Das Bundesgericht spricht in einem kürzlich veröffentlichten Urteil von einer «gewichtigen Rechtsschutzlücke». Die Kritik des obersten Gerichts betrifft die Beschwerden gegen bundesrätliche Abstimmungserläuterungen – also gegen Falschinformationen im Bundesbüchlein. Hier sind den Bundesrichtern weitgehend die Hände gebunden. Denn: Beschwerden wegen «Verletzung der politischen Rechte» sind nicht anfechtbar. Zu Fehlern im Abstimmungsbüchlein hat das Bundesgericht also nicht viel zu melden.
Das hat sich jüngst einmal mehr bestätigt. Die Gegner der letztlich vom Volk angenommenen «Lex Netflix» haben in mehreren Kantonen Abstimmungsbeschwerden eingereicht und kritisiert, der Bundesrat verletze durch seine fehlerhafte Information das Recht auf unverfälschte Stimmabgabe und manipuliere die Stimmbürger. Grund dafür war eine falsche Grafik im Abstimmungsbüchlein.
Nun liegt das Urteil des Bundesgerichts vor. Es tritt nicht auf die Beschwerde ein, weil es das aufgrund der fehlenden Gesetzesgrundlage schlicht und einfach gar nicht kann.
Das ärgert Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz:
Müller spürt auch vonseiten des Bundesgerichts eine gewisse Unzufriedenheit. «Das Urteil liest sich als deutlicher Fingerzeig an das Parlament, diese Rechtsschutzlücke bald zu schliessen.»
Der Jungpolitiker will deshalb dafür sorgen, dass im Parlament ein Vorstoss eingereicht wird, der es erlaubt, künftige Fehler in den Abstimmungsunterlagen rügen zu können – und zwar mit dem Ziel, diese förmlich aufzuheben oder abändern zu lassen. «Insbesondere dann, wenn diese die freie Willensbildung der Stimmberechtigten einschränken oder verunmöglichen», so Müller.
Doch damit nicht genug. Jurist Müller stört sich auch am Rechtsweg: Wer heute gesamtschweizerische Sachverhalte beanstanden will, muss seine Beschwerde zuerst bei der Kantonsregierung einreichen. Diese tritt dann aufgrund der fehlenden Zuständigkeit nicht darauf ein. In der Folge kann die Beschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden. «Dieser Umweg über die Kantonsregierungen ist völlig unnötig und gehört abgeschafft. Es braucht ein eidgenössisches Rechtsmittel», findet Müller.
Ähnlich sieht es das Bundesgericht: Der aktuelle Rechtsweg erscheine «nicht zufriedenstellend», das sei «seit längerem» bekannt. Und weiter: Es könne «bedauert werden, dass der Gesetzgeber bisher nicht entsprechend tätig wurde». Klare Worte der obersten Richter dieses Landes.
Die Abstimmungsbroschüre wird von der Bundeskanzlei herausgegeben. Diese musste in der Vergangenheit immer wieder Kritik einstecken. Die bundesrätlichen Erläuterungen seien nicht neutral genug, die Fehler zu zahlreich. Tatsächlich häuften sich jüngst die Fälle, in denen die Bundeskanzlei Fehler eingestehen musste. In den vergangenen vier Jahren waren die Angaben im Abstimmungsbüchlein in sechs Fällen falsch oder unpräzise, wie eine Auswertung von ch media ergab.
Besonders folgenschwer waren die Fehlinformationen zur Zahl der betroffenen Ehepaare, die der Bundesrat im Zusammenhang mit der CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe verbreitete. Weil es sich hierbei um einen Fehler mit besonderem Ausmass handelte, erklärte das Bundesgericht im Nachgang des Urnengangs die Abstimmung für ungültig.
BG-Urteil: 1C_225/2022