Was Eminem seiner Mutter Debbie Nelson in seinen Songs entgegenbrachte, war über viele Jahre der purste, härteste Hass. Zeilen wie «You selfish bitch, I hope you fuckin' burn in hell for this shit!» Oder Anekdoten von brutaler Vernachlässigung, davon, wie die drogensüchtige Mom ihn als kleinen Knirps ohne Jacke in der Kälte vergessen habe, und am schlimmsten (in «Cleanin' Out My Closet»), wie sie mit Absicht versucht habe, ihn krank zu machen, weil sie unter dem Münchhausen-Stellvertretersyndrom gelitten habe.
Und wie sie sich gewünscht habe, dass nicht sein Onkel Ronnie, sondern er, Eminem, umgekommen wäre. Ronnie war der jüngste Bruder von Debbie, nur zwei Monate älter als sein Neffe Eminem, die beiden waren unzertrennlich, Ronnie brachte Eminem den Hip-Hop nahe, Eminem trägt seinen Namen als Tattoo, mit 19 erschoss sich Ronnie, ausgerechnet er, der aus der Army geschmissen worden war, weil er Angst vor Waffen hatte.
Sogar «Mom's Spaghetti», dieser kleine Hinweis auf mütterliche Fürsorge, landen in «Lose Yourself» bloss als Erbrochenes auf Eminems Pulli. Und immer war da auch ihr Name, damit es auch wirklich keine Verwechslung geben konnte, Debbie, Debbie, Debbie the devil.
Debbie Nelson ist selbst auf einem Armeestützpunkt zur Welt gekommen, ihre Mutter war bei ihrer Geburt erst 15 Jahre alt, und die Flucht vor einem gewalttätigen Stiefvater trieb Debbie selbst in eine Ehe. Mit 15 heiratete sie Marshall Bruce Mathers Jr., die beiden spielten in einer Band, nach zwei Jahren wurden sie 1972 Eltern von Marshall Bruce Mathers III, dem künftigen Rapper Eminem. Der Vater verliess Frau und Kind, Debbie und ihr Sohn zogen quer durch Amerika, waren arm, wohnten gelegentlich bei Verwandten, verloren eine Wohnung um die andere, zogen weiter und liessen sich schliesslich in Detroit nieder.
Als Eminem 14 war, brachte Debbie seinen Halbbruder Nathan zur Welt. Mit 8 Jahren kam er zu Pflegeeltern, Eminem versuchte, das alleinige Sorgerecht für Nathan zu bekommen, vergeblich. Debbie sagte, dass sie damals mehrere ärztlich verschriebene Medikamente konsumiert habe, Eminem bezeichnete dies als Drogensucht. Die Sozialarbeiter, mit denen Debbie in Kontakt war, nahmen sie als äusserst misstrauisch bis paranoid wahr. Und Eminem kultivierte mit zunehmendem Erfolg und in jedem Interview den Mythos eines abgefuckten White-Trash-Kids, das von einer pillenwerfenden, durchgeknallten Mutter im Trailer-Park aufgezogen worden war.
1999 verklagte Debbie ihren Sohn wegen Rufschädigung auf 11 Millionen Dollar. Ein Richter gab ihr Recht und verurteilte Eminem zu 25'000 Dollar Strafe, doch nach Abzug ihrer Anwaltskosten blieben Debbie nur 1600 Dollar. 2008 veröffentlichte sie ihre Memoiren mit dem Titel «My Son Marshall, My Son Eminem». Sie schrieb darin, ihre einzige Reue sei, dass sie ihren Sohn immerzu verzogen, alles für ihn geopfert und seinen Launen aus lauter Mutterliebe stets nachgegeben habe. Sie wurde ihrerseits von ihrem eigenen Agenten verklagt, weil sie ihm seinen Anteil an den Buchverkäufen nicht ausbezahlt habe. Sie verlobte sich mit ihm, eine höchst effiziente Abwehrstrategie, die Klage wurde sofort fallengelassen.
Während andere Rapper wie Jay-Z, 2Pac, Kanye oder Cee-Lo Green ihre eigenen, alleinerziehenden Mütter in ihren Songs rehabilitierten, ehrten und zu wahren «Queens» erhoben, die sich mit aller Macht gegen die Härten des Lebens behauptet hätten, tat Eminem sich schwer damit, seiner Mutter zu verzeihen. Doch 2013 versprach der mittlerweile 41-Jährige, «Cleanin' Out My Closet» nie mehr zu spielen. Er erklärte sich solidarisch mit der Frau, die seinetwegen 73 Stunden lang in den Wehen gelegen war (einen Kaiserschnitt hatte man ihr verweigert) und als junge Frau eine ebenso entbehrungsreiche Zeit gehabt hatte wie er selbst.
Doch dies blieb nur ein öffentliches Bekenntnis, zu einer privaten Versöhnung kam es nie. Am 2. Dezember ist Debbie Nelson im Alter von 69 Jahren an den Folgen von Lungenkrebs gestorben. Sie wäre in Kürze zum ersten Mal Urgrossmutter geworden. Eminems Tochter Hailie Jade Scott erwartet ihr erstes Kind.
Auf jeden Fall scheint er mir ein mutiger und resilienter Mensch zu sein, wenn man bedenkt, welch wunderbare Beziehung er zu seinen leiblichen Kindern aufbauen konnte.
Bravo Eminem. Ich mag deine Musik nicht so sehr, aber die Musik deines Herzens schon! ♥️