Es ist Weihnachten. Der dicke Onkel Alfred schenkt der kleinen Melanie einen Sarg. Im Sarg liegt eine Puppe, die aussieht wie Melanies Mutter. Onkel Alfred findet das furchtbar lustig. Melanie ist Melanie Griffith. Später wird sie wie ihre Mutter Tippi Hedren Schauspielerin.
Onkel Alfred ist Alfred Hitchcock. Der Regisseur, der Tippi Hedren in «The Birds» zum blonden Weltstar machte. Danach wollte er sie ganz. Nicht nur als Schauspielerin, auch als Frau. Sie wollte nicht. «Es war sexuell, es war pervers und es war hässlich», schrieb sie 2016 in ihrer Autobiografie. Er drehte noch «Marnie» mit ihr und sorgte dafür, dass ihre junge Karriere im Staub zerserbelte.
Tippi Hedren wendet sich den Tieren zu. Sie gründet ein Wildkatzen-Reservat, Melanie wächst mit Löwen und Tigern im Haus auf. Als sie 24 Jahre alt ist, drehen ihre Mutter und deren aktueller Mann den halbdokumentarischen Action-Film «Roar» über das Leben mit den Raubkatzen. Der Dreh gilt noch immer als einer der gefährlichsten der Filmgeschichte. Ein Löwe zerfetzt mit seiner Tatze Melanies Wange. Danach beginnt sie mit Schönheits-Operationen.
Das Unglück der Mutter überträgt sich früh auf die Tochter: Mit zehn wird Melanie zur Trinkerin, mit 14 zieht sie zu ihrem Boyfriend, dem acht Jahre älteren Schauspieler Don Johnson, modelt, um die gemeinsamen Drogen und Rechnungen zu bezahlen, erhält mit 17 ihre erste Filmrolle. Sie beinhaltet – wie die meisten folgenden Rollen – viel Nacktheit.
«Newsweek» schreibt über sie: «Sie hat den Körper einer sinnlichen Frau, das schmollende Streifenhörnchengesicht eines Teenagers und die Stimme eines Kindes.» Nach einem kurzen Eheversuch mit Johnson lässt sie sich scheiden, heiratet einen anderen, kehrt mit 32 Jahren wieder zu Johnson zurück, heiratet ihn erneut, 1989 werden die beiden Eltern von Dakota.
Und da sind wir nun: Bei Dakota Johnson, die jetzt 32 Jahre alt ist und vor sieben Jahren als Anastasia Steele in der «Fifty Shades of Grey»-Reihe plötzlich allgegenwärtig war. Mit einer Rolle, die so nackt war, wie es das Mainstream-Kino gerade noch verantworten konnte.
Dakota Johnsons frühe Kindheit ist unruhig, der Vater steht unter dem Einfluss von allem, was greifbar ist, die Mutter ist Alkoholikerin, mit drei wird Dakota zum ersten Mal zur Therapie geschickt. Und der Mann, den sie oft als Götti bezeichnet, ist der Schriftsteller Hunter S. Thompson, Autor von «Fear and Loathing in Las Vegas», der später zum Idol von Johnny Depp wird.
«Er war immer da. Er brachte uns bizarre Geschenke. Schoss um drei Uhr nachts in die Luft, um zu zeigen, dass er da ist», erzählt Dakota über Thompson in einem Gespräch mit Jimmy Kimmel. Zu den Geschenken gehörte zum Glück kein Sarg mit einer Melanie-Puppe. Sie liebte ihn heiss und hat heute ein Foto von Thompson mit Plastikbrüsten in ihrem Hollywood-Bungalow hängen, den sie mit ihrem Boyfriend Chris Martin von Coldplay teilt.
Ihr Haus ist ganz aus Holz und Glas und steht in einem lauschigen Bambuswald, es ist klar, dass hier ein Sprössling aus einer Hollywood-Dynastie lebt. Patti Smith hat ihr liebevoll mit persönlichen Kommentaren vollgekritzelte Exemplare ihrer Bücher geschenkt, im Garten steht ein fünfeckiger Tisch mit dazugehörigen Stühlen aus dem Holz von Winston Churchills Yacht. Zu solchen Preziosen kommt man nur mit Beziehungen.
