich um mein Herz ausbreitete.
Stirbt er?
Er darf nicht sterben.
Er kann nicht sterben.
Bruno ist unsterblich.
Okay, Fuck. Bruno ist nicht unsterblich.
Ich brach sofort in Tränen aus. Mitten im Tram. Bruno versuchte, mich zu beruhigen. Ich stieg an der nächsten Haltestelle aus und machte mich sofort auf den Weg zu meinen Eltern.
Da angekommen, war die Stimmung komplett entspannt. Bruno die Coolness in persona. Und auch meine Mutter fand, dass es keinen Sinn macht, wenn wir Panik schieben, bevor wir nicht wissen, ob es überhaupt Grund dazu gibt.
Schön, wenn sie das kann. Schön, wenn er das kann. Wirklich. Cool. Für beide.
Ich kann's nicht. Ich sitze hier und es schüttelt mich einmal durch. In Gedanken bereite ich meine Rede für seine Beerdigung vor.
Bruno kommt aus der Küche und stellt mir einen Teller hin. Da sind zwei Trost-Toast-Brote drauf.
Nächster Heulkrampf.
Dann schlägt Bruno ein Trinkspiel vor. Immer, wenn ich einen Heulkrampf habe, muss ich trinken. Typisch Bruno. Eins vor Tod. Aber Hauptsache saufen.
Ich lache. Er lacht. Mama lacht.
Wir trinken Wein, schauen alte Fotoalben an, reden und irgendwann schwatzen wir über den Tod. Ich frage nach ihren Beerdigungswünschen.
Der Gedanke ist ultra schlimm. Und dann auch wieder nicht. Bruno will, logisch, ein Fest. Und keine schwarzen Kleider. Stirbt er im Sommer, will er Festbänke, Herdöpfelsalat, Grill. Und Senf vom Sternen Grill am Bellevue.
Meine Mutter will möglichst kein Tam-Tam. Gerne kleine Runde. Gerne ein schönes Essen und ein Toast aufs Leben statt Trauer um den Tod.
Die haben gut reden.
Es ist weit nach Mitternacht, als ich nach Hause komme. Ich bin ein Wirrwarr aus Emotionen. So schön, dass ich Bruno und Mama habe. Und so schlimm, dass ich sie irgendwann nicht mehr habe.
Was, wenn Bruno Krebs hat? Metastasen? Er Chemo machen muss und ein Schatten seiner selbst wird? Wie schaffen wir das gemeinsam? Schaffen wir es überhaupt?
Ich weine mich in den Schlaf.
Am nächsten Tag buche ich einen Trip für Bruno und mich. Ein Wochenende Hamburg. Nur wir zwei. Komme, was wolle. Sogar Krebs. Der kommt dann halt schnell mit, bevor wir den bekämpfen.
Die nächsten Tage fühlen sich wie ein Leben in einem Paralleluniversum an. Es ist, als wäre ich in Watte gepackt. Alles dumpf. Alles weit weg. Und alles unwichtig ausser Bruno.
Dann kommt endlich der Anruf. Das Resultat der Biopsie ist da.
Es ist alles gut.
Alles gut.
Zwei Worte.
Die besten zwei Worte des Jahres.
Wir fliegen also in zwei Wochen ohne Krebs nach Hamburg. Ein Fakt, der Bruno dazu veranlasst, meine Hotelbuchung etwas anzupassen. Aus zwei Einzelzimmern macht er zwei Suiten. Wir werden je 80 Quadratmeter, ein eigenes Spa im Zimmer und die geilste Aussicht Hamburgs haben.
So geht Leben, sagt Bruno. Sparen tun wir ein anderes Mal, findet er. Wir wissen beide, dass wir nie sparen werden. So wie wir nie Brokkoli oder Apfelschnitze gegessen haben.
So wie wir immer glücklich waren.
Ich wünschte, Bruno wär unsterblich. Eventuell ist er das. Für mich. Und Mama. Und ganz viele andere.
Ich warte grad auf meine eigene Biopsie. Kein Grund, nicht zu feiern oder sich Sorgen zu machen.
Irgendwann hüpfen wir all in die Kiste und das Einzige, was ich dann bereuen würde wäre, wenn ich das Leben nicht gefeiert hätte.
Viel Spass in Hamburg, Emma!
Bei meinem Papa wurde vor mittlerweile über 10 Jahren ein schwarzes Melanom diagnostiziert, welches dann auch noch gestreut hat. 5-Jahre-Überlebenschancen: 62%. Aber mein Papa ist heute noch da. Und da man nicht weiss, wieviel Zeit noch bleibt, hat die ganze Familie eines gelernt: Das Leben passiert heute! Und es will gelebt werden, in all seiner Pracht, mit allen Höhen und Tiefen, mit allen Freuden und Schmerzen.
Später bleibt noch genügend Zeit um zu trauern, das muss nicht vorgeholt werden.
Der Geschmack stellt die existenzielle Frage, ob es schmeckt. Nicht ob es gut schmeckt, sondern ob der Konsistenz überhaupt ein Geschmack innewohnt. Brokkoli ist für die frühkindliche Erziehung insofern relevant, als er auf einen Donnerstag im Büro vorbereitet.
Zugleich erdet Brokkoli uns. Mit seiner Baum- oder Pilzartigen Wucherung versinnbildlicht er, wie wir alle bloss Ausstülpungen irdischen Konglomerats sind.