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Sex, Drugs, Teens: «Euphoria» ist die erfolgreichste HBO-Serie seit GoT

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So schön wie bei Cassie (Sidney Sweeney) sahen Pubertätsbeschwerden noch nie aus.Bild: HBO entertainment
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Sex, Drugs, Teenage Angst: «Euphoria» ist die erfolgreichste HBO-Serie seit GoT

Und der Ort, wo das Wort «Trauma» schamlos überstrapaziert wird. Die zweite Staffel läuft jetzt auch bei uns.
24.03.2022, 18:2825.03.2022, 14:38
Simone Meier
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Es ist nicht so, dass ich nicht gefragt hatte. Also, dass ich nicht sehr viel jüngere Leute gefragt hatte, ob sie über «Euphoria» schreiben möchten. Weil ich nach der Sichtung der ersten Staffel das Gefühl hatte, so ganz und gar nicht die Zielgruppe zu sein und mir das Phänomen gerne von eben dieser Target Bubble hätte erklären lassen wollen. Doch die sehr viel jüngeren Leute sagten, dass sie «Euphoria» ganz gewiss super finden, es klänge toll – Inklusion und Gender-Fluidität und Drogen und Highschool und so. Zeit hatten sie trotzdem keine. Und da sind wir nun. Machen wir also eine Bestandesaufnahme.

Seit «Euphoria» Anfang 2022 in den USA in die zweite Staffel eingebogen ist, ist es zum zweitgrössten Publikumserfolg von HBO seit «Game of Thrones» avanciert. In Zahlen heisst das: 6,6 Millionen schauten in den USA das Staffelfinale in der Erstaustrahlung im Vergleich zu den 13,6 Millionen, die das Finale von GoT live schauten. Seither gehen die Zahlen weiter in die Höhe. Andere populäre HBO-Serien wie «Mare of Easttown» und «The White Lotus» schafften pro Folge keine Million.

Erwachsene, die ihre Highschoolzeit nostalgisch glorifizieren und sich noch einmal wild und verloren fühlen wollen, schauen «Euphoria». Jugendliche, Eltern mit ihren Kindern und Kinder ohne ihre Eltern schauen das. Irgendwo wurde ein 12-Jähriger zitiert, der sagte, er schaue «Euphoria» total gern, aber sicher nicht in Gegenwart seiner Eltern, das sei zu sehr cringe.

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Hinter dieser WC-Türe verbirgt sich gar nichts Gutes. Aber das tut es hinter WC-Türen ja selten.Bild: imago/ eddy chen/ hbo max

«Euphoria» wurde zur meistgetweeteten und meistgetiktokten Serie aller bisherigen Zeiten und die Make-up-Tutorials nehmen kein Ende. Und alles seit der zweiten Staffel. Davor war es auch schon gross, aber jetzt wird es so richtig gefeiert. Und gehasst.

Die Anlage der Serie ist einfach: Wir befinden uns unter einer Gruppe von unfassbar gut aussehenden Highschool-Schülerinnen und -Schülern. Sie befinden sich in einer Dauerschlaufe aus Partys, Alkohol, Sex, Sexfantasien, Kotzen und nicht gerade wohltuenden Beziehungsversuchen. Spring Break für immer. «Skins» meets «Gosspi Girl» meets und so weiter und das Internet, aber alles mit ein paar schicken Filtern angereichert und auf Memes getrimmt. 2022 erleben wir einen Kurzschluss mit der Welt aus der ersten Staffel von 2019 – die Pubertätsbremse Pandemie hat es für die «Euphoria»-Figuren nie gegeben. Die Serie ist ein Kickstart zurück ins Leben.

Trailer zur zweiten Staffel «Euphoria»

Trotzdem geht es allen beschissen. Sie taumeln zwischen Hysterie und Depression, und der Begriff «Trauma» wird zur kollektiven Bezugsgrösse. Natürlich ist «Euphoria» ironisch gemeint. Manchmal weiss man nicht so ganz, wieso sie derart unglücklich sind in ihrer namenlosen amerikanischen Kleinstadt, wahrscheinlich ist es einfach die Pubertät, manchmal weiss man es, wie bei Nate, dessen Vater pervers ist und alles fickt und erniedrigt, was ihm über den Weg läuft, auch Leute aus Nates Klasse.