Allerdings könnte die Sache mit dem Tisch auch gelogen sein. Dakota Johnson verarscht liebend gerne Leute. Als sie noch nicht so berühmt war wie heute, reservierte sie regelmässig in den besten Restaurants von Los Angeles Tische «für George Clooney».
Sie scheint – genau wie Chris Martin – ein grundentspannter Mensch zu sein. Keine andere geht so relaxt zu Interviews und macht so viele Witze, und die Frage, ob sie sich in «Fifty Shades» durch ein Body-Double ersetzen lassen könnte, stellte sich für sie erst gar nicht. «Ich habe kein Problem mit Nacktheit. Ich finde sie schön», sagte sie einmal, und: «Ich will nicht, dass Leute in einer Sexszene BHs und Unterwäsche tragen. Seien wir ehrlich: Wir sind nackt, wenn wir ficken.»
Anstrengend am Dreh waren andere Dinge. Etwa, dass sich die «Fifty Shades»-Autorin E. L. James immer einmischte und darauf bestand, die bei der Lektüre besonders peinlichen inneren Dialoge von Anastasia Steele mit den tanzenden Göttinnen und so zu übernehmen. «Wir drehten, was E. L. James wollte. Und danach drehten wir noch einmal, was wir wollten», erzählt Johnson jetzt in der «Vanity Fair». Sonst: alles easy.
Dass es so gut mit ihr gekommen ist, verdankt sie einem, den sie unumwunden «meinen Helden» nennt. Ihrem Zweitvater, der in ihr Leben trat, als sie fünf Jahre alt war. Antonio Banderas. Die verheiratete Melanie Griffith und der verheiratete Antonio Banderas verlieben sich nämlich 1995 bei Dreharbeiten derart heftig ineinander, dass sich beide scheiden lassen und einander 1996 heiraten.
Mit Banderas kommt alles in Dakotas Leben, was sie bisher vermisst hat: «Als ich sechs Jahre alt war, heiratete meine Mutter einen Mann, der ein unglaublich helles Licht, eine ganz neue Welt der Kreativität und Kultur und eine bemerkenswert zauberhafte kleine Schwester in unsere Familie brachte», sagt sie 2019, als sie eine Preisrede auf Banderas halten darf.
Ihr Schauspieldebüt hat sie mit neun in Banderas' Regiedebüt «Crazy in Alabama». Es wird zum familiären Flop. Elf Jahre später spielt sie den One-Night-Stand von Napster-Gründer Sean Parker (Justin Timberlake) in David Finchers «The Social Network». Das ist der Start. Danach ist alles möglich. Und nur fünf Jahre später ist sie dank «Fifty Shades» ein Superstar. Allein in der Schweiz schauen sich über 400'000 Leute den ersten Teil im Kino an.
Dakota Johnson und Jamie Dornan machen, dass der Stoff plötzlich erträglich ist. Weil sie zwei ganz und gar zeitgemässe, coole Gesichter und Körper sind. Weil Johnson Schauspielerinnen wie Jane Birkin und Charlotte Gainsbourg gleicht. Modern. Aus ihrer Zeit und für ihre Zeit. Scheinbar spröde und dann doch zart und sinnlich. Überhaupt ist «tender», zart, Johnsons Lieblingseigenschaft. So will sie sein. Zart und zugänglich.
Die Rolle der blutjungen Birkin aus «La Piscine» spielt sie übrigens 2015 im «Piscine»-Remake «The Bigger Splash». Es ist vor «Suspiria» (nach Horrorguru Dario Argento) ihre erste Rolle an der Seite von Tilda Swinton. Sie hat jetzt alles ausprobiert: Horror wie ihre Grossmutter, Erotisches wie ihre Mutter, Arthouse (auch im oscarnominierten Regiedebüt von Maggie Gyllenhaals «The Lost Daughter»), Fincher, viel Romantisches, der erste Marvel-Gig ist mit «Madame Web» (2023) bereits eingetütet – und jetzt auch noch Jane Austen.
Kate Winslet, Emma Thompson, Gwyneth Paltrow, Keira Knightley, Anya Taylor-Joy haben schon in Jane-Austen-Verfilmungen mitgespielt. Allein 2022 erscheinen zwei Adaptionen von «Persuasion». Die eine mit Dakota Johnson läuft jetzt auf Netflix. Der Film kriegt nichts als Haue. Zu Recht. Und zu Unrecht.
