Der Rückschlag kommt unerwartet. In den kantonalen Wahlen vom vergangenen Herbst verzeichnete die Aargauer SVP entgegen den Voraussagen nur geringe Verluste. Nun kommt es aber knüppeldick.
Der Aargau ist eine Hochburg der Volkspartei. Am vergangenen Sonntag wurden in den lokalen Wahlen gleich reihenweise Gemeinderäte abgewählt. Vermeintlich aussichtsreiche Kandidaten für die Exekutiven stürzten ab. In den Parlamenten der Aargauer Städte dasselbe Bild: Die SVP verliert quer durch den Kanton Sitze.
Was ist da los? In der SVP spricht man von drei Problemen: Erstens, Corona. Zweitens, die Stadt-Land-Polemik. Drittens, Andreas Glarner.
Der Nationalrat und Präsident der Aargauer SVP kennt in seinen Angriffen nur eine Waffe: die schwere Artillerie. Glarner polemisiert und poltert, nennt die Aargauer Regierungsräte «Höseler» wegen ihrer Corona-Politik und hält Ortssektionen, die nicht auf seiner Linie sind, einen «Weichspülerkurs» vor.
Der vormalige Nationalrat und Präsident der Kantonalpartei, Hans Ulrich Mathys, hat davon genug. Mathys nannte am Dienstag in der «Aargauer Zeitung» das Abschneiden der SVP «ein grösstenteils selbstverursachtes Desaster». Der Stil Glarners komme schlecht an beim Fussvolk; bodenständige SVP-Wähler wendeten sich von der Partei ab. Matyhs ist überzeugt:
In der Kantonalpartei gibt es Leute, die sagen: Glarner sei erpicht auf publizitätsträchtige Knalleffekte; es mangle ihm aber am Interesse an einer langfristigen Strategie. Und er sollte sich in seinem Ton mässigen.
Was sagt Glarner zur Attacke von Mathys? «Auf die Kritik eines Altnationalrats reagiere ich nicht via Medien.» Die Partei sei in einigen Sektionen viel zu passiv. Das müsse sich ändern. «Wir müssen in den Wahlkämpfen aktiver werden. Wir werden die Situation analysieren und Änderungen vornehmen», meint Glarner.
Der Parteipräsident ist zum Antipoden des SVP-Gesundheitsdirektors Jean-Pierre Gallati geworden. Gallati versuchte zuerst, den Aargau mit so wenig Restriktionen wie möglich durch die Pandemie zu bringen. Als die Intensivstationen der kantonalen Spitäler Ende 2020 an der Kapazitätsgrenze waren, änderte er seinen Kurs. Der Aargau opponiert nicht gegen Einschränkungen wie das Covid-Zertifikat, und er lehnt die Weiterführung der Gratistests ab.
Die SVP ergreift Partei für Coronaskeptiker und Impfunwillige. Damit kann man Leute mobilisieren – aber man schreckt auch viele Sympathisanten ab. Die SVP verzeichnet zurzeit sowohl eine hohe Zahl von Beitritten wie auch von Austritten. Die Partei wird in einen Zusammenhang gebracht mit rabiaten Demonstranten und mit Verschwörungstheoretikern. Auf dem Land sind viele ältere Menschen der SVP zugeneigt. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist geimpft. Manche von ihnen fragen sich, was das Theater soll, das die Partei veranstaltet.
Auch die Polemik gegen die Städte, die SVP-Präsident Marco Chiesa losgetreten hat, ist nicht frei von Risiken. Parteiexponenten betonen, es gehe ihnen einzig um den Kampf gegen rotgrüne Stadtregierungen und deren träge Verwaltungen. Bei vielen Leuten kommt aber eine andere Botschaft an: Die SVP lehnt die Lebensweise in den Städten ab. Sie hat es auf die Städter im Allgemeinen abgesehen. Die Partei schnitt am Sonntag von Baden bis Aarau schlecht ab.
SVP-Nationalrat Thomas Matter, der Chiesa unterstützt in der Kampagne, sagt: «Das Resultat im Aargau wäre genau gleich herausgekommen, wenn wir den Stadt-Land-Graben nicht thematisiert hätten.» Den Trend zu rotgrün dominierten Städten sehe man seit 20 Jahren. Die SVP wende sich in den Städten an die Menschen, die Steuern bezahlten und nicht von staatlichen Leistungen lebten. «Es dauert seine Zeit, bis wir hier eine Mobilisierung erreichen.»
Matter fügt an: «Wie gross der Stadt-Land-Graben ist, zeigt die Annahme der 99-Prozent-Initiative in Zürich, Basel und Bern. Die SVP wehrt sich dagegen, dass sich sozialistische Rezepte in den Städten ausbreiten.»
In der Partei zweifeln aber einige daran, ob die Polemik verfängt. Sie sagen, dass es für den Rückschlag im Aargau nur einen mildernden Umstand gebe: Der Abstimmungssonntag mit der «Ehe für alle» und der Vorlage der Jungsozialisten habe das linke Lager stärker mobilisiert als bürgerliche Wähler. (aargauerzeitung.ch)
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So ganz ohne Zahlen kann ich mir unter dem Absturtz nichts vorstellen.