Die Verhaftung von sechs jüdischen Extremisten nach der brutalen Ermordung eines palästinensischen Jugendlichen aus Ost-Jerusalem hat die Israelis schockiert. Sie rückt die Existenz von teils nur schwach strukturierten Gruppierungen ins Licht, die ihre anti-arabische Ideologie verbindet.
«Der teuflische Mord an Mohammed Abu Chder ist der Alptraum des Schin Beth», kommentiert die Zeitung «Maariv» mit Verweis auf den Inlandsgeheimdienst. «Das ist ein Szenario, in dem der israelisch-palästinensische Konflikt zu einem Stammeskrieg wird, nach dem biblischen Motto Auge um Auge.»
Der Geheimdienst hatte nach dem Tod des 16-Jährigen, dessen verbrannter Leichnam am vergangenen Mittwoch kurz nach seiner Entführung gefunden wurde, sechs Tatverdächtige festgenommen, die einer extremistischen jüdischen Gruppe angehören und von denen drei offenbar geständig sind.
Als mögliche politische Heimat der Mörder nennen israelische Medien zwei Gruppierungen: Die eine ist «La Familia», der rechtsextreme Fanclub des Fussballvereins Beitar Jerusalem, der 2013 aus Protest gegen die Verpflichtung zweier muslimischer Profis aus Tschetschenien das Vereinsheim niederbrannte.
Nicht minder fanatisch ist die Organisation «Lehava» (Flamme), die gegen Mischehen, vor allem mit Arabern, zu Felde zieht. In den sozialen Netzwerken sind beide Gruppen stark vertreten. So finden auf Facebook 13'000 Nutzer Gefallen an «La Familia».
Möglichst im Verborgenen operieren dagegen die Rechtsextremisten unter den Siedlern im besetzten Westjordanland. Sie kommen aus den Reihen der verharmlosend als «Hügel-Jugend» bezeichneten Ultranationalisten, die auf Anhöhen immer wieder Aussenposten der völkerrechtswidrigen Siedlungen errichten.
Sie stehen hinter den meisten der rassistisch motivierten Hasstaten, die seit zwei Jahren als sogenannte Preisschild-Attacken bekannt wurden. Die Täter bezeichnen ihre Vandalenakte und Brandanschläge als Vergeltung für siedlerfeindliche Massnahmen, etwa die Räumung der erwähnten Aussenposten, und hinterlassen die Parole «Zu zahlender Preis».
Alle drei rechtsextremistischen Strömungen berufen sich ideologisch auf die anti-arabische Rassistenpartei Kach, die 1971 vom verstorbenen Rabbiner Meir Kahane gegründet und 1994 für illegal erklärt wurde. Anlass des Verbots war damals der Amoklauf des Kach-Aktivisten Baruch Goldstein, der an Abrahams Grab in Hebron 29 betende Muslime erschoss.
Dass dem Massenmörder ein prächtiges Grabmal am Eingang zur jüdischen Siedlung Kirjat Arba errichtet wurde, zu dem bis heute Kahane-Anhänger pilgern, zeigt wie halbherzig sich Israel bislang mit dem latent wachsenden Rassenhass auseinandergesetzt hat.
Dazu gehört auch, dass sich einzelne Minister und frühere Geheimdienstchefs seit Monaten erfolglos dafür einsetzen, Hasstaten nicht nur als «organisierte Kriminalität», sondern als «terroristisch» einzustufen – was eine intensivere Verfolgung und stärkere Bestrafung ermöglichen würde.
Nach der Entdeckung der Leichen von drei im Westjordanland entführten israelischen Jugendlichen Ende Juni wurde Regierungsmitgliedern sogar in manchen Medien vorgeworfen, durch populistische Äusserungen zu Rachetaten aufgewiegelt zu haben. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu etwa zitierte Worte des Nationaldichters Nahman Bialik: «Selbst Satan hat sich noch nicht die Vergeltung für das Blut eines Kindes ausgedacht.»
In den Minuten danach verabredeten sich etwa 200 jüdische Extremisten auf Facebook zu einer Demonstration im Zentrum Jerusalems, die zu einer «Hatz auf Araber» ausartete. Herbeigeeilte Zivilpolizisten verhinderten da noch Schlimmeres. Am nächsten Morgen aber wurde die verkohlte Leiche des 16-jährigen Palästinenserjungen am westlichen Stadtrand gefunden.
Gegen eine Rachekampagne auf Facebook, der binnen Tagen 35'000 Israelis, die meisten jung und viele Wehrpflichtige, ihre Unterstützung gaben, gingen die Behörden dann juristisch vor. Viele Israelis äusserten im Internet auch Erschütterung und Abscheu über den Rassismus von Landsleuten. Und in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa sind in den vergangenen Tagen zahlreiche Demonstranten gegen Hassparolen auf die Strasse gegangen. (pbl/sda/afp)