Zu Unrecht, weil «Persuasion» bloss eins von gut 90 filmischen und seriellen Austen-Projekten ist. Es ist vollkommen egal, wie routiniert oder experimentell misslungen das jetzt ist. Besser als Ang Lees «Sense and Sensibility» (1995), für den Emma Thompson den Drehbuch-Oscar gewann, wird's eh nie mehr.
Zu Recht, weil Netflix mal wieder sehr unsorgfältig einiges, was chic ist, in seinen Drehbuchmixer gegeben hat und ein relativ dünner Smoothie daraus geworden ist. Als da sind: Ein Superstar (Johnson), ein ethnisch so diverser Cast wie in «Bridgerton», lustig gemeinte Meta-Kommentare aus einem anderen Universum, die aus «Fleabag» geklaute Anrede an die Zuschauenden und der übliche Jane-Austen-Plot. Also eine junge Frau, die dringend verheiratet werden muss, weil ihre Familie in finanziellen Schwierigkeiten ist, und jetzt ist die Frage, wie sie es schafft, möglichst viel Liebe und Geld auf einem einzigen Mann zu vereinen.
Spoiler: Sie findet ihn immer bei Jane Austen. Bis dahin gibt's Herzschmerz, lange Spaziergänge, Briefe, die zu Weinkrämpfen führen, viel gesellschaftliches Rumgebitche, aber nichts wirklich Gravierendes, höchstens mal ein Sturz vom Pferd, von einer Mauer oder in einen Weiher.
Ganz geklaut ist leider nicht einmal halb gewonnen, «Persuasion» zieht sich trotz knackiger 107 Minuten so gnadenlos ermüdend in die Länge wie eine Wanderung auf einer Teerstrasse bei 36 Grad. Und dann sei Dakota Johnson auch noch eine grausame Fehlbesetzung, sagen missgünstige Münder und vor allem ein Tweet, der es zu viel Berühmtheit gebracht hat. Sie habe das falsche Gesicht für die zwar smarte, aber auch historisch-unschuldige Austen-Heldin: «Es tut mir leid, aber Dakota Johnson hat das Gesicht von einer, die weiss, was ein iPhone ist.»
I’m sorry but Dakota Johnson has the face of someone who knows what an iPhone is https://t.co/z2XHKESLV8
— ege (@egeofanatolia) June 14, 2022
Das ist nun nicht falsch. Es gibt Gesichter, die gehören ganz ins Jetzt oder in die letzten paar Jahrzehnte. Wie eben Dakota Johnson, die man sich bestens in allem zwischen den Sixties und heute vorstellen kann. Andere sind zeitlos und cool wie Tilda Swinton, die genauso gut in die Renaissance wie in die Zukunft passt. Und die wandelbare und mit Absicht zarte Dakota Johnson passt tatsächlich nicht zu Jane Austen. Was keine Tragödie ist.
Dakota Johnson weiss sich eh zu trösten. Sie ist ja auch noch Kreativchefin eines ähnlichen Unternehmens wie jenes der Ex-Frau von Chris Martin, Gwyneth Paltrow. Die ist mit Goop bekanntlich für den Luxus-Lifestyle-Bedarf von Frauen, die gerne ein bisschen wie Gwyneth wären, zuständig. Dakota sitzt in der Leitung von Maude.
Maude ist eine «sexual wellness company». Es gibt dort formschöne Vibratoren, mit denen sich die Kreativchefin auch gerne das Gesicht massiert, Kerzen für «Fifty Shades»-Praktiken. Doch die Förderung der sexuellen Wellness ist nur eine von Dakota Johnsons Aufgaben bei Maude. Die andere ist Aufklärung. Durch Amerika reisen und Vorträge halten, wieso die Entscheidung des Supreme Court gegen Abtreibungen fatal ist.
Und dann liefert Maude auch noch Kolumnen. Über alles, was man niemals wissen wollte, etwa, dass es auch heute noch Penisringe gibt, die aus den Augenlidern von Ziegen gefertigt werden. Man könne dies googeln, rät die Kolumne. Man kann. Aber man soll nicht. Und mit dieser Trigger-Warnung entlassen wir euch aus der fantastischen Welt der vielfältigen Ms Johnson.
Mensch Meier.