Besonders beschissen geht es allerdings Rue (Zendaya, die dafür auch schon einen Emmy und viele weitere Preise eingesackt hat), denn die interessiert sich zwar nicht sonderlich für Sex, dafür umso mehr für Drogen. Rue ist seit dem Krebstod ihres Vaters ein Junkie und denkt nicht daran, clean zu werden, auf halbherzige Versprechen folgen totale Abstürze, sie belügt, manipuliert und terrorisiert ihr Umfeld so lange, bis jeder Widerstand bricht. Rue liebt das trans Mädchen Jules (gespielt von der trans Schauspielerin Hunter Schafer), ein zartes, weitgehend gutes, leicht überirdisches Wesen, das Rues Lügen immer wieder mit Liebesentzug kontert.

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Jules (Hunter Schafer) träumt. Hier leider gerade nicht unbedingt von Rue.Bild: imago/ eddy chen/ hbo max

Wo's Drogen gibt, sind auch Dealer nicht weit, das ist quasi die «Breaking Bad»-Ecke der Highschool-Serie, der brutalste unter ihnen ist noch ein Kind, es gibt da Kugelhagel und Blutbäder, aber die Herzen der härtesten Jungs sind dann doch auch aus dem Rauschgold der Sentimentalität gemacht.

«Euphoria» ist die Adaptation der gleichnamigen israelischen Serie und dahinter steckt genau ein Mann. Er heisst Sam Levinson, ist 38 Jahre alt, hat alle 18 Folgen der ersten beiden Staffeln alleine geschrieben – normalerweise beschäftigt HBO bei einer Serie dieser Grösse einen Writers Room – und bei 15 Folgen Regie geführt.

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Gibt es eigentlich noch eine amerikanische Highschool, auf deren Fluren man nicht Zendaya trifft? Hier in «Euphoria», aber auch schon gesehen in «Spider-Man».Bild: imago/ eddy chen/ hbo max

Levinson ist der Sohn von Hollywoodregisseur Barry Levinson («Rain Man», «Wag the Dog»), hat mit Zendaya auch den Netflix-Film «Malcolm & Marie» gedreht und war selbst ein Junkie. Viele seiner eigenen Erfahrungen hat er in Rue verarbeitet. Auch die triphafte, triebhafte immer neu geloopte Erzählstruktur wird so verständlicher.

Das ist okay. Gehasst wird Levinson von der amerikanischen «Euphoria»-Fan-Crowd trotzdem. Für zwei Dinge: Erstens für seinen reichlich schlampigen Umgang mit beliebten Nebenfiguren, die in der ersten Staffel vielversprechend angelegt wurden. Sein grösstes Opfer ist Kat (Barbie Ferreira), ein überaus üppiges Mädchen, das sich ein Einkommen als Online-Fetisch-Objekt sichert. Sie ist der überraschende, erfrischende Gegenpol zu all den nervlich labilen Geschöpfen. In der zweiten Staffel hat sie fast keine Bedeutung mehr.

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Gebt Kat (Barbie Ferreira) gefälligst eine eigene Serie!Bild: imago/ eddy chen/ hbo max

Der zweite grosse Kritikpunkt ist die Sache mit der Nacktheit. Sie ist omnipräsent. Sehr viel mehr noch als in GoT. Früher nannte man das Sexploitation und fragte sich, ob Regisseure wie Larry Clark («Kids») oder Harmony Korine («Spring Breakers») mit ihren erotisch aufgeladenen Teen-Epen nicht voyeuristische Grüsel seien. Heute sieht es vordergründig zwar genau gleich aus, doch hinter der Kamera gibt es jetzt Safe spaces mit Intimitäts-Coaches, Absprachen, Konsens etc. Aber es sieht trotzdem genau gleich aus. Und die Frage, welche Fantasien Levinson da genau für welches Publikum auslebt, drängt sich ungemütlich mit aller Macht ins Bild.

«Euphoria» ist eine Serie, die man bingen sollte. Nicht zu lange über Handlungsstränge und ihre Logik nachdenken. Sich nicht fragen, was das alles sein soll ausser einem Fotoalbum der Pubertätsbeschwerden. «Euphoria» verlangt, dass man abstürzt: In die mit allerlei fiktionalem Feenstaub beglitzerte Hysterie und Lethargie von ein paar Kids, deren Unglück grösser und vor allem narzisstischer sein dürfte, als es das eigene jemals war oder gewesen sein wird.

«Euphoria» läuft bei uns ab dem 23. März auf Sky Show. Die erste Staffel ist ebenfalls auf Sky Show zu sehen.